Inhalt
Als er von seiner Vergangenheit und seinen Schulden eingeholt wird, trifft ein Glücksspieler, der sich in Macau versteckt hält, auf einen Gleichgesinnten, der vielleicht der Schlüssel zu seiner Rettung ist
Kritik
In Naraka, der Höllenvision im Buddhismus, gibt es eine spezielle Folter für die Gierigen, heißt es einmal - nicht ganz korrekt in Edward Bergers monomanischem Moralmärchen. Der schweizerisch-österreichische Regisseur, dessen jüngstes Werk nach einer Premiere in Telluride nun im Wettbewerb von San Sebastián läuft, muss es wissen. Immerhin ist seine surreale Spielsucht-Story auf nahezu jeder Ebene ein endloser Exzess. Colin Farrell (The Batman Part II) schwankt als der ausgebrannte Titel(Anti)held durch ein in grelles Neon-Licht getauchtes Macao durch ein Luxushotel mit Casino. Verschwitzt, schmierig und alkoholisiert, ist er konstant am Rand eines Herzinfarkts, den seine zügellose Lebensführung befördert.
Die systematische Selbstzerstörung des Protagonisten, der sich als britischer Aristokrat Lord Doyle ausgibt, aber tatsächlich eine titelgemäß kleine Nummer namens Reilly ist, scheint eine indirekte Selbsttötung. Oder vielleicht hat Doyle aka Reilly den Tod bereits hinter sich und befindet sich in besagter Hölle, der er nur entkommen kann, wenn er seine Schulden begleicht. An diese Pflicht erinnert ihn hartnäckig Tilda Swintons (The Room Next Door) hyperkorrekte Privat-Detektivin Cynthia Blithe. Mit ihren kuriosen Kostümen und stilisiertem (aber routiniert großartigem) Spiel wirkt sie wie aus einem Wes-Anderson-Film ausgeliehen. Ihre vergnüglichen, aber seltsam willkürlichen Kurzauftritte unterstreichen die wirre Struktur des parabolischen Plots.
Jener poltert ähnlich Doyle umnebelt zwischen spiritueller Symbolik, Charakterdrama und formalistischer Rauscherfahrung, ohne psychologische oder narrative Kohärenz - und entscheidender: Resonanz - zu finden. Doyle verfolgt die geisterhafte Erinnerung an die nachdenkliche Hotel-Angestellte Dao Ming (Fala Chen, Godzilla x Kong: The New Empire), die sich aus unerfindlichen Gründen für ihn interessiert und die er wie alle Menschen in seinem Umfeld hintergeht. Um seinen nie schlüssig erklärten Schmerz zu betäuben, stürzt er sich in Spiel, Trunk und Völlerei, die ihm mehr Schulden und Selbstekel bringen. In grotesken Schrecksekunden sieht er sein Gesicht als eine der unersättlichen Fratzