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Quelle: themoviedb.org

Inhalt

Alex verläßt mit seiner Frau Vera und seinen beiden Kindern die Stadt und fährt in das leerstehende Landhaus seines Vaters, um dort einige Tage auszuspannen. Das erhoffte Familienglück zerbricht, als seine Frau Alex gesteht, daß sie ein Kind erwartet, das nicht von ihm ist. Erzürnt verlangt er eine Abtreibung, und sein Bruder Mark organisiert jemanden, der diese illegal direkt im Landhaus vornimmt.

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Quelle: themoviedb.org

Kritik

Auf der Wikipedia-Seite des russischen Regisseurs Andrey Zvyagintsev (Leviathan, Loveless) sieht man ein Foto von ihm und Wladimir Putin, nachdem ersterer durch seinen Debütfilm The Return - Die Rückkehr international Aufsehen erregt hat. Es ist ein Bild, das einen seltsamen Effekt auf den Betrachter auswirkt - schließlich gelten Zvyagintsevs Filme als anti-russisch. Sein oscarnominiertes Werk Leviathan entfachte Gedanken über Verbote von „staatsfeindlichen Filmen“ und das Thema der gesellschaftlichen Unterkühlung und Entfremdung scheint der Kernpunkt seiner ganzen Filmographie zu sein. Doch wie viel Politik steckt wirklich in seinen Filmen? Wie viel Politik darf überhaupt in seinen Filmen stecken? Und überhaupt: Ist Die Verbannung, als Zvyagintsevs am wenigsten erfolgreicher Film, auch sein schlechtester?

Der Film beginnt in einer spröden, braunen Landschaft. Mittendrin steht jedoch ein oasisch anmutender Baum. Ein Gewächs, das zunächst als Held der Einstellung fungiert und dann völlig verschwindet, als ein Wagen ins Bild kommt und an dem Baum vorbeidonnert. Der Blick für das Paradies, zu einer absurd kleinen Größe geschrumpft, ist dem Mensch keine Millisekunde wert. Das Auto kämpft ewig gegen ansteigende Straßen und bleibt erst Stunden später stehen, in den menschen- und seelenlosen Industriebezirken einer Großstadt. Rostiger Stahl, nasskalter Asphalt, tiefe Narben und niemand, der sich für sie interessiert. Erst nach zweihundert Sekunden offenbart der Regisseur, wer in dem Auto sitzt, warum dieser Mensch so hetzt und welche Körperflüssigkeiten aus den offenen Wunden fließen. Woher die Wunden stammen bleibt offen. Zvyagintsev nutzt diese ersten knapp drei Minuten nicht etwa, um die Namen der Filmschaffenden in die weiten Einstellungen zu integrieren. Er nutzt sie, um in aller Einsamkeit das Setting zu etablieren, den Herzschlag des Zuschauers zu erschweren und positive Gedanken abzubinden.

Der beste russische Regisseur des pessimistischen sozial-politisch-gesellschaftlichen Abgrundes eines (hier) anonymen Landes, nimmt mit seinem kritischen Blick und seiner losen Adaption der Kurzgeschichte The Laughing Matter von William Saroyan eine Familie derart auseinander, dass es alsbald schmerzt. In den Nieren, im Herzen, in den Knochen. Allein wie er die vierköpfige Familie, sobald sie zum ersten Mal komplett im Bild ist, in einem Bahnabteil inszeniert, ist große Klasse. Die Sichtachsen der vier Menschen gehen asymmetrisch in alle Richtungen. Kein Blick wird erwidert, kein Wort gesprochen. Die Kinder scheinen zu schlafen, der Familienvater tut zumindest so, damit kein unnötiger oder unangenehmer oder uninteressanter Kontakt entstehen muss: Eine Familie auf dem Weg in den Urlaub. Ein Urlaub, der den Film zurück zu diesem einen paradiesischen Baum, dem Ort der ursprünglichen Sünde, führt. Allein mit der Vegetation baut Zvyagintsev dabei ein feines Gespür für Suspense und böse Vorahnungen auf. Sobald sich diese bewahrheiten, muss die Hauptfigur erneut einen endlosen Berg erklimmen, diesmal zu Fuß, diesmal einer, der den ewigen Schatten auf die Welt zwingt.

Als Alexander (Konstantin Lawronenko, The Last Warrior) mit der bösen Nachricht konfrontiert wird (seine Frau (Maria Bonnevie, Zweite Chance) ist schwanger, aber nicht von ihm), flieht er zunächst. Er folgt dabei seinen Instinkten, unterbindet sie aber auf halber Strecke. Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis er mit seiner Frau über die Situation sprechen wird. Zunächst sucht er Kontakt zu seinem Bruder (Aleksandr Baluev, Antikiller). Entweder er töte sie, oder er vergebe ihr. Grauzonen gibt es nicht mehr in dieser Gesellschaft der tiefschwarzen Augenringe. Folgend formuliert Zvyagintsev gekonnt, wie sich die von innen verrottende Gesellschaft blind auf ebenso marode Pfeiler stützt. Wert Nr. 1: Die Familie, die sich selbst verrät, zerstört und unterdrückt. Wert Nr. 2: Menschliche Nähe, die hier in einer grotesken Form der Entfremdung wiederfindet, auch durch die Verfremdung des naturalistischen Kinos von Zvyagintsev. Dieser verbindet das Ehedrama mit stilistischen Thrillerelementen und klassischen Eindrücken des Horrorfilms. Wert Nr. 3: Glauben, in einer Gesellschaft mit seltsam verrückten Heiligtümern: Die kleine Kapelle steht in einem derart unebenen Gebiet, das sie dort überhaupt nicht hineinpassen mag. In einem von Gott verlassenen Ort, bei dem Gerechtigkeit nur „eine Meinung“ ist und nichts erhört wird - weder Gebete, noch Schreie, weder Bitten noch Flehen.

Zvyagintsev inszenierte bis dato fünf Filme. Vier davon liefen in Cannes, einer in Venedig. Bis auf Die Verbannung erhielten all seine Werke einen Preis der Festivals. Bis auf Die Verbannung erhielten all seine Filme einstimmiges Lob. Das ist dafür bemerkenswert, dass der Regisseur vor allem schwer verdauliche Werke inszeniert. An Die Verbannung scheiden sich dabei teils die Geister - wobei die kritischen Stimmen hauptsächlich mechanisch-dramaturgische Entscheidungen des Films kritisieren. Diese Stimmen haben nicht Unrecht: Es passiert es dem Film alle fünfzig Minuten, eine seltsam ungelenke Szenenkombination zu nutzen. Doch wiegen diese kleinen Sandkörner im Getriebe nicht ansatzweise die zum Himmel schreienden Qualitäten des Films auf. Wie viel Politik steckt in seinen Filmen und wie viel darf überhaupt drin stecken? Scheinbar steckt genug drin, um Verbote in Russland zu bewirken, andererseits anscheinend nicht viel genug. Lässt sich die Beziehung zwischen Alex und seinem Bruder sicherlich als Nepotismus lesen, bleibt Zvyagintsev hier stets allegorisch, nie wird er konkret. Das änderte sich in Leviathan, wo die Politik als pechschwarzes System gezeigt und Putin als Porträt an den Wänden hängt. Ob das alles Zvyagintsev bewusst war, als er den russischen Präsidenten nach seinem Erstlingswerk traf?

Fazit

Mit „Die Verbannung“ hat Andrey Zviagintsev einen hochbrisanten und unangenehmen Film inszeniert, der hauptsächlich in Industriekomplexen und stiller Natur spielt. Letztere wurde von Gott verlassen, aus erster wurde er herausgedrängt. In völliger Ruhe nimmt sich der Regisseur dabei zwei Stunden Zeit, um den Abwärtsstrudel einer Gesellschaft zu bebildern. Dann widmet er sich eine halbe Stunde den Hintergründen. Er zeigt erst eine Seite des Konflikts, dann füllt er die Schattenseiten nachträglich aus und beendet alles als großartiges Crescendo des Klagens.

Kritik: Levin Günther

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