Je älter, misanthropischer ich werde, desto weniger kann ich etwas mit diesen Endabrechnungen des Jahres anfangen. Deshalb – wie schon im letzten Jahr – hier eine Auflistung von Filmen, Szenen, Momenten und Emotionen, die ich in meinem Filmjahr 2024 erleben durfte. Guten Rutsch!
20 Tage in Mariupol
Es ist kaum möglich, Worte zu finden, die den Schrecken des Konflikts angemessen beschreiben. Doch es war gerade die Stille, die eine erschütternde Intensität hatte. Dieses unaufhaltsame Gefühl der nahenden Zerstörung wird in der oscargekrönten Dokumentation meisterhaft eingefangen.
A Different Man
Sebastian Stan verkörpert am Ende seiner Reise eine stille, aber durchdringende Unzufriedenheit. Wenn er am Tisch eines Restaurants sitzt, spricht sein Gesicht Bände und schließt diesen bitterbösen sowie cleveren Film wunderbar ab.
A Quiet Place: Tag Eins
Die Idee, dass die Protagonistin schon vor der Invasion dem Tod geweiht ist, verleiht diesem Spin-off eine beklemmende Tiefe. Besonders berührend ist ihr letzter Besuch in ihre eigene Vergangenheit.
In Liebe, Eure Hilde
Die Vollstreckung des Urteils erfolgt schnell und präzise. Doch gerade durch diese Kälte werden die letzten Schritte der Hauptfigur zu einem beklemmenden, unvergesslichen Erlebnis.
Alle die Du bist
Regisseur und Autor Michael Fetter Nathansky findet poetische Bilder in einem Beziehungsdrama, das durch ein faszinierendes erzählerisches Element besticht.
Alien: Romulus
Das lautlose Opening ist atemberaubend schön, ebenso wie der Rest des Films – abgesehen von den Deepfake-Klonen bekannter Schauspieler.
Anora
Nach dem Rausch und der Ekstase inszeniert Sean Baker das Erwachen mit sanfter Hand. Dennoch bleibt Raum für Heiterkeit und Hoffnung. In einem heruntergekommenen Auto findet die Titelfigur am Ende eine bittersüße Erlösung.
The Apprentice
Ein letztes Dinner unter alten Komplizen endet mit einem prägnanten Bild: Ein Angestellter desinfiziert einen Stuhl – eine simple Geste, die alles perfekt umschreibt.
The Assessment
In dieser dystopischen Welt muss man, um ein Kind zu bekommen, Tage voller Prüfungen durchlaufen. Wenn Alicia Vikander ein Kleinkind während des Abendessens imitiert, ist das gleichermaßen verstörend wie faszinierend - und auch amüsant.
Baby Reindeer
Die einzige Serie auf dieser Liste und zugleich die beste des Jahres 2024. In der letzten Szene wird Donnie schmerzlich bewusst, wie schnell Einsamkeit den Menschen verschlingen kann.
Bad Director
Schon die Eröffnungsszene setzt den Ton: Der titelgebende Regisseur wird in einer skurrilen Sequenz kompromittiert, während eine Dame seelenruhig einen Döner genießt.
Beetlejuice Beetlejuice
Tim Burton und Michael Keaton entfesseln das innere Kind mit einer unbändigen Energie.
Better Man
Vergesst andere Musical-Biopics: Dieses erzählerisch konservative Werk begeistert durch seine explosive Kraft und Leidenschaft. Besonders die Musicalsequenz von Rock DJ bleibt unvergesslich.
Beverly Hills Cop: Axel F.
Der Film begeisterte mich durch seine grobkörnige Ästhetik, die ich wunderbarerweise sogar im Kino genießen konnte. Ein schöner Moment ist, wenn Axel F. in einem Edelhotel steht, zu müde, um sich eine Suite zu erschwindeln.
Blink Twice
Hier geht es nicht um Vergebung, sondern um das Vergessen.
Blitz
Trotz vieler Enttäuschungen gibt es magische Momente, wie wenn der kleine George nach einem Bombenangriff im Staub eines zerstörten Clubs auf Schatzsuche geht. Steve McQueen erschafft für kurze Zeit ein Nimmerland aus Eleganz und Tod.
Boy Kills World
Obwohl der taubstumme Boy Lippenlesen kann, verliert er diese Fähigkeit in entscheidenden Momenten. Extra-Kudos für den Off-Kommentar von H. Jon Benjamin.
Carry-On
Ein meisterhaft inszenierter Einsatz des Songs Last Christmas – auf erfrischend unerwartete Weise.
Caddo Lake
Die Auflösung dieses Mystery-Dramas überzeugt vollends. Alles greift perfekt ineinander und hinterlässt einen bleibenden Eindruck.
