Inhalt
Der französische Journalist Albin Mercier träumt von einer Karriere als Schriftsteller, der Erfolg lässt jedoch auf sich warten. Stattdessen wird er von seiner Redaktion nach Deutschland geschickt, um in belanglosen Artikeln über das Leben im einstigen Feindesland zu berichten. Vor der Toren Münchens lernt er per Zufall den angesehenen Autor Andreas Hartman und seine französischstämmige Gattin Hélèn kennen. Fortan wird er Dauergast in ihrem luxuriösen Heim, innerlich kocht dabei jedoch seine Eifersucht hoch. Zunächst nur auf den Ruhm und Erfolg von Hartman, schnell aber umso mehr auf die Zuneigung von Hélèn, was tragische Konsequenzen zur Folge hat.
Kritik
Die Epoche der Nouvelle Vague wird in erster Linie oftmals in Verbindung gebracht mit Namen wie Louis Malle (Fahrstuhl zum Schafott), François Truffaut (Sie küssten und sie schlugen ihn) oder Jean-Luc Godard (Außer Atem), wobei der langlebigste Regisseur dieser Bewegung eindeutig der leider viel zu oft unerwähnte Claude Chabrol war. Bis kurz vor seinem Tod im Jahr 2010 mit 80 Jahren war er für knapp 100 Regiearbeiten verantwortlich, darunter etliche Klassiker des französischen Kinos. Von Anfang bis Ende waren diese gekennzeichnet durch einen sezierenden, gerne bitterbösen Blick auf das aktuelle Zeitgeschehen und die Abgründe hinter dem augenscheinlich makellosen Vorhang der gehobenen Gesellschaft, der wahrhaft Barbarisches offenlegte. So auch bei einem seiner frühen Werke Das Auge des Bösen, mitten in der Hochphase der Nouvelle Vague.
Albin (Jacques Charrier, Die sich selbst betrügen) wird von einer französischen Zeitung nach Bayern geschickt. In einer kleinen Gemeinde am Starnberger See soll er über das Alltagsleben der Deutschen berichten, mit denen man nach Jahrzehnten erbitterter Feindschaft nun langsam die Annährung forcieren will. Aufgrund seiner guten Sprachkenntnisse wurde Albin - der sich eigentlich mehr als Schriftsteller sieht, in diesem Metier aber bisher komplett erfolglos ist – für diese relativ unspektakuläre und sogar trostlose Mission auserkoren, doch selbst das schützt ihn nicht vor einer sozialen Isolation. Der bayrische Akzent ist dabei wohl der geringste Stolperstein, viel mehr ist es sein Dasein als Fremder, Außenseiter und nicht zuletzt (auch wenn nie im Film so ausformuliert) „Kriegsgegner“, der ihm eine Integration in jedweder Form erschwert. Nah an der Depression macht er mehr oder weniger zufällig Bekanntschaft mit seiner Landsmännin Hélène (Stéphane Audran, Der diskrete Charme der Bourgeoisie), der Ehegattin von Andreas Hartman (Walther Reyer, Sissi - Die junge Kaiserin), dem strahlenden Schriftsteller-Stern des aufblühenden Wirtschaftswunderlands.
Albin wird zum dauerhaften, gerne gesehenen Hausfreund in der prunkvollen Villa des Paars. Sie suhlen sich in ihrem gemeinsamen Glück und dem sorglosen Wohlstand, neidisch und dennoch einschmeichelnd gebart sich Albin, während in ihm Eifersucht und Neid unübersehbar brodeln. Was heißt unübersehbar? Claude Chabrol generiert das komplette Narrativ von Anfang aus der Perspektive seiner Hauptfigur und macht von daher nie einen Hehl über deren Gefühlslage. Wir sehen einem angehenden Psychopathen dabei zu, wie er aufgrund sozialer Isolation, Perspektivlosigkeit, persönlicher Enttäuschung, Neid und vor allem auch amouröser Begierde sich in einem Netz verstrickt, das eigentlich für alle Beteiligten abzusehen sein müsste, aber erst realisiert wird, als es längst zu spät ist. Die Gründe dafür waren bei Claude Chabrol stets vergleichbar: die gutsituierte Schicht kehrt ungern vor der eigenen Haustür und züchtet das Elend dadurch erst unweigerlich. Aus Ignoranz und Dekadenz entsteht eine Schieflage, die eine angeblich gönnerhafte Koexistenz völlig unmöglich macht und folgerichtig in einer Katastrophe enden muss. Das Publikum begreift das schnell, die Figuren sind unmissverständlich charakterisiert, dennoch ist man weit weg von einer stumpfen Schablone. Der Reiz des Films besteht speziell in diesem eindeutig ausformulierten Konfrontationskurs, bei dem es nicht darum geht, ob der Aufprall kommt, sondern nur wann und wie fatal die Konsequenzen sein werden.
Fazit
Die grimmigen Gesellschaftssatiren des Claude Chabrol mögen teilweise überzeichnet wirken, aber genau das war nicht nur ihre Intention, sondern auch ihre Stärke. Speziell zu einer Zeit, als der Realismus des französischen Kinos quasi ein Dogma war. Denn Chabrols Filme sind dennoch unbequem realistisch und enthüllen erst etwas Unvorstellbares, was sich keinesfalls von der Realität entfernte, sondern lieber totgeschwiegen wurde. Die Mischung aus sozialer Schieflage, individuellen Befindlichkeiten und niemals thematisierten Psychosen sind und waren immer Nährboden für Tragödien, über die jeder hinterher gerne sagt „man hätte es niemals kommen sehen“. Damit beschäftigte er sich nahezu seine gesamte Karriere hinweg und „Das Auge des Bösen“ legte dafür einen der frühen Grundsteine.
Autor: Jacko Kunze