MB-Kritik

The Currents 2025

Drama

Sara Bessio
Esteban Bigliardi
Jazmín Carballo
Emma Fayo Duarte
Ernestina Gatti
Isabel Aimé González-Sola
Claudia Sánchez

Inhalt

Während einer Geschäftsreise nach Genf führt Linas impulsive Entscheidung zu gefährlichen Konsequenzen. Zurück in Buenos Aires versucht sie, ihr Geheimnis zu begraben, doch die dunkle Vergangenheit, die sie hinter sich gelassen hat, taucht wieder auf und bedroht ihr jetziges Leben.

Kritik

“Nichts ist originell”, bemerkt die undurchsichtige Protagonistin Milagros Mumenthalers (La idea de un lago) konzentrierter Charakterstudie in einer Szene, die wie ein indirektes Eingeständnis und eine Rechtfertigung gegenüber dem Kinopublikum wirkt, “Was zählt, ist deine Perspektive.” Die der argentinisch-schweizerischen Regisseurin fesselt mit einer gleichermaßen seltenen und subtilen Mischung aus formaler Strenge und menschlicher Empathie gegenüber einer Hauptfigur, deren Prestige und Privilegien Mitgefühl mit ihrer Verfassung ebenso schwierig machen wie ihre Persönlichkeit und Physis. Die junge Modedesignerin Lina (Isabel Aimé González-Sola, Voll ins Leben) hat scheinbar alles: beruflichen Erfolg, Wohlstand, eine adrette Familie, gutes Aussehen und professionelle Anerkennung in Form eines Designer-Awards. 

Die Trophäe wirft sie kurz nach der Preisverleihung in den Müll und sich selbst von einer Brücke in die eiskalten Fluten. Auf jene bezieht sich der mehrdeutige Filmtitel ebenso wie auf die emotionalen Strömungen, die Lina zu der impulsiven Tat bewegen, und den Sog einer lange begrabenen Vergangenheit, deren Trauma wieder in ihr hervorbricht. Doch das diffizile Psychogramm ist keines jener freudianischen Dramen, in dem die Enthüllung des Verdrängten prompte Genesung von den seelischen Schmerzen bringt. Mumenthaler und Kameramann Gabriel Sadru vermessen stattdessen die feinen Risse in Linas makelloser öffentlicher und privater Fassade.

Symbolträchtigster und skurrilster dieser Brüche mit der gesellschaftlichen Rolle, die Lina selbst gegenüber ihrem Gatten Pedro (Esteban Bigliardi, The Delinquents) und Tochter Sofia (Emma Fayo Duarte) nicht ablegen kann, ist eine akute Aquaphobie. Seit dem Suizid-Versuch kann sie Wasser auf der Haut nicht mehr ertragen. Diese Furcht ist so extrem, dass ihre Jugendfreundin Amalia (Jazmín Carballo, In seinen Händen) sie mit Betäubungsmittel ruhig stellen muss, um sie zu waschen. Solche Momente balancieren an der Grenze zur Groteske, ebenso wie Linas organisch aus der Realität hervorgehende Tagträume, in denen sie die Ängste hinter den Masken ihrer Mitmenschen sieht. 

Doch die in klare Bilder in satter, fast expressionistischer Farbintensität gefasste Inszenierung verliert nie den dramaturgischen Halt. Die wachsamen Close-ups und langen Zooms lenken den Fokus immer wieder auf das Innenleben, von dem die Hauptfigur so wenig offen preisgibt. Visuell Manierismen und die schwelgerische klassische Musik spielen gekonnt mit Verweisen auf die melodramatischen Heldinnen Douglas Sirks und verfolgten Frauen in Hitchcocks Thrillern. Diese subtile Ironie richtet sich indes nie gegen die Protagonistin, sondern vielmehr das aus einem patriarchalischen Blickwinkel geformte Klischee neurotischer Weiblichkeit, gegen das Lina sich abschirmt. Was zählt, ist die Perspektive und Mumenthalers ist von beeindruckender Präzision.

Fazit

Mit sparsamer Stilistik und bemerkenswerter kompositorischer Klarheit entwirft Milagros Mumenthaler ein hypnotisches Porträt psychologischer Repression und deren Folgen. Spiegelungen von Fenstern, glatten Flächen und Wasser doppeln und fragmentieren sinnbildhaft die schroffe Protagonistin, kongenial verkörpert von Isabel Aimé González-Solas als Gefangene zwischen psychischer Starre und Zerfall. Der zentrale Kampf des herausfordernden Charakterdramas ist der mit der gesellschaftshierarchischen Identität: einem klassistischen Makel, den ein ausgesucht elitäres Image nicht auslöschen kann. Ästhetisch und psychologisch gleichermaßen ausgefeilt, ist der dramatisch reduzierte Plot ein narratives Pendant zur Protagonistin. Der Perfektionismus wahrt bis zuletzt emotionale Distanz zum Geschehen.

Autor: Lida Bach
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