Inhalt
Isabelle ist fassungslos, als sie am Wochenende nach Hause kommt und feststellt, dass ihr Vater bereits seit drei Tagen tot und begraben ist. Seltsamerweise versteht ihre Mutter nicht, warum sie so verzweifelt ist.
Kritik
Die unscharfe Grenze zwischen Individuum und Familie, Symbiose und Parasit, Degenration und Regeneration markiert das dramaturgische Areal Raymond St-Jeans philosophischer Kreuzung von Beziehungsdrama und Body-Horror. Dessen titelgebende Adern sind zugleich die Impulse einer in ihrer Friedfertigkeit enorm machtvollen Natur und die Bande Inter Familiengemeinschaft, die enger zusammenwächst, gerade im Moment des scheinbaren Zerfalls. Diese Erosion auf körperlicher und emotionaler Ebene bestimmt das Anfangsszenario des hintergründigen Gothic-Grusels, der seine Handlungsstränge parallel in Vergangenheit und Zukunft erstreckt.
Die junge Isabelle (Romane Denis) reist nach Jahren des Kontaktabbruchs mit ihrer Partnerin in den fast verlassenen Provinzort Saint-Étienne, wo ihre altersschwachen Eltern und ihr Onkel umgeben von dichten Wäldern leben. Ihre Mutter (Marie-Thérèse Fortin, Die Trauerfeier) die seltsam abwesend wirkt, enthüllt der schockierten Isabelle, dass ihr Vater seit Tagen tot sei. Ihr Onkel enthüllt ihr, dass auch ihr schwerkranker Cousin verstorben ist und der alte Familienhund verschwunden. In dieses verdächtige Verschwinden verwickelt scheint der undurchsichtige Dr. Toupin (Sylvain Marcel,Les Jours heureux), dessen botanische Experimente buchstäblich seltsame Blüten treiben.
Hin- und hergerissen zwischen Trauer, Verwirrung und Verdacht beginnt die misstrauische Protagonistin im Stil klassischer Gothic-Heldinnen eigene Nachforschungen in der trügerisch idyllischen Waldlandschaft. Waldlichtungen, Holzhütten und fantastische Fauna verwachsen zur malerischen Kulisse eines meditativen Schauermärchens über den Kreislauf der Natur, Verfall und Neubeginn sowie Endlichkeit und Überdauern. Körperliche Metamorphosen sind in diesem elegischen Szenario beängstigend, aber auch von fremdartiger Schönheit. In gleicher Form zeigt sich das Lebensende, dem mehrere der teils schwerkranken Charaktere entgegensehen, immer weniger als absoluter Endpunkt denn als Übergangsphase in ein neues Sein.
Fazit
Oszillierende zwischen klassischen Horror-Elementen und märchenhaften Motiven erbaut Raymond St-Jeans kontemplatives Genre-Werk ein botanisches Grusel-Kabinett von existenzialistischer und ethischer Tiefgründigkeit. Autonomie über den eigenen Körper, sowohl im Leben als auch im Tod, manifestiert sich als gemeinsames Ziel, dass jede der Figuren für sich unterschiedlich definiert. Der objektive Kamerablick auf phantastische Verwandlungen hinterfragt konventionelle Konzepte von Körperhorror und Körperheilung. Überzeugende Maske und Prothetik verleihen den physischen Prozessen neben Realismus eine seltsame Schönheit. In Einklang mit diesem Konzept verzichtet die ruhige Inszenierung auf rabiate Scares zugunsten leisen Grauens.
Autor: Lida Bach