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Quelle: themoviedb.org

Inhalt

In der nicht allzu fernen Zukunft des Jahres 2044, in der menschliche Gefühle zunehmend als Sicherheitsrisiko aufgefasst werden, beschließt Gabrielle, ihren DNA-Strängen einer Säuberung zu unterziehen. Die Maßnahme erlaubt es ihr, in ihre früheren Leben einzutauchen, mit dem letztlichen Ziel, sie von allen mit den Erinnerungen verknüpften Gefühlen zu befreien. Als sie Louis begegnet, fühlt sie sich mit ihm auf solche Weise verbunden, als ob sie ihn schon immer gekannt hätte. Ein genreübergreifendes Melodram, das sich in drei verschiedenen Zeiträumen abspielt: 1910, 2014 und 2044.

Kritik

Der Filmkritiker Adam Nayman nannte den französischen Filmemacher Bertrand Bonello kürzlich einen der größten Horror-Regisseure unserer Zeit — eine auf den ersten Blick durchaus seltsam anmutende Aussage, findet sich in Bonellos Filmographie doch kein Werk, das mit gängigen Erwartungen an dieses Genre in Einklang zu bringen wäre. Und doch, es stimmt: Es wird einem selten heimelig in einem Bertrand-Bonello-Film. Die Dinge scheinen hier oft verrückt — nicht crazy, sondern versetzt, außerhalb der Spur. In der Eröffnungssequenz in Nocturama etwa, in der wir aus der Helicopterperspektive über Paris hinwegfliegen, ist es gerade die fehlende musikalische Verfremdung, der fehlende Farbfilter, der das durch Notre Dame und Louvre gerahmte ätherische Panorama seltsam bedrohlich darstellt. Es ist ein Gefühl, das einen womöglich nur rückwirkend beschleicht, sobald man um die Anschläge auf Gesellschaft und Form weiß, die Bonello in den folgenden zwei Stunden auf das Publikum loslässt, an deren Ende wir uns mit unseren jugendlichen Protagonist*innen im selbstgeschaffenen Gefängnis — einem Luxus-Kaufhaus — wiederfinden. Das Rekontextualisieren gehört allerdings zum Erzählprinzip eines jeden Bonello-Films, was die Umdeutung in der Retrospektive weniger in Zweifel zieht, als sie dazu einlädt.

In La Bête drängt sich ein solcher Rezeptionsmodus vermutlich mehr auf als zuvor, wenngleich sich die formalen Kontinuitätslinien zum essayistischen Pandemie-Fiebertraum Coma (den Bonello nur realisierte, weil der Dreh zu La Bête pandemiebedingt angehalten werden musste) kaum übersehen lassen. Für die Eingangsszene hätte er dafür kaum ein besseres Szenario finden können als den kahlen, dimensionslosen Green Screen, in dem sich eine um Zuversicht bemühte Léa Seydoux via Regieanweisungen erklären lässt, wo im weiten Grün sich die vom Computer hinzuzufügenden digitalen Requisiten befinden, mit denen sie vor der Kamera erwartet wird zu interagieren. Wir befinden uns im Jahr 2014, zwei Jahre, nachdem Ian McKellen öffentlich zu Protokoll gab, am Set von Peter Jacksons Hobbit-Filmen ob der fehlenden Sets und der ständigen Green-Screen-Umgebung in Tränen ausgebrochen zu sein. Eine Zeit, in der vormals scheinbar in Stein gemeißelte produktionsethische Bedenken zunehmend über Bord geworfen werden, indem die Stimmen und Körper gealterter Schauspieler*innen verjüngt und verstorbener Darsteller*innen reanimiert werden.

Es lohnt sich, sich in diesem Zusammenhang die Frage zu stellen, ob Bonellos La Bête in einer alternativen Hollywood-Version — in einer alternativen Realität, in der ein Bonello-Film auf ähnliche Weise von der Öffentlichkeit herbeigesehnt würde wie ein neuer Star Wars-Film—den ursprünglich als Co-Star neben Léa Seydoux (Blau ist eine warme Farbe) angedachten verstorbenen Gaspar Ulliel (Einfach das Ende der Welt) schlicht digital implementiert hätte. Mit diesen Gedanken im Hinterkopf öffnet sich der Interpretationsspielraum hinsichtlich der Eröffnungsszene noch weiter, in der wir Seydoux dabei beobachten, wie sie sich, unter den aus dem Off ertönenden Regieanweisungen, mit einem Küchenmesser gegen ein später durch CGI erstelltes „Monster“ — die eponyme „Bestie“ — wappnet. Wie in der Henry-James-Novelle The Beast in the Jungle, an deren Prämisse sich Bonello lose orientiert, bekämpft Seydoux‘ Gabrielle — aus der Perspektive aller am Set Anwesenden — ein unsichtbares Monster. Gleichwohl verschiebt Bonello die Dimension: Während die Bestie bei James als imminent angenommen wird, also in der Zukunft wartend, löst sie sich bei Bonello aus der Zeitebene, wird immanent.

Treten wir an dieser Stelle allerdings aus der Szenerie heraus und betrachten sie als Teil eines Bonello-Films, so erkennen wir in Gabrielles Zücken des Messers gegen das gestaltlose Wesen ein Ankämpfen gegen die digitale Rekreation. Mag die digitale Welt auch nicht auf andere Weise präsent sein, als sie durch ihre Verbalisierung hervorgerufen wird (Bonello verzichtet auf die Darstellung der Bestie), so schwebt sie doch wie ein Damoklesschwert über uns und bestimmt unser Handeln. Folgerichtig löst sich der Filmtitel, der auf die Green-Screen-Szene einsetzt, bald in einem Meer von Pixeln auf.

Das Jahr 2014 scheint unserer Gegenwart des Jahres 2023 nicht weit entrückt, ist indes doch nicht mit dieser gleichzusetzen – ein Umstand, der uns einmal mehr die zunächst empfundene Familiarität entzieht. Im Gegensatz zu Coma jedoch, das ein so verqueres wie akkurates Stück Spontanhistorisierung der Pandemiezeit darstellt, beschränkt sich Bonello nicht auf einen Zeitpunkt und überführt seine Protagonistin Gabrielle, die 2014 von einer Model- und Hollywoodkarriere träumt, sich aber primär durch Housesitting in einem Villenviertel von Santa Barbara über Wasser hält, in einen temporalen Zirkel, dessen Ursprung sich ebenso wenig ausmachen lässt wie sein Ende.

Als sich dieser Zirkel der Geschichte weiterdreht, befinden wir uns im Jahr 2044, in einer Zukunft, die uns Zuschauer*innen mit jedem vergehenden Tag weniger abstrakt erscheint und Entwicklungen aus der Gegenwart zu einem bedrohlichen Morgen verdichtet. Allerdings ist es gerade das Gefühl der Bedrohung, das es zu überwinden gilt. So zumindest lautet das pragmatische Urteil der künstlichen Intelligenz, der in Bonellos Zukunftsvision die Verfügungsgewalt über die Menschen und ihre Körper überantwortet wurde, und deren Omnipräsenz an der Arbeitslosigkeit von 67 Prozent nicht unschuldig ist. Des Gefühls der Bedrohung, und mit ihr gleich noch aller weiteren Emotionen, gilt es sich hinsichtlich einer beruflichen Perspektive in dieser auf Effizienz und Risikoarmut ausgelegten Zukunftsgesellschaft zu entledigen, und um diesen Schritt den entscheidenden Punkt näherzukommen, wird Seydoux‘ Gabrielle dazu angehalten, ihren DNA-Strängen einer Säuberung zu unterziehen. Schließlich wohne jeder — auch noch so weit zurückliegenden — Erinnerung das Potenzial inne, Gefühle hervorzurufen.

Nicht mehr Zeit mit der dystopischen Rahmenhandlung verbringend als nötig, um das Rad seiner grobskizzierten Science-Fiktion-Abstraktion ins Rollen zu bringen, kehrt Bonello dem 21. Jahrhundert alsbald den Rücken und wirft uns in das Geschehen einer unmöglichen Erinnerung Gabrielles des Jahres 1910, dem Jahr der großen Pariser Flut. Das Bild ist nun analog, in 4:3, und die Gabrielle dieser Zeitebene, die uns, elegant gekleidet und mit hochgesteckten Haaren, als gefeierte Pianistin vorgestellt wird, ist mit einem Puppen-Großproduzenten verheiratet. Angesichts dessen, dass Bonello die letzten zehn Jahre darauf verwendet hat, Puppen auf solche Weise zu inszenieren, dass die Begegnung mit ihnen uns entweder bis ins Mark erschüttert (Nocturama), auf kindliche Weise erschreckt (Zombie Child) oder uns den eigenen Wahnsinn vor Augen führt (Coma), ist es doch von besonders morbidem Humor, dass diese frühere Inkarnation Gabrielles einem Mann die ewige Treue geschworen haben soll, der den personifizierten Schrecken am Fließband produziert.

Dies ist allerdings nur ein randständiges Detail, denn der eigentliche Mann an Gabrielles Seite ist für uns, der wir die Geschehnisse auf nonlineare Weise präsentiert bekommen, keineswegs der großunternehmerische Ehegatte, der im Hintergrund der Geschichte verbleibt, sondern ein charmanter Brite und Verehrer namens Louis (George MacKay, Captain Fantastic; 1917). Nach dem Tod seines guten Freundes Gaspar Ulliel, für den er die Rolle des Louis ursprünglich geschrieben hatte, und der zudem bereits gemeinsam mit Seydoux für Bonellos Saint Laurent vor der Kamera stand, entschloss sich der Pariser Filmemacher rasch für einen nicht-französischen Darsteller, um die unvermeidlichen Vergleiche mit Ulliel zu umschiffen. MacKay mag die Rolle, für die er eigens Französisch lernte, nicht auf den Leib geschnitten sein, allerdings beweist es sich spätestens ab dem Zeitpunkt, da wir ihm in der 2014er Zeitebene als V-Logger Louis Lewinsky begegnen, als schwierigstes Unterfangen, uns einen anderen Mann in der Rolle vorzustellen – ein Sentiment, das vermutlich durch Bonellos Motiv vermeintlich schicksalhafter Verzweigungen erzwungen wird. Denn wie im Jahr 1910, als sich Gabrielle und Louis zum angeblich ersten Mal begegnen, treffen die beiden nun erneut aufeinander, wenngleich unter anderen Vorzeichen. In dieser kreisförmigen Geschichtsschreibung beider Schicksale klingt somit eine Vorbestimmung, eine überzeitliche Verbundenheit, an, dank derer Gabrielle und Louis einander, gleich einem Déjà Vu, auf diffuse Weise zu erkennen glauben.

Erinnern, das bedeutet für Gabrielle insbesondere fühlen, und spannenderweise bahnen sich ihre Gefühle just in jenem Moment ihren Weg in das Bewusstsein, da sie durch die Behandlung, der sie sich unterzieht, Gefahr laufen, ausgelöscht zu werden. Dieser Prämisse Herr zu werden, erscheint ob der ihr inhärenten Dialektik nicht zu bewerkstelligen: Zwar unterzieht sich Gabrielle — sofern sich dies angesichts der sozialen Zwänge sagen lässt — freiwillig der Säuberung ihrer DNA-Stränge, allerdings wird durch die überzeitlichen Erinnerungen, die dieser Eingriff hervorruft, die Frage aufgeworfen, inwiefern sich ihre Existenz als frei bestimmt auffassen lässt, suggerieren die wiederholten Aufeinandertreffen zwischen Gabrielle und Louis doch Gegenteiliges.

Der Impetus einer solchen, die Lebzeiten überdauernden Liebesgeschichte(?), scheint in seinem wie auch immer gearteten Determinismus romantisch. Allerdings untergräbt Bonello diese Romantik durch vielerlei Mittel. Als die sich anbahnende zentrale Romanze im Jahr 1910 ihren tragischen Kulminationspunkt erreicht, werden die 35mm-Bilder, ehe wir uns recht versehen, von den quasi-quadratischen GoPro-Video-Aufnahmen des Vloggers Louis Lewinsky abgelöst. Als junger Mann aus privilegiertem Elternhaus gesteht uns Lewinsky in aller Aufrichtigkeit, noch nie Sex mit einer Frau gehabt zu haben und zeigt sich vom Schicksal, das es ihm nicht vergönne, eine Freundin zu finden, betrogen.

Die Figur des Louis Lewinsky, dessen Figur in Präsentation und Wortlaut dem realen Elliot Roger präzise nachempfunden ist — ein junger Kalifornier, der 2023 aus sexueller Frustration Amok lief und dabei sechs Menschen tötete — stellt nicht nur eine Gefahr für Gabrielle dar, der er aus seinem Jeep heraus nachstellt, sondern auch für Bonellos Gesamtkonzeption, besonders, da der Louis des Jahres 2014 als randständiger Incel-König lediglich als Objekt der Belustigung fungiert. Indem wir uns aber vergegenwärtigen, dass Bonello den Ton und Wortlaut der realen Videos Elliot Rogers keineswegs stilisiert oder verzerrt, beginnen wir, das Amüsement, das wir zweifellos bei der Sicht der V-Logs empfinden, eingehender zu reflektieren. Unser spöttisches Gelächter fällt somit auf uns selbst zurück. Tatsächlich kündigt sich in diesem Moment gar eine unbequeme Frage an: Was, wenn wir selbst schon dazu übergegangen sind, sogenannte Incels als Fiktionen zu begreifen, wir aufgehört haben, sie als der unseren Welt zugehörig zu verstehen?

Jene Sorge klingt zumindest in Bonellos Entscheidung an, Louis Lewinsky nicht allein in seiner Lächerlichkeit auszustellen. Während es zunächst so scheint, als würde der Louis aus dem Jahr 2014 lediglich das Abjekte verkörpern, dem Gabrielle sich bemühen muss, zu entgehen, kompliziert Bonello diese Polarisierung durch eine seltsame Anziehung, die Gabrielle ihm gegenüber verspürt. Wie im Jahr 1910, als beide davon überzeugt sind, einander bereits auf einem Konzert in Italien begegnet zu sein, doch beide dabei an verschiedene Städte denken. Beinah verbietet es sich da, an die Ursprünge einer Geschichte zu glauben, deren Entstehung selbst so vielschichtig und entliehen wirkt. Reflektiert wird ein solcher Gedanke in der leitmotivisch eingewobenen Puccini-Oper Madame Butterfly, deren Libretto in seiner verzweigten und stratifizierten Provenienz die Zweifelhaftigkeit einer eindeutigen Textgenese illustriert (Luigi Illica und Giuseppe Giacosa, die Autoren des Puccini-Librettos, fanden ihre Vorlage in David Belascos Dramatisierung der Kurzgeschichte aus der Feder John Luther Longs, der diese Kurzgeschichte wiederum auf Basis der Erzählungen seiner Schwester zu Papier brachte, inspiriert zusätzlich von Pierre Lotis Roman Madame Chrysanthème aus dem Jahr 1887, et cetera).    

In Madame Butterfly wie auch in James‘ Novelle, spielt das Warten auf den großen Moment eine gewichtige Rolle. Ein großer Moment, der sich allerdings nicht einstellen will und die Gegenwart somit mit dem nicht beizukommenden Fluch der Hoffnung (Madame Butterfly) respektive der Befürchtung (The Beast in the Jungle) belegt. Obgleich diametral entgegengesetzt, wirken sich beide dieser Formen der Antizipation wie ein Damoklesschwert auf die es projizierende Person aus, sodass sowohl James‘ Henry Marcher als auch Cio-Cio-San, die titelgebende Madame Butterfly, ihre Gegenwart der scheinbar unausweichlichen Zukunft unterordnen. In La Bête verrückt Bonello diese Prämisse und stellt mit Gabrielle eine Figur ins Zentrum, die, wenn auch zögerlich, bereit erklärt, ihre (wenngleich unbewusste) Vergangenheit einer auf totale Rationalität insistierenden Gegenwart zu opfern. Da passt es ins Bild, dass die Wahrsagerin, die Gabrielle 2014 via Videochat konsultiert, zu einem bloßen Tab des Webbrowsers reduziert wird, das sich nach Wunsch schließen lässt.

Das Motiv des Schicksals wird von Bonello gleichsam affirmiert und negiert, ohne dieses offenkundige Paradox jemals aufzulösen. Ganz, als hätte sich die Geschichte angesichts solcher Unentwirrbarkeit überhitzt, nimmt die filmische Form zunehmend die Struktur eines Glitches an: Die subjektive Kamera wechselt in die Perspektive der Überwachungskamera, das Bild verpixelt, das Geschehen erstarrt, wiederholt sich schleifenartig. Wieder und wieder verändert sich der Lauf der Geschichte auf mal einschneidendere, mal unbedeutendere Weise. Und mit jedem neuen Pfad, der eingeschlagen wird, verhärtet sich der Verdacht, dass dem Bild nicht mehr zu trauen ist — ja, vielleicht nie zu trauen war.

Fazit

Wie wenigen Filmschaffenden seiner Generation gelingt es Bertrand Bonello, unserer digital komplementierten Gegenwart eine Poetik der Instabilität abzutrotzen, die sich in ihrem unmöglichen Streben nach ganzzeitlicher Ganzheitlichkeit auf Höhe der Zeit beweist, und vielleicht sogar, mit Jahren des Abstands, über diese hinaus verweisen wird.

Kritik: Patrick Fey

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