Challengers - Rivalen
Szenenapplaus gebührt Guadagnino, der seine Hauptdarsteller beherzt in symbolische Bilder eintauchen und hineinbeißen lässt.
City of Darkness
Trotz einiger Längen bleibt der finale Kampf ein Highlight.
Civil War
Das bedrückende Gefühl zieht sich von der ersten Minute durch den gesamten Film. Besonders beeindruckend ist die Szene mit Jesse Plemons.
Lo Cocina
Ein defekter Softdrink-Automat verwandelt eine Großküche in eine absurde Arche des Chaos.
The Coffee Table
Ein böser, aber faszinierender Film. Wenn der Nachbarshund am Ende ein vertuschtes Objekt hervorholt, ist das einer der bösartigsten und zugleich amüsantesten Momente des Jahres.
The Complex Forms
Der Film erschafft eine Atmosphäre von einzigartiger Intensität, die in den majestätischen und zugleich mechanischen Gottwesen ihren Höhepunkt findet.
The Dead Don’t Hurt
Lächeln ist die schärfste Waffe eines Feindes. Vicky Krieps demonstriert dies in einer Szene sehr gut.
Des Teufels Bad
Agnes driftet langsam in die Selbstaufgabe, während der Körper eines Selbstmörders auf dem Feld der Schande verwest. Kein anderer Film dieses Jahres ließ mich so verzweifelt nach Trost und Reinigung suchen.
Dream Scenario
Obwohl kein klassischer Horrorfilm, entfaltet sich hier ein Grauen, das zutiefst unter die Haut geht. Das Gedankenspiel, immer wieder von Neuem durchdacht, erzeugt eine beklemmende Gänsehaut. Trotz seiner Mängel bleibt dieser Film lange im Gedächtnis, vor allem durch die mutige Entscheidung des Regisseurs, seine Hauptfigur fehlbar und deswegen auch mal unsympathisch darzustellen.
Dune: Part Two
Die gewaltige Sandwurm-Szene sprengt alle Grenzen dessen, was 2024 auf der Leinwand zu sehen war.
Ein kleines Stück vom Kuchen
Für mich der Film des Jahres. Die letzte Einstellung – lacht die Hauptfigur oder weint sie? – bleibt unvergessen und zutiefst bewegend.
Armand
Ein Lachkrampf von epischen Ausmaßen enthüllt den unbändigen Kampfgeist und die zerbrechliche Seele der alleinerziehenden Mutter Elisabeth.
Die Ermittlung
Vier Stunden, die sprachlos machen.
Das Erste Omen
Eine Umarmung als Symbol für Wärme und Sicherheit wird in diesem Prequel grausam verdreht. Der letzte Akt zwischen zwei Bekannten endet in einem erschreckenden Tod.
Furiosa
Jede einzelne Actionszene in diesem Film ist ein Geschenk.
Gladiator 2
Vergesst Jumping the Shark oder Nuking the Fridge. Dank dieses verzichbaren Sequels gibt es jetzt Biting the Monkey.
Heretic
Mr. Reeds Monolog über Religion, Popsongs und Monopoly ist schlichtweg zitierwürdig.
Here
Die Episode mit dem Sessel-Erfinder und seiner Frau berührt mit knisternder Wärme und Herzlichkeit.
Horizon – Kapitel 1
Ein unnachgiebiger Angriff der Ureinwohner auf eine Siedlergruppe, inszeniert mit beispielloser Intensität.
Hundreds of Beavers
Dieser Film ist ein einziges, irrwitziges Spektakel. Jede Szene zum umarmen.
I Saw The TV Glow
Irgendwo zwischen einem somnambulen, sphärischen Trip durch Traum und Alptraum, einem fast schon Disney-ähnlichen Tragödien-Pomp und einem vielseitig interpretierbaren Coming-of-Age-Zirkus angesiedelt. Ein Film, der sich anfühlt, als würde Zuckerwatte im Mondlicht schmelzen. Ein atmosphärisches Meisterwerk, das in seiner finalen, zutiefst melancholischen Szene Gänsehaut erzeugt.
Immaculate
Auch wenn ich den Hype um Sydney Sweeney nicht nachvollziehen kann, entfesselt sie im Finale eine tolle Symphonie des Grauens. Ein letzter Schrei, der diesen im besten Sinne bekloppten Film, wunderbar abschließt.
In A Violent Nature
Ein unmaskierter Hüne, erschöpft an einen Baum gelehnt, erscheint fast menschlich – bis er wieder durch den Wald stapft. Ein Moment von verstörender Ambivalenz.
Ivo
Der Alltag einer Palliativpflegerin wird eindringlich beleuchtet. Eine stille Szene am Esstisch nach dem Verlust einer Freundin brennt sich ins Gedächtnis.
