MB-Kritik

Winter of the Crow 2025

Drama, Crime, Biography

Lesley Manville

Inhalt

Als in Polen über Nacht das Kriegsrecht verhängt wird, gerade als die britische Psychiatrieprofessorin Dr. Joan Andrews als Gastdozentin an der Universität eintrifft, gerät sie unvermittelt in den Konflikt. Bewaffnet mit ihrer Kamera wird sie Zeugin eines brutalen Mordes durch die Geheimpolizei und muss um ihr Leben fürchten. 

Kritik

Die Vergangenheit wirkt beunruhigend gegenwärtig in Kasia Adamiks (Bark) beklemmenden Totalitarismus-Thriller. Dessen spukhaftes Szenario, angelegt im winterlichen Warschau des Jahres 1981, könnte ebenso gut ein Blick in die Zukunft sein wie ein blutiges Kapitel der Geschichte ihres Heimatlandes. Dorthin reist die britische Psychologie-Professorin Dr. Joan Andrews (eine exzellente Lesley Manville, Disclaimer) auf Einladung der Studentin Alina (Zofia Wichłacz, Nobody Sleeps in the Woods Tonight 2), um auf einer Konferenz zu ihrem Fachgebiet zu sprechen. Schon die Ankunft verläuft strapaziös. Doch eine unbequeme Unterkunft und ein vortragstechnisches Fiasko sind bald ihre geringsten Probleme. 

Nicht nur die energische Protagonistin, auch das Kinopublikum achtete weniger auf die subtilen Warnzeichen als die logistischen und fachlichen Unannehmlichkeiten, mit denen die energische Protagonistin sich herumschlagen muss. Ihr Koffer geht am Flughafen verloren, der Vortrag wird von Studentenprotesten gegen das repressive System gekapert und statt eines Hotels hat Alina nur die Wohnzimmercouch anzubieten. Am nächsten Morgen steht statt Alinas Bruder Marek (Jakub Guszkowski) steht ein Panzer vor dem Häuserblock. Es ist der 13. Dezember und in Polen gilt das Kriegsrecht.

Andrews Verwirrung wandelt sich in Schrecken, als sie ungeahnt Zeugin von Mareks Ermordung durch die Miliz wird. Die mit ihrer Polaroidkamera aufgenommenen Fotos machen auch sie zur Zielscheibe der Staatspolizei, die gewaltsam gegen jede Form der Systemkritik und objektiven Berichterstattung vorgeht. Mangelnde Sprach- und Ortskenntnisse und der Verlust ihres Passes verwandeln Andrews Flucht zur Britischen Botschaft in eine Odyssee durch einen autoritären Alptraum. Die in stark entsättigten Grau-, Braun- und Schwarzabstufungen eingefangene Szenerie gleicht einem trostlosen Niemandsland, in dem düstere Betonbauten wie Grabsteine aufragen.

Kameraarbeit und Bildkomposition verstärken das Gefühl der Bedrohung und Isolation: Warschaus Straßen werden zum Betonlabyrinth, in dem frostbeschlagene Fenster und Autoglasscheiben diffuse Schatten und verzerren Konturen spiegeln. Krähenschwärme über den menschenleeren Straßen sind Symboltiere der Staatsmacht, die sie semantisch ankündigen: „Wron“ (polnisch: Krähen) ist das Kürzl der Wojskowa Rada Ocalenia Narodowego. Dass die Militär-Junta die Regierungsmachtnach dem dramaturgischen Stichtag übernahm, ist nicht die einzige historische Ungenauigkeit. Doch chronologische Brüche mindern kaum den surrealen Schrecken des Plots, der weniger Geschichtsdrama ist als politische Parabel. 

Fazit

Die Schneedecke versinnbildlicht zugleich politische Starre und Kaltbütigkeit des totalitären Systems in Kasia Adamik packendem Politthriller. In dessen dichter Atmosphäre verschmelzen Symbolismus und Historizität zu einer vorausschauenden Vision panthasmagorischer Paranoia. Dass die Regisseurin den Protagonisten Olga Tokarczuks zugrundeliegenden Kurzgeschichte durch eine Frauenfigur ersetzt, bereichert die Story nicht nur mit Lesley Manville eindringlicher Darstellung, sondern einer vernachlässigten Perspektive im Kalter-Krieg-Kino. Geprägt von der zeitkritischen Scharfsicht ihrer prominenten Mutter, aber stets autark beschwört ihre zweite Regiearbeit die Gespenster einer Geschichte, die weder abgeschlossen noch aufgearbeitet ist.

Autor: Lida Bach
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