Inhalt
Marie, eine ivorische Pastorin und ehemalige Journalistin, lebt seit zehn Jahren in Tunesien. Ihr Haus wird zum Zufluchtsort für Naney, eine junge Mutter auf der Suche nach einer besseren Zukunft, und Jolie, eine willensstarke Studentin, die die Hoffnungen ihrer Familie trägt. Die Ankunft eines kleinen Waisenmädchens stellt ihren Zusammenhalt in einem angespannten sozialen Klima auf die Probe und offenbart sowohl ihre Zerbrechlichkeit als auch ihre Stärke.
Kritik
Vier weibliche Figuren aus vier Generationen, vereint durch ihren ivorischen Hintergrund und den ungesicherten Aufenthaltsstaus am Handlungsschauplatz Tunis, suchen in Erige Sehiris kantigem Drama nach der bildhaften Erfüllung des mehrdeutigen Titels. Jene verweist auf die hochfliegenden Hoffnungen und schweren Opfer der ungleichen Charaktere, deren raue Gemeinschaft wenig mit einem kameradschaftlichen Ideal zu tun hat. Unsentimental und in einer schnörkellosen Optik, die stilistisch direkt an ihre dokumentarischen Arbeiten anknüpft, begleitet die tunesisch-französische Regisseurin den alltäglichen Existenzkampf in einem Milieu mehrfacher Marginalisierung.
In dieser eng verflochtenen migrantischen Gemeinde in der tunesischen Hauptstadt ist die ehemalige Journalistin und Pastorin Marie (Aïssa Maïga) erfahrene Autoritätsperson und Fürsorgerin für Neuankömmlinge. Eine solche ist die kleine Kenza (Estelle Kenza Dogbo), die scheinbar als Einzige den Untergang eines Schiffs mit Geflüchteten überlebt hat. Marie nimmt das Mädchen, das nichtmal sein genaues Alter zu nennt, bei sich auf, wie einst Naney (Debora Lobe Naney). Die junge Mutter strebt nach einer besseren Zukunft für ihre Kinder, die sie an der Côte d'Ivoire zurücklassen musste.
Im Gegensatz zu Naney und Marie hat die willensstarke Studentin Jolie (Laetitia Ky) einen tunesischen Pass, der sie jedoch nicht vor rassistischen Übergriffen der örtlichen Polizei schützt. Szenen ihre brutale Festnahme und Untersuchungshaft aufgrund von racial Profiling brechen mit unvermittelter Wucht in die episodische Handlung. Deren Mangel an narrativer Struktur verstärkt paradoxer die Aura emotionaler und sozialer Wahrhaftigkeit. Die ständige Angst vor systemischen Schikanen und Ausweisung versetzt die drei Frauen in ständige Anspannung und knüpft zugleich eine eiserne Solidarität, die in konstanter Unsicherheit zum essenziellen Schutz wird.
Fazit
Erige Sehiris zweite Spielfilm-Arbeit, die nach ihrer Premiere in Cannes in Marrakech im Wettbewerb antritt, übersetzt die Ungewissheiten und strukturelle Instabilität im Leben des weiblichen Figuren-Quartetts in ein dramaturgische Uneinheitlichkeit. Die impulsiven Vignetten geben haptische Einblicke in den Alltag der eigenwilligen Charaktere, denen buchstäblich die Daseinsberechtigung abgesprochen wird. Inspiriert von den realen Erfahrungen migrantischer Frauen, verweigert sich die sprunghafte Inszenierung narrativer Konvention. Die dokumentaristische Handkamera konzentriert sich auf Stimmungen, situative Konflikte und zwischenmenschliche Dynamik. Zusammen ergeben sie ein unfertiges Mosaik: brüchig, doch von beeindruckendem Naturalismus.
Autor: Lida Bach