Einen Sommer lang kann rückblickend vielleicht als einer der wichtigsten, wenn auch nicht bekanntesten Filme aus dem umfangreichen Schaffen von Ingmar Bergman (Fanny und Alexander) bezeichnet werden. Der schwedische Filmemacher erklärte in einem späteren Interview, dass er hier erstmals zu dem sicheren Stil fand, der alle seine weiteren Werke prägen würde und bei einer umfassenden Betrachtung seines Œuvre lässt sich das auch für das Publikum deutlich erkennen. Rein inszenatorisch und handwerklich treten hier die späteren Markenzeichen von Bergman markant zutage, wie der starke Fokus auf eine klare Bildsprache und bis ins kleinste Detail ausgefeilte Kamerapositionen, aber auch inhaltlich und vor allem symbolisch finden sich hier bereits etliche Punkte, die sich wie ein roter Faden durch seine gesamte Karriere ziehen.
„Bau‘ eine Mauer um dich, dass auch die Erinnerung nicht an dich herankommt!“
Erinnerungen an einen Sommer vor 13 Jahren holen Marie (Maj-Britt Nilsson, Sehnsucht der Frauen) schlagartig ein, als ihr von einem Unbekannten das Tagebuch ihres einstigen Geliebten Henrik (Birger Malmsten, Das Schweigen) zugeschickt wird. Um diese verarbeiten zu können, begibt sie sich auf die Spuren jener Sommerromanze. Während sie die Insel aufsucht, auf der sie und Henrik sich damals kennen und lieben lernten, wird das Publikum mitgenommen auf eine Zeitreise und lernt dort eine andere Marie kennen, als wir sie vorher erleben konnten. Damals war sie eine unbekümmert, aufgrund ihres grenzenlosen Optimismus beinah schon etwas naiv wirkende junge Frau, deren pure Lebensfreude dafür so ansteckend wie anziehend war. Ihrem Charme verfällt neben ihrem - diesbezüglich nicht nur geringfügig unangenehmen – Patenonkel auch der deutlich pessimistisch gestimmtere Henrik, der sich vom Leben stets ungerecht behandelt fühlt. Trotz einiger Widrigkeiten gelingt es Marie, den griesgrämigen Henrik immer mehr aus seinem Schneckenhaus zu locken, doch ein schwerer Schicksalsschlag wird dafür sorgen, dass sie heute diese verschlossene und nur noch auf ihre Arbeit fokussierte Frau ist, die nichts mehr mit ihrem Früheren Ich zu tun haben scheint.
Den Werdegang von einem zum anderen Extrem schildert Ingmar Bergman in seiner gewohnt empathischen wie aber auch entlarvenden Form, in dem er tief in die Gefühlswelt seiner Protagonistin blicken lässt und die Gründe für ihr völlig verändertes Wesen nachvollziehbar darlegt. Durch die auf Rückblenden bauende Erzählstruktur werden die Gegensätze zum Damals und Heute in einem krassen Kontrast gestellt und erst gen Ende finden „die beiden Maries“ erst zu einem Menschen zusammen. Dadurch wirkt Einen Sommer lang für Bergman-Verhältnisse zwischenzeitlich gar heiter und unbeschwert, ganz dem sommerlichen Urlaubs-Idyll angemessen, was die Differenz zu der zeitgleich stattfindenden, schweren Traumabewältigung nur umso effektiver gestaltet. Das geht am Ende natürlich nicht ohne eine längst überfällige Konfrontation mit den tief vergrabenen Ängsten, Emotionen und vor allem einer Reflektion des eigenen Ichs von statten, dennoch versinkt der Film dabei nicht in vollends in schwermütiger Tristesse. Im Gegenteil, das Ende schürt tatsächlich begründete Hoffnung auf eine Erlösung zum Besseren hin, auch wenn es bis dahin noch ein längerer Weg sein könnte. Aber einfach und problemlos geht es bei Bergman eh nie, denn so ist das Leben nun mal auch nicht.
Interessant in Bezug auf den weiteren Werdegang des Regisseurs selbst sind hier die bereits zahlreich vorhandenen Anknüpfungspunkte an spätere Werke. So lädt Marie Henrik beim „ersten Date“ zu ihrem geheimen Ort ein, an dem Wilde Erdbeeren wachsen; Henriks zwar schon damals totkranke, aber vom Tod scheinbar nie geholte Mutter tritt selbst auf wie der Sensenmann in Das siebente Siegel – inklusive des berühmten Schachspiels – und auch andere immer wiederkehrenden Bergman-Referenzen wie das Theater, ein ambivalenter Bezug zur christlichen Religion und die stetige Auseinandersetzung zwischen Liebe, Verlust, Trauer und Erlösung sind jederzeit allgegenwärtig.
„Du wagst dich nicht abzuschminken, weil du Angst vor deinem Gesicht hast.“