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Der große Jahresrückblick der MB-Redaktion 2017

von Sebastian Stumbek

DIE TOP 10 FILME 2017:

1. A Ghost Story

Ein glühender Stern am Firmament. Jede Berührung, jeder Blick, jede Geste – und sei es nur ein angedeutetes Lächeln – zählt zu dem Zärtlichsten, was es in den vergangenen Jahren auf der großen Leinwand zu bestaunen gab. Wie kaum einem anderen Filmemacher gelingt es David Lowery diesen formlosen Emotionen eine Kontur zu verleihen und so begreift er Liebe als die einzige Möglichkeit, sich wenigstens für einen Augenblick als Teil dieser Welt zu verstehen.

2. Die Taschendiebin

Ein erzählerischer Höhepunkt, ein ästhetischer Genuss. Angenehm verschachtelt erzählt der Film von Ausbruch und Selbstbestimmung, findet seine Kraft in aufregenden Details. Park beweist indes erneut, dass er zu den begnadetsten Filmemachern unserer Zeit gehört.

3. The Killing of a Sacred Deer

Eine Operation am offenen Herzen. Einmal mehr sind Lanthimos Figuren außerstande mit ihren Emotionen umzugehen, was in bizarren Dialogen, unverständlichen Posen und radikalen Bildern gipfelt. The Killing of a Sacred Deer zeigt mehr von dem, was wir bereits kennen. Und das ist noch immer großartig, weil es aktuell keinen Regisseur gibt, der moralische und gesellschaftliche Diskurse so skurril, eigensinnig, verstörend und nichtsdestotrotz präzise reflektiert wie er.

4. Personal Shopper

Abseits von seiner inhaltlichen Zerfahrenheit erzählt Olivier Assayas durch seine Bilder überaus stimmig und prägnant. Personal Shopper spielt vor allem zwischen den Zeilen, bündelt seine Ambivalenz in Form von Stewarts Selbstfindung und findet Harmonie in scheinbaren Gegenteilen. Ein filmgewordener Trauerprozess, ein Zeuge unserer Zeit.

5. Blade Runner 2049

Konsequent weitergedacht, ohne seinem großen Vorbild sklavisch verfallen zu sein. Blade Runner 2049 hat die Frage nach Menschlichkeit längst hinter sich zurückgelassen. Villeneuve streift durch eine zerfallene Welt, suhlt sich im Versagen von Technologie und stößt dabei nichtsdestotrotz auf ein Wunder.

6. The Wailing

Unbekümmert andersartig, frei und kreativ. Immer wieder schweift der Film ab, um sich in atmosphärischer Tristesse dem Leid und der Verwirrung seiner Figuren zu widmen. Über weite Strecken ist man der Hauptfigur gleich im schieren Wahnsinn der Situation gefangen, ohne dabei einen wirklichen Ausweg zu erkennen. Fein laufen die Fäden gegen Ende zusammen und entspinnen das vormals so chaotische Knäul.

7. Elle

Bitterböse und doch empathisch. Paul Verhoevens großartiges Comeback zersetzt gängige Genrestrukturen und überführt die zunächst angedeutete Rape-and-Revenge Geschichte in eine provokative Reflektion über weibliche Lust. Beeindruckend, wie spielerisch er dabei seine unzähligen Versatzstücke zusammenführt.

8. Silence

Ein filmischer Kraftakt, ein erfahrbares Martyrium. Hier bedeutet zu Glauben nicht mehr nur zu Leiden, sondern vor allem auch zu Zweifeln. Die erhabenen und ruhigen Bilder des Films leben nicht nur von ihrem expressionistischen Ausdruck, sondern ihnen scheint auch eine unglaubliche Intensität inne zu wohnen. Bemerkenswert, führt man sich vor Augen, dass Silence vor allem ein Film der inneren Konflikte ist.

9. Der Ornithologe

Vom Wahnsinn geschwängert verwebt das Werk diverse Gedankengänge und Ansätze zu seiner völlig eigenen Mythologie. Die vielleicht eigensinnigste Seherfahrung des Jahres zählt zeitgleich zu den beeindruckendsten Filmen des Jahres.

10. Western

Western ist ein Werk der Ambivalenz. Oftmals steht die Stimmung auf der Kippe, droht am Siedepunkt überzukochen, was die Nähe zu etwaigen Genrevorbildern unterstreicht. Grisebach hantiert zunächst mit Klischees, nur um diese nach und nach aufzubrechen. Die allgegenwärtige Sprachbarriere ist sowohl Fluch und Segen, Reibepunkt und Schutzmechanismus. In seinen stärksten Momenten transzendiert Western Sprache, macht deutlich, dass Emotionen, Verständnis und Kommunikation auch ohne sie möglich sind.

DIE FLOP 5 2017:

Nicht notwendigerweise die schlechtesten Filme des Jahres, gemessen an der allgemeinen Rezeption respektive meiner eigenen Erwartungshaltung wohl aber die enttäuschendsten.

1. Hacksaw Ridge

Moralisch fehlgeleitet, erzkonservativ, bierernst und unsensibel – ein Film wie sein Regisseur. Mit einer überlebensgroßen Pathoskeul erhebt Mel Gibson einen debil dreinblickenden Andrew Garfield zum religiös aufgeladenen Kriegshelden. Programmatisch, aber nichtsdestotrotz erschütternd, dass ein solches Machwerk bei den Oscars eine größere Rolle spielt.

2. The Birth of a Nation

Eine gewaltgeile, inszenatorisch belanglose und moralisch mehr als fragwürdige Rachephantasie, die sich im Grunde auf eine simple Rape-and-Revenge Dramaturgie zurückführen lässt, angereichert mit überzogener Erlösersymbolik und gottgleichen Wahnvorstellungen jedoch suggeriert deutlich mehr zu sein. Mit welcher Faszination sich der Regisseur am Leiden der Schwarzen ergötzt und sich darüber hinaus in Blutlachen, abgetrennten Gliedmaßen und brachialer Gewalt suhlt, ist beängstigend.

3. Lion - Der lange Weg nach Hause

Der Inbegriff von Oscarbait. Ein Film der billig erkauften Emotionen, nie ernsthaft an seinen Figuren oder einem tiefergehenden Diskurs interessiert und doch unglaublich heuchlerisch im Vortrag. Die Geschichte eines verlorengegangenen Jungen wird zu Gunsten einer Handvoll plakativer Momente ausgeschlachtet und mit jeder Menge Wohlfühlesoterik zugekleistert. Echte Gefühle werden dabei schon im Ansatz vom omnipräsenten Klaviergeklimper und der aufdringlichen Kameraarbeit erstickt.

4. mother!

Totaler Größenwahn – Das Evangelium nach Aronofsky. Verliert sich nach und nach immer mehr in inkohärentem Geschwurbel, Symbolismusgewichse und allegorischen Bibelzitaten. Der Gehalt, die Frage nach dem Warum, bleibt dabei vollends auf der Strecke. Die hysterischen Darbietungen und die selbstverliebte Regie tragen nur noch zusätzlich zur Lächerlichkeit des Films bei.

5. Detroit

Ein wütendes Stück Film, dem es vor allem an Zwischentönen mangelt. Das Werk denkt im wahrsten Sinne des Wortes nur schwarz und weiß, teilt alles in Gut und Böse, was in letzter Konsequenz nur noch mehr Hass schürt. Die detaillierte Nachzeichnung des historischen Konflikts nutzt Bigelow nicht etwa, um einen Bezug zur Gegenwart herzustellen, gängige Rassenklischees aufzubrechen oder ethnisch bedingte Gewalt zu hinterfragen, sondern lediglich um eine immersive Filmerfahrung zu bieten.

GEHEIMTIPPS AUS DEM JAHR 2017:

Raw, The Greasy Strangler, The Eyes of My Mother, In a Valley of Violence, Neruda, Lady Macbeth, Certain Women, The Bad Batch, Die versunkene Stadt Z

10 MOST WANTED FILME 2018:

The House That Jack Built
Der seidene Faden
Lady Bird
The Irishman
The Shape of Water
The Man Who Killed Don Quixote
You Were Never Really here
Call me by your Name
The Florida Project
Auslöschung

MEIN SERIENJAHR 2017:

Mein Serienjahr fiel wie so oft sehr spärlich aus. Neben der obligatorischen Sichtung der neuesten Staffel Game of Thrones (enttäuschend) und dem Publikumsliebling Stranger Things (nach einigen Folgen abgebrochen), konnte die Neuerscheinung Taboo zumindest im Ansatz überzeugen. Zu meiner großen Schande muss ich jedoch gestehen, dass ich die vielversprechendste Produktionen des Jahres, allen voran Twin Peaks: The Return, bisher verpasst habe.

FAZIT:

Die drei Amigos. <3

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