Joker: Folie à Deux
Arthur Fleck wird befreit, doch anstatt seinen Rettern zu folgen, bleibt er aus Angst zurück. Ein bitterer Abgesang auf die Figur des Jokers, kompromisslos erzählt.
Kill
Die moralische Zerrissenheit des Zuschauers erreicht einen Höhepunkt, wenn der Held fragwürdige Entscheidungen trifft. Dennoch bleibt dieser Film mit seiner Nahkampf-Action unübertroffen.
Kinds of Kindness
Eine Ehefrau gibt alles für ihren Mann auf – selbst ihre eigene Identität. Ein tragisches Bild von Hingabe.
Kneecap
Ein wilder Ritt, der in seiner Gesamtheit unvergesslich ist. Ich kann es kaum erwarten, ihn erneut zu sehen.
Love Lies Bleeding
Wenn Liebe buchstäblich wachsen lässt, entfaltet sich ein bemerkenswertes Schauspiel.
Longlegs
Osgood Perkins verwandelt einen Serienkiller-Thriller in okkulten Horror und diese Wandlung wird herrlich kaltschnäuzig vollzogen. Der magische Moment: Die Leinwand breitet sich in blutrotem Licht mit hypnotischen Opening Credits aus.
MaXXXine
Die eindrucksvolle Casting-Szene zu Beginn bleibt im Gedächtnis.
Maria
Die Callas begegnet JFK und findet klare Worte für den Präsidenten – eine meisterhafte Szene voller Schärfe und Eleganz.
Martin liest den Koran
Ein Kammerspiel, das sämtliche Erwartungen auf den Kopf stellt und mit einem fesselnden Finale überzeugt.
Megalopolis
Ein Werk, das grandios scheitert und dennoch unvergleichlich faszinierend bleibt. Trotz seiner Fehler bietet es unzählige bemerkenswerte Momente.
Morgen ist auch noch ein Tag
In den letzten drei Minuten entfaltet sich die wahre Bedeutung des Films – ein Geniestreich.
No Other Land
Ich wollte an dem Tag eigentlich abends Heroic Bloodsheds ansehen, aber nach dem ich in dieser bedrückenden Doku gesehen habe wie wirklich jemand erschossen wird, hatte ich keinen Bock mehr darauf. Ein toller, ein wichtiger und ein bestürzender Film. Doku-Oscar 2025? Hoffentlich.
Nosferatu - Der Untote
Mehr schaurig als gruselig, aber meisterhaft. Die Schlürfgeräusche von Graf Orlok allein rechtfertigen den Kinobesuch.
Queer
Irgendwo im dichten Nebel aus Tabakdampf, Speichel, Sperma, Schweiß und Ayahuasca begibt sich Daniel Craig als William Lee auf die Suche nach sich selbst. Guadagnino begleitet ihn dabei und ignoriert jegliche Chronistenpflicht, während alles hineingeworfen wird, was nur geht: Rocksongs von Nirvana, halluzinatorische Trips, sexuelle Obsessionen und albtraumhafte Trugbilder, die zu den gruseligsten und verstörendsten gehören, die mir dieses Jahr auf der Leinwand begegnet sind.
Radical - Eine Klasse für sich
Herzerwärmend aber niemals einlullend oder verdrängend. Vor allem dank des Hauptdarstellers eine Perle, die letztes Jahr viel zu wenig gewürdigt wurde.
Rebel Ridge
Immer wieder scheint es, als würden Ventile geöffnet, und der Druck kurz davor, sich zu entladen. Saulnier spielt geschickt mit der Erwartung einer explosiven Eskalation, bis zu dem Punkt, an dem sogar eine implosive Entwicklung des Helden wahrscheinlich erscheint.
Ricky Stanicky
Zugegeben, ich war nicht nüchtern, aber bei keinem Film dieses Jahres habe ich so sehr gelacht wie bei der Enthüllung von William H. Macys doppeldeutiger Gestikulation.
Riefenstahl
Regisseur Andreas Veiel verwandelt Tonbänder in ein filmisches Dokument von beklemmender Intensität – fast wie ein Horrorfilm, der das Aufkeimen des Neo-Faschismus vorwegzunehmen scheint. Die Aufzeichnungen enthüllen nicht nur Riefenstahls Selbstbezogenheit und Gier – wie ihr Geständnis, dass sie unter 5000 DM nicht auftreten würde, das sie am Telefon dem NSDAP-Architekten Albert Speer anvertraut – sondern verdeutlichen auch, dass es ihr stets nur um den eigenen Vorteil ging. Auch wenn die Dokumentation kaum völlig neue Erkenntnisse bietet, beeindruckt sie dennoch durch ihre tiefe Auseinandersetzung mit dem Versuch, hinter Riefenstahls sorgsam gepflegte Fassade zu blicken. Dabei entwickelt der Film mitunter eine befreiende Bissigkeit, die Riefenstahls Maskerade als ewige Missverstandene entlarvt.
