6.1

MB-Kritik

Miroirs No. 3 2025

Drama

6.1

Paula Beer
Barbara Auer
Enno Trebs
Matthias Brandt
Victoire Laly

Inhalt

Die junge Berliner Klavierstudentin Laura (Paula Beer) wird in einen Autounfall verwickelt, bei dem ihr Freund ums Leben kommt. Wunderbarerweise überlebt Laura den Unfall unverletzt und wird von Betty (Barbara Auer) und ihrer Familie aufgenommen. Bei ihnen verbringt sie einige Zeit und findet Trost und Unterstützung, um ihr Leben wieder auf die Reihe zu bekommen. Doch mit der Zeit bemerkt sie, dass etwas mit der Familie nicht stimmt. Laura beginnt, sich zu fragen, wer diese Menschen wirklich sind und welche dunklen Geheimnisse sie verbergen.

Kritik

Die Filme von Berliner-Schule Urgestein Christian Petzold (Phoenix) kreisen seit jeher um die Themen Projektion und Identifikation und begreifen die kinematographische Erfahrung als essenziellen Bestandteil von deren Wirkungskraft. Sich hinfort projizieren will sich dieses Mal nicht ein mürrischer Amateurschriftsteller, wie in Petzolds vorherigen Film Roter Himmel, sondern Paula Beer (Das finstere Tal) als verträumte Piano-Studentin der Universität der Künste. Wie eine direkte Anknüpfung eint beide eine unangenehme Freundesgruppe, in Miroirs No. 3 wird diese jedoch bald aus dem Weg geschafft: Während eines Ausflugs will besagte Laura unbedingt nach Hause. Auf dem Rückweg geschieht ein Unfall und Jakob stirbt brutal, was Laura jedoch wenig zu kümmern scheint. Schließlich wird sie von der fürsorglichen Betty (Barbara Auer, The Book Thief) gefunden und in ihr Haus gebracht. Es erwächst in der einsamen Frau ein Gefallen an Laura, der über natürliche Sorge hinauszugehen scheint.

Zwei Frauen, deren Verschrobenheit etwas zu sehr in den kreisenden, gewohnten Themenkomplex von Petzold zu passen scheint. Alles an Miroirs No. 3 (der Titel ist eine Anspielung auf ein Klavierstück von Maurice Ravels) wirkt zu abgeklärt als es sowohl Kennern von Petzolds vorherigen Filmen, aber auch gewohnte Arthouse-Kinogänger überraschen könnte: Von Lauras, durch Betty zur Verfügung gestellten, neuem, den Mini Babybel-Käsemarke Schriftzug tragenden, T-Shirt, über die von ihr voller Liebe zubereiteten Königsberger Klopse, das Lieblingsgericht von Bettys verstorbener Tochter Yelena, ist Miroirs No. 3 erneut ein Sammelsurium deutscher Klischees, welche, einhergehend mit dem eher anti-mimetischen Spiel der Darsteller und der Hohlheit sämtlicher Dialoge, erneut eine Parodie auf die Unfähigkeit, Gefühle und gegenseitiges Miteinander zuzulassen, evozieren. Petzold behandelt die Dissonanz zwischen den Figuren, in der schließlich eine Affektion hervortritt (ein weiteres Thema an welchem er niemals müde zu werden scheint) immer als absolutes Kernthema, überhöht und stilisiert es nahezu, statt es als aufrichtiges Verständnis seiner Figuren zu verwenden. 

Das Resultat ist leider, das sowohl Laura und Betty, wie auch der bald eintreffende Ex-Mann Richard (Matthias Brandt, Verratene Freunde) und Sohn Max (Enno Trebs, Das weiße Band) nur Bauern in einem Spiel der thematischen Klischees sind. Insbesondere Paula Beer, in ihrer inzwischen vierten Petzold-Kollaboration, leidet in der Paraderolle als mysteriöse Überfrau sehr unter dem aufgebundenen Pathos, der längst zum Kitsch mutiert ist. Auch das wiederholte Fahrradfahren, ein weiteres Motiv, welches aus Roter Himmel weitergeführt wird, erfüllt keinen atmosphärischen Zweck mehr. Diese Beliebigkeit seiner wiederholten Motive ist deswegen so ärgerlich, da Petzold seine Figuren zwar umarmen und ihr Leiden lindern will, sie aber nicht verstehen kann. Im Kern seines Filmes steht der Wunsch, das klaffende Loch in der eigenen Seele zu reparieren und zu welchen Selbstlügen der Mensch dafür bereit ist. Statt die Familie, bei der zumindest die ewig nicht von ihrer Arbeit lassenden Richard und Max interessante Nebenrollen mit markanten Eigenschaften sind, konsequent durch ihr Elend zu ziehen, um zu sehen, was von ihnen übrig bleibt, bietet Petzold nur eine sympathische Kuschelrunde. Betty erzählt Laura die List von Tom Sawyer, der Andere den Zaun streichen ließ indem er so tat, als wäre es das Größte. Petzold spielt seinem Publikum einen ähnlichen Streich, doch im Gegensatz zu Sawyer hält er seine List für eine Wohltat.

Fazit

„Miroirs No. 3“ befremdlicher Titel verbirgt einen zu offenen, eindeutigen Film. Anstatt seine Figuren, und mit ihnen das Publikum, das klaffende Loch ihrer Seelen erleben zu lassen belässt es Petzold bei idealistischen Märchen der gefundenen Familie und der Identifikation im Fremden. Bei aller Sehnsucht wird dies so überbetont, dass trotz eines gut aufgelegten Ensembles und gut durchdachter Szenerien jegliche Empathie im Kitsch erstickt wird.

Autor: Jakob Jurisch
Diese Seite verwendet Cookies. Akzeptieren.