7.0

MB-Kritik

Of Dogs and Men 2024

Drama

7.0

Ori Avinoam
Yamit Avital
Nora Lifshitz
Lihu Nitzan

Inhalt

Die Geschichte der Protagonistin Dar ist fiktional, doch das Set ist real: Der zerstörte Kibbuz Nir Oz, nur wenige Hundert Meter von der Grenze zum Gazastreifen entfernt. Auf der Suche nach ihrem Hund wird Dar Teil des militärischen Alltags – zwischen Soldaten, Helfern und Überlebenden.

Kritik

Gesehen beim 31. Jüdischen Filmfestival Berlin Brandenburg

Am 7. Oktober 2023 überfielen rund 150 Terroristen der Hamas die Siedlung Nir Oz (ein Kibbuz im Süden Israels) und ermordeten und entführten ein Drittel der etwa 400 Bewohner. Of Dogs an Men wurde kurz nach dem Terrorangriff direkt vor Ort gedreht. Bei diesem Drama handelt es sich um eine Mischung aus einer Doku und einem Spielfilm, der die Geschichte eines jungen Mädchens erzählt, das in den Kibbuz zurückkehrt, um ihren Hund zu finden. Für diesen Film gab es kein Drehbuch, es gab nur eine Idee und eine Rahmenhandlung, die das Leben selbst vorgab. Als der Regisseur Dani Rosenberg (The Vanishing Soldier) von dem Massaker erfuhr, meldete er sich freiwillig, um die Augenzeugenberichte zu dokumentieren. Dabei traf er ein Mädchen, deren Eltern entführt wurden. Dieses Mädchen hat ihn durch seine Widerstandsfähigkeit und ihren Lebensmut sehr beeindruckt und er entschied sich dafür, einen Film über eine junge Frau zu drehen, deren Mutter entführt wurde und deren Hund weggelaufen ist. Diese junge Frau macht sich dann auf den Weg in den Kibbuz. Für die Rolle des Mädchens engagierte Dani Rosenberg eine Schauspielerin (Ori Avinoam) und diese Schauspielerin ließ er durch die zerstörten Orte spazieren und mit den echten Menschen reden, denen ein großes Unglück widerfahren ist. Es gab bei diesem Film keinen vorgegebenen Text, sondern alle Dialoge wurden improvisiert und den echten Menschen wurde als Regieanweisung mitgeteilt, dass sie sich vorstellen sollen, dass die Schauspielerin eine von ihren Bekannten ist, die auch im Kibbuz gewohnt hat.

Die Tatsache, dass Of Dogs and Men an dem Ort des Massakers gedreht wurde, ist sowohl die größte Stärke als auch die größte Schwäche des Films. Einerseits ist es sicherlich mutig in einem Kriegsgebiet zu drehen, während ständig der Raketenabwehralarm losgeht, doch anderseits ist es auch ziemlich bizarr, dass ein Filmteam zu Beginn des Krieges in ein Kriegsgebiet fährt, um sich wie die Geier auf das echte Leid der Menschen zu stürzen. Das erscheint äußerst problematisch, denn egal wie authentisch der Film ist, weil er viele echte Menschen enthält, die Hauptdarstellerin ist eine Schauspielerin und das hat natürlich einen faden Beigeschmack, dass man eine Schauspielerin auf die echten Menschen loslässt, die so viel Leid erfahren haben. Viele Menschen, die sie kennen, wurden umgebracht oder entführt, die Häuser wurden zerstört und man lässt, eine unbeteiligte junge Frau durch die Gegend rennen und nach ihrem imaginären Hund suchen und, um ihre vermeintlich entführte Mutter trauern. Wenn man darüber nachdenkt, dann kann das Filmteam froh sein, dass sie von allen so gut aufgenommen wurden.

Sicherlich wollten die echten Betroffenen, dass man ihre Geschichte der ganzen Welt erzählt, doch es ist fraglich, ob sie es auch in dieser Form wollten. Statt eine Dokumentation zu drehen, wird hier etwas erschaffen, dass die Opfer als Figuren eines Spielfilms instrumentalisiert. So edel die Absichten des Regisseurs auch sein mögen, es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass es ihm unter anderem darum geht, sich zu profilieren. Wenn es wirklich nur darum gehen würde, vom Leid der Menschen zu berichten, dann hätte er auch bei einer Dokumentation bleiben sollen. Bei der Art und Weise wie der Film gedreht wurde, scheint es fraglich zu sein, ob ein nötiger Respekt vor den echten Menschen tatsächlich vorhanden war. Der Regisseur selbst ist sich noch nicht sicher, ob dieser Film in Israel rausgebracht werden soll, weil er bezweifelt, ob er bei jedem gut ankommt. Dabei macht er sich Gedanken, ob man in Israel damit klarkommt, dass der Film sich deutlich positioniert und zeigt, dass auf der anderen Seite auch echte Menschen stehen und, dass sie genauso wie die Israelis viele Opfer zu beklagen haben. 

Es mag zwar auch ein Grund für die potenzielle Ablehnung des Films sein, doch es ist bei weitem nicht der einzige Grund. Was viel schlimmer ist, ist die Tatsache, dass die Menschen,  so kurz nach dem traumatischen Ereignis zum Zweck des Drehs eines Spielfilms ausgenutzt werden. Wenn man kurz über all die Opfer nachdenkt, die ihre Freunde und Verwandte verloren haben, weil sie entführt, gefoltert und getötet wurden, dann erscheint es geradezu abstoßend, dass man durch den Ort, an dem sie kurz vorher friedlich und glücklich gemeinsam gelebt haben, eine Schauspielerin laufen lässt, die immer wieder den Namen eines Hundes ruft. Dabei erweckt der ganze Film den Eindruck, als wäre das Mädchen eine echte Überlebende und man lässt sie trauern und weinen und bedeutungsvoll in die Kamera schauen. Sicherlich erfährt man spätestens beim Abspann, dass sie nur eine Schauspielerin ist, doch wie viele Leute schauen sich heutzutage überhaupt noch den Abspann an oder beschäftigen sich in voller Ausführlichkeit mit den Filmen? Der durchschnittliche Kinobesucher wird sich diesen Film ansehen und glauben, dass alles an diesem Film echt ist und es verwundert nicht, wenn die echten Überlebenden diesen Film nicht gut aufnehmen werden.

Es ist in der Tat schwer, diesen Film zu bewerten, weil Dani Rosenberg definitiv edle Absichten verfolgt, nur die Art und Weise der Umsetzung ist pietätlos. Wenn man jedoch das alles außer Acht lässt, ist der Film informativ, emotional und erzählt die Geschichte der Menschen, die momentan nicht für sich selbst sprechen können. Die Hauptdarstellerin spielt gut und die echten Menschen, die interviewt worden sind, überzeugen logischerweise mit ihrer Authentizität, weil sie nun mal echt sind. Man lässt das Mädchen lange durch zerstörte Orte laufen und auf ihrem Handy echte Videos von Entführungen ansehen. Nebenbei läuft immer wieder die Stimme aus dem Off, die ein Tagebuch ihrer entführten Mutter vorliest. Das Tagebuch ist komplett fiktiv und stammt aus der Feder von Rosenberg. Mit genügend Abstand zu dieser Thematik, vermag der Film durchaus zu überzeugen. Kein Wunder, dass er beim diesjährigen jüdischen Filmfestival gewonnen hat. Doch Einheimischen und Opfern des Anschlags kann man den Film definitiv nicht empfehlen, weil er nicht mal ansatzweise ihren echten Schmerz wiederzugeben vermag.

Fazit

"Of Dogs and Men" ist in vielerlei Hinsicht problematisch, weil er zu sehr den Eindruck einer echten Doku erweckt, jedoch mit einer Schauspielerin ausgestattet wurde, die am Ort des Massakers mit echten Überlebenden redet oder durch den Ort der Zerstörung spaziert, um ihren Hund zu finden. Die Überlebenden wissen, dass sie nur eine Darstellerin ist, sollen sich jedoch vorstellen, dass sie eine von ihnen ist. Aus filmischer Sicht ist dieser Film emotional, beeindruckend und gut gemacht, doch aus zwischenmenschlicher Sicht ist es abstoßend, wie hier echte Überlebende zum Zwecke der Erschaffung eines Spielfilms instrumentalisiert werden. Wäre Rosenberg komplett bei der Dokumentation geblieben, wäre es großartig gewesen, dann hätte er bewiesen, dass es ihm wirklich nur darum geht, den Menschen eine Stimme zu leihen, die keine Stimme haben. Doch er wählte einen anderen Weg und das Endergebnis seines kreativen Schaffens fühlt sich leider so an, als hätte sich ein Geier rücksichtslos auf das Leid der Menschen gestürzt.

Autor: Yuliya Mieland
Diese Seite verwendet Cookies. Akzeptieren.