River
Wenn man schon in einer Zeitschleife festhängt, wieso dann nichtmal Suizid versuchen?
Road House
Türsteher Dalton zeigt vor seinem ersten Parkplatz-Brawl eine unerwartete Sensibilität.
Robot Dreams
Der als Freddy Krueger verkleidete Faultier-Charakter war schlichtweg grandios und stahl die Show. Natürlich ist auch der Rest des Films richtig klasse.
Die Saat des heiligen Feigenbaums
Eine Verfolgungsjagd endet im Niemandsland. Plötzlich wird der Handy-Empfang wichtiger als eine Pistole – Kommunikation wird zur gefährlichsten Waffe.
Sad Jokes
In der Küche führen zwei Charaktere ein Gespräch über abgebrochene Therapien. Ein stiller, aber tief berührender Moment in einem Film, der tragischer Komik und komischer Tragik eine unaufgeregte Bühne gibt. Ausgestattet mit Herz, Lebendigkeit und dem Willen, das Absurde des Alltäglichen aus allen Distanzen zu begutachten.
Sasquatch Sunset
Im Finale treffen die zügellosen Bigfoots auf die moderne Gesellschaft – ein skurriles und unvergessliches Bild.
Smile 2 - Siehst du es auch?
Das dämonische Tanztheater im Luxusapartment der Protagonistin ist pure Gänsehaut.
Stop Making Sense (WA)
The Substance
Das gesamte Finale ist ein surrealer Höhepunkt.
Tatami
Die Spannung wird irgendwann unerträglich. Am Rande des großen Judo-Turniers, könnte jede Person eine Bedrohung für die Hauptfigur sein, die sich entschieden hat auch Abseits der Matte zu kämpfen - für sich, ihre Liebsten und freie Meinung.
Terrifier 3
Auch der dritte Teil ist kein guter Film, aber David Howard Thornton bleibt in seiner Rolle des Art the Clown faszinierend. Die anwachsende popkulturelle Relevanz dieser Figur ist beeindruckend, spannender sowie unterhaltsamer als alle Terrifier-Filme zusammen.
Trap: No Way Out
Josh Hartnett brilliert als Killer und Familienvater, der diese beiden Welten meisterhaft vereint.
Universal Language
Vergleiche sind zwar oft irgendwie blöde, aber Universal Language wirkte auf mich wie eine Verbindung von Jafar Panahi und Roy Andersson, Agha. Ein melancholisches Mosaik von Geschichten aus einer Zwischenwelt, dort, wo sich Realismus und Absurdität berühren und zärtlich die Hände halten – wie frisch Verliebte beim ersten gemeinsamen Spaziergang durch den Schnee, vorbei an beigen Wohnblocks.
Die Unschuld
Ein Wechselbad der Gefühle und Perspektiven. Als Regen und Schlamm gegen die Fenster eines Buswracks prasseln, scheint die Tragödie unausweichlich.
Verbrannte Erde
Die unnachgiebige Präzision, mit der Trojan agiert, macht jede Szene zu einem angespannten Genuss.
Die Wärterin
Eine Zigarette im Hof und plötzlich verschieben sich die Machtverhältnisse zwischen der Wärterin und dem Häftling, den sie so genau beobachtet.
Was will der Lama mit dem Gewehr?
Mit herzerwärmender Naivität wird nicht nur die Demokratie betrachtet, sondern auch die Faszination für Waffen und alte Agentenfilme.
We Live in Time
Die Tankstellenszene findet genau die richtige Balance aus Herzschmerz, Dramatik und Humor – ein Moment voller Wärme.
Der wilde Roboter
Mama Opossum weiht den Roboter in die Geheimnisse der Natur und Mutterschaft ein – eine bezaubernde Szene.
Woodwalkers
Ein Pumajunge und ein pubertierendes Wolfsrudel geraten in einer Schulszene aneinander – unfreiwillig komisch, aber absolut unterhaltsam.
Yes, Chef!
Purer Stress in einem Take, doch ein Moment der Menschlichkeit ragt heraus, als eine erfahrene Köchin die mentale Verfassung eines jungen Kollegen erkennt und für einen Augenblick die Zeit stillzustehen scheint.
The Zone of Interest
Sonnenbaden im Schatten der Verbrennungsöfen und ein verbrannter Brief, der die Unerträglichkeit der eigenen Mutter beschreibt. Dies sind nur einige der schmerzhaft eindringlichen Momente eines Films, der sich tief ins Bewusstsein gräbt.