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Jahresrückblick 2018 - Noergolas

siBBe

Von siBBe in Der große Jahresrückblick der MB-Redaktion 2018

Jahresrückblick 2018 - Noergolas

DIE TOP 10 FILME 2018:

1. Transit
Christian Petzold dreht seit jeher Filme über Gespenster. In Transit verortet er Anna Seghers' gleichnamigen Roman aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs in eine fiktionalisierte, politisch undefinierte Gegenwart. Die Schauplätze sind Paris und Marseille, aber inszeniert werden sie nur als Zwischenwelten voller verwinkelter Geisterstraßen, als Sammelort für verlorene, ziellos umherstreifende Seelen. Inmitten dieser Perspektivlosigkeit: Franz Rogowski, das neue Gesicht deutscher Melancholie, auf der Straße ins Nirgendwo. Von Matthias Brandt lässt der Film aus dem Off von flüchtigen Begegnungen berichten, stets der unzuverlässigen Natur des Erzählens gemahnend, wenn Bild und Voice-Over plötzlich im Widerspruch münden. Es wird gelitten, geliebt, geraucht und gestorben. In der Schlusseinstellung bleibt nur endloses Verharren. Und die Erinnerung an Petzolds bisher vielleicht schönsten Gespensterfilm. 

2. The Florida Project
Fremde werden frech um Geld für Eiscreme angebettelt, vermüllte Häuserruinen müssen erkundschaftet werden, Motel-Chef Bobby gilt es bei der mühsamen Arbeit zu stören: Sean Baker folgt in The Florida Project einer Gruppe abenteuerlustiger Kinder am Rande des Existenzminimums, deren Leben gleichermaßen von Schmerz und Schönheit durchdrungen ist. Die märchenhaft entrückte Farbpalette des Films wird zum Ausdruck dieser erzählerischen Perspektive - der bunte Anstrich längst zerfallener Häuserfassaden zeugt von einem Seifenblasentraum vom Leben, in den schon vor langer Zeit jemand mit der Nadel gestochen hat. Baker entwirft hier nur erzählerische Vignetten, in deren Raum die Figuren miteinander agieren dürfen. Das Ergebnis ist ein Film mit und über Empathie, über Kindsein wie Elternsein, über unendliche wie unmögliche Zukunftsträume. Menschennaher hat dieses Jahr kein Film erzählt. 

3. Suspiria
Der einzige Film seines Regisseurs auf dieser Liste; eine Entscheidung, die ich irgendwann vielleicht bereuen werde. Wie sich  Luca Guadagnino in diesem üppigen Wunderwerk an Argentos Klassiker des Horrorkinos annähert, ihn adaptiert, aufbricht, umkehrt, erweitert, pervertiert, und gleichzeitig sehr liebevoll referenziert, sucht im oft sinnlosen Remake-Irrsinn der Gegenwart seinesgleichen. Suspiria ist völlig regelbefreites, ausuferndes Filmemachen, zugleich herrlich altmodisch und verunsichernd modern, ein wüster und wunderschöner Albtraum voller umherwirbelnder Körper und brechender Knochen. Nur fast der beste, mit Sicherheit aber der meiste Film 2018 - im bestmöglichen Sinne.

4. Roma
Wie es Alfonso Cuarón immer wieder aufs Neue gelingt, seinen Formalismus ganz ungeniert auszustellen und damit trotzdem nicht zu nerven, ist ein kleines Wunder. Vielleicht liegt es daran, dass er auch in Roma - der mit wunderschöner Schwarz-Weiß-Fotographie und komplexen Plansequenzen gefallen möchte - diesen Technizismus nicht um seiner selbst Willen geschehen lässt, sondern in den Dienst nicht weniger komplexer Figurenschicksale und -konstellationen stellt. Der Film sträubt sich gegen eine plumpe Erzähldramaturgie und lässt zwei emotionale Schlüsselmomente so plötzlich ins Bild krachen, dass sich einem die Kehle zuschnürt. Abseits dieser Zuschaueroffensiven profitiert der Film dabei einmal mehr von Cuaróns großer Detailverliebtheit, durch die sich seine Welt mit beinahe spielerischer Beiläufigkeit im Hintergrund wie von selbst zu erschaffen scheint. 

5. You Were Never Really Here
Nach außen von massiger Präsenz, nach innen nur noch eine lose Ansammlung düsterer Gedankensplitter: der brillante Joaquin Phoenix als Joe. You Were Never Really Here mag sich einer bewährten Plot- und Figurendynamik bedienen, durch Lynne Ramsays behutsame Inszenierung aber, die vor allem durch kluge Auslassungen besticht, entwickelt der Film eine ganz eigene Sogkraft; ein Gefühl für Zärtlichkeit und Brutalität gleichermaßen. Gerade für letztere findet Ramsay verstörende Bilder der Auswirkungen, ohne den Gewaltakt selbst dabei je zu zeigen. Inmitten all dieser blutigen Hammerschläge gelingen ihr aber auch immer wieder Momente großer Fürsorge, unter anderem das tragischste musikalische Duett des Jahres. Ein freigelegter Nerv von Film, der seine Hauptfigur lehrt, nicht im Tod nach Trost zu suchen - sondern die Kraft zu finden, immer weiterzumachen. 

6. Wonderstruck
Todd Haynes' Kino der Blicke findet dort zu sich selbst, wo die Sprache wortwörtlich verschwindet und die ausdrucksvollen (Kinder-)Gesichter nur noch von Musik begleitet und unterstützt werden. Der hierzulande leider nur über Amazon veröffentlichte Wonderstruck gleicht einem zauberhaften Tagtraum, der seinen Figuren abwechselnd durch kräftige und farblose Bilderwelten folgt, ein bewegendes Generationsdrama entwirft, dem Stummfilm auf kongeniale Weise huldigt und am Ende - und damit spiegelt er ironischerweise Hereditary, den bösesten Film des Jahres - im liebevollen Arrangement von Puppen und Modellen eine sanfte Katharsis und Aufarbeitung der Vergangenheit ermöglicht. Eine musikalische Odyssee zwischen Carter Burwell und David Bowie, ganz ohne falsche Gefühle. 

7. Hereditary
Schreckensbilder und -situationen aus ihrem jeweiligen Kontext zu lösen, sie in ihrem nachgestellten Arrangement zu begreifen und zu verarbeiten – das hat Ari Aster sich in seinem Regiedebüt zum Thema gemacht. Eingerahmt von klugen, dieses Motiv schaurig visualisierenden Kamera-Spielereien erzählt er in Hereditary von der teuflischen Abwärtsspirale familiären Versagens, aus deren radikaler Zuspitzung sich nur noch die Beschwörung eines Höllengotts als logisches Happy End ergeben kann. Aster stellt abscheuliche Dinge mit seinen Figuren an, zermürbt und zerstückelt sie bis an die Grenze des aushaltbaren Sehgenusses, pervertiert ihren Heilungsprozess und Neubeginn so hämisch, dass der Umschlag in okkulten Trash weniger Bruch als konsequentes Weiterdenken für die psychologische Bodenhaftung der ersten Hälfte bedeutet. Schade, dass so viele Zuschauer ihm dorthin nicht folgen wollten. Einen schockierenderen, gruseligeren, schlichtweg böseren Film hat es dieses Jahr nicht gegeben.

8. Lady Bird
Mutter und Tochter liegen nebeneinander schlafend im Bett - schon das erste Bild in Lady Bird ist meisterhaft. Noch bevor Greta Gerwig ihr Regiedebüt eröffnet, mit einer im Drama endenden Diskussion im Auto, etabliert sie eine Bindung zwischen ihren zwei Hauptfiguren, die sich inniger und selbstverständlicher nicht anfühlen könnte. Dieses Bild scheint den ganzen Film zu überschatten. Gerwig erzählt von Müttern und Töchtern, in dem sie sich beiden Parteien gleichsam empathisch nähert und ihre dynamische Verkettung vieler, kleiner Einzelstationen nie zur episodischen Klischeebeschau verkommen lässt. Ihr und ihren Darstellern gelingt eine urkomische wie herzergreifende Coming-of-Age-Ode an dysfunktionale Familienverhältnisse mit einem wundervollen Detailblick für einen bestimmten Ort, eine bestimmte Zeit, bestimmte kleine Gesten. Der von Streitigkeiten immer nur scheinbar auf die Probe gestellten Liebe zwischen Mutter und Tochter kann, wie das dem Film vorangestellte Bild schon vorwegnimmt, nichts anhaben.

9. Mission: Impossible - Fallout
Christopher McQuarrie schöpft so beherzt aus dem visuellen und thematischen Fundus von Christopher Nolans Batman-Trilogie wie zuletzt vielleicht Sam Mendes in Skyfall: Stürme ziehen auf, Autotunnel werden zum Schauplatz bleihaltiger Evakuationen, Hauptprotagonist Ethan Hunt operiert an den Grenzen seiner körperlichen und moralischen Grenzen. Nach dem operettenhaften Vorgänger injiziert Mission: Impossible - Fallout nun Ernst und Epik in die Reihe, was sich bereits in Lorne Balfes leichter Variation des weltbekannten Musik-Themas ankündigt. Der fast schon unverschämt exzessive Film ist ein schweißtreibendes Actionkonzentrat, die waghalsigen Stunts und Setpieces von noch nie dagewesener Ambition. Hier handelt es sich um absolut virtuoses Überwältigungskino, das es nur noch zu erleben und mit perverser Faszination zu bestaunen gilt. Neben Brad Birds Beitrag sicherlich der bisherige Höhepunkt der Reihe.

10. Waldheims Walzer
Völlig unvorbereitet bin ich für ein Seminar meines Studiums Anfang des Jahres in eine Werkschau von Ruth-Beckermann-Filmen gestolpert, die mit dem neuesten Werk der Regisseurin (zu dem Zeitpunkt noch ohne Kinostart) eröffnet wurde - nur damit mir in den folgenden 93 Minuten in absoluter Perfektion vor Augen geführt werden sollte, was für eine Schnitt- und Erzählkunst auch dem Dokumentarfilmgenre innewohnen kann. Mit feinem, manchmal bissigen Humor, immer aber einer mitreißend dynamischen Präzision, arrangiert Beckermann in Waldheims Walzer ihre eigenen, sehr volksnahen Videoaufnahmen mit akribisch ausgesuchtem Archivmaterial. Ihr gelingt ein humorvoller wie erschreckender Abstieg in die österreichische Psyche; eine Vergangenheitsbewältigung, die nie aufdringlich oder polemisch auch zu Schlüssen über das aktuelle Weltgeschehen ermuntert.

Lobende Erwähnungen: It Comes at Night, Call Me by Your Name, Annihilation, The Rider, The Week Of, Mamma Mia! Here We Go Again, Phantom Thread, Bad Times at the El Royale, Leave No Trace, First Man 


DIE FLOP 5 FILME 2018: 

Über die schlechtesten Filme des Jahres möchte ich so wenig Worte wie möglich verlieren. Die unangenehmsten Kinoerlebnisse haben mir Rampage und The Death of Stalin beschert, am meisten gelangweilt habe ich mich mit Venom  und The Meg. Für Langeweile zuhause war Netflix dieses Jahr gleich mit drei Beiträgen verantwortlich: Mute, How It Ends und Extinction. Viel erwartet und dann zu wenig (oder doch zu viel?) bekommen habe ich dieses Jahr von Mandy und Three Billboards Outside Ebbing, Missouri


10 MOST WANTED FILME 2019:

Glass

If Beale Street Could Talk

 


MEIN SERIENJAHR 2018:

Genau wie letztes Jahr habe ich mich nur zum Schauen einer einzigen neuen Serienstaffel durchringen können. Das war 2018 die wunderbare Netflix-Adaption von Shirley Jacksons The Haunting of Hill House - eine figurengetriebene Symbiose aus einfühlsamem Familiendrama und betörend schaurigem Geistergrusel. Bei Mike Flanagan haben sogar Jump-Scares thematisches Gewicht. 


FAZIT:

Statt einer Top 10 hätte ich auch eine Top 30 machen können. Umwerfendes Kinojahr, in jeder erdenklichen Hinsicht. 

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