Inhalt
Prag, Anfang des 20. Jahrhunderts: Franz Kafka ist zerrissen zwischen der Autorität des fordernden Vaters, der Routine im Versicherungsbüro und der stillen Sehnsucht nach künstlerischer Entfaltung. Während seine Texte erste Leser finden, beginnt die Reise eines jungen Mannes, der sich nach Normalität sehnt, jedoch den Widersprüchen des Lebens begegnet, dabei Literaturgeschichte schreibt und sich immer wieder Hals über Kopf verliebt. Getrieben von Liebe, Fantasie und dem Wunsch nach Respekt, unterstützt von seinem Freund und Verleger Max Brod, entfaltet sich das ebenso berührende wie skurrile Porträt eines der faszinierendsten Denker der Moderne. Ein Film wie Kafkas Werk selbst: überraschend, poetisch, unvergesslich.
Kritik
2024 stand ganz im Zeichen Franz Kafkas. Unzählige Ausstellungen, Lesungen und Diskurse erinnerten an den Prager Autor, der wie kaum ein anderer Schriftsteller des 20. Jahrhunderts zum Symbol für das Gefühl der Entfremdung geworden ist. Doch auch über dieses Jubiläumsjahr hinaus bleibt Kafka eine Figur, die sich konsequent jeder eindeutigen Deutung entzieht. Regisseurin Agnieszka Holland (Der geheime Garten) hat mit Franz K. nun den Versuch unternommen, diesem schwer fassbaren Leben und Werk eine filmische Form zu geben.
Im Zentrum steht der Schauspieler Idan Weiss, der Kafka mit einer stillen Intensität verkörpert, die über bloße äußerliche Ähnlichkeit hinausgeht. Sein Körper wirkt oft gehetzt, als sei er ständig von unsichtbaren Mächten bedrängt, sein Blick verliert sich in einer Mischung aus Verzweiflung und staunender Distanz. Diese physische Präsenz macht deutlich, dass Kafka nicht einfach als literarischer Mythos präsentiert wird, sondern als Mensch, der unter den Zwängen seiner Umwelt und den Dämonen seines Inneren litt. Doch genau hier setzt das Drehbuch die entscheidende Ambivalenz: Will es den Menschen hinter der Legende sichtbar machen – oder doch eher den Mythos fortschreiben, der sich längst verselbstständigt hat?
Der Film zeichnet Kafka als Getriebenen, dessen Alltag von Pflichten, Schuldgefühlen und familiären Erwartungen bestimmt wird. Man ahnt, wie diese erdrückende Lebenssituation zur Folie für jene düsteren Visionen wurde, die später in Werken wie Der Prozess oder Das Schloss verdichtet erschienen. Doch das eigentliche Entstehen dieser Texte bleibt weitestgehend ausgespart. Statt das kreative Ringen zu zeigen, begnügt sich Holland meist mit Gesprächen unter Freunden oder Andeutungen, die eher das Rätselhafte unterstreichen, als es aufzuschlüsseln. Das Ungreifbare wird zum zentralen Motiv – was durchaus konsequent ist, aber zugleich eine Leerstelle hinterlässt.
Mit zunehmender Laufzeit rückt Holland stärker von der individuellen Biografie ab und öffnet den Blick auf die Gegenwart. Sie bricht die vierte Wand, lässt Touristen in Prag Kafka-Hamburger verspeisen und integriert Szenen, die als klare Kommentare zu Konsumkultur und Erinnerungspolitik gelesen werden müssen. Diese Einschübe sind zwar unübersehbar in ihrer Botschaft, doch sie nehmen dem Publikum jede Möglichkeit zur eigenen Deutung. Statt subtiler Verfremdung herrscht plakativer Zeigefinger. So entsteht ein Spannungsverhältnis: Auf der einen Seite ein Schauspieler, der Kafka mit leiser Intensität greifbar macht, auf der anderen Seite eine Regisseurin, die das Publikum mit allzu deutlichen Metaphern konfrontiert.
Gerade in diesen Momenten verliert Franz K. an erzählerischer Sogwirkung. Das Spiel mit Symbolen und Reflexionen mag intellektuell anregend sein, doch es wirkt oft überdeutlich und beraubt die Inszenierung jener Vielschichtigkeit, die Kafka selbst so unerschöpflich macht. Der Film will zugleich Biopic, Essay und kulturkritischer Kommentar sein – und droht damit, zwischen all diesen Ebenen zerrieben zu werden.
Das heißt allerdings nicht, dass Hollands Werk ohne Reiz wäre. Immer wieder blitzen Szenen auf, die das Spannungsfeld zwischen persönlicher Zerrissenheit und gesellschaftlicher Einordnung mit großer Schärfe ausloten. Wenn Weiss‘ Kafka in stillen Momenten kaum merklich den Atem anhält, als fürchte er, der Welt gänzlich zu entgleiten, dann vermittelt sich ein Gefühl existenzieller Unsicherheit, das weit über die Leinwand hinaus nachhallt. Auch die visuelle Gestaltung überzeugt in vielen Passagen: Die engen Prager Gassen, die kargen Arbeitsräume und die kühlen Familieninterieurs entfalten eine bedrückende Atmosphäre, die fast automatisch an die kafkaesken Welten seiner Literatur erinnert und doch lässt sich der Eindruck einer TV-Produktion nie wirklich abschütteln.
Franz K. ist kein künstlerisches Desaster, doch ebenso wenig eine Erleuchtung. Der Film bemüht sich, mehr zu sein als ein weiteres standardisiertes Künstlerporträt, indem er essayistische Versatzstücke und gesellschaftskritische Kommentare einflechtet. Doch gerade dieser Versuch führt dazu, dass Kafka letztlich nicht greifbarer, sondern noch unzugänglicher erscheint. Vielleicht liegt darin eine paradoxe Form von Ehrlichkeit: Kafka entzieht sich jeder endgültigen Festlegung, und Holland verweigert ebenso entschieden eine klare Form.
Vielleicht lässt sich Franz K. am treffendsten als Spiegel unserer Sehnsucht nach Erklärungen beschreiben: Wir wollen wissen, wer Kafka war, doch je näher wir ihm kommen, desto mehr entzieht er sich. Holland hat diesen Widerspruch nicht aufgelöst – und gerade darin liegt die eigentliche Wahrheit dieses unruhigen, manchmal aufwühlenden, manchmal ermüdenden Films.
Fazit
"Franz K." schwankt zwischen ehrlicher Bewunderung, routiniertem Handwerk und allzu deutlichem Moralisieren. Der Film bemüht sich, dem großen Autor gerecht zu werden, ohne ihn zu trivialisieren, doch häufig gerät er dabei unter die Last des eigenen Anspruchs. So entstehen Momente großer Eindringlichkeit, die jedoch nicht ausreichen, um das Werk in seiner Gesamtheit stimmig wirken zu lassen. Die Balance zwischen Hommage, Analyse und künstlerischer Eigenständigkeit bleibt fragil – und doch besteht eine gewisse Anziehungskraft beständig.
Autor: Sebastian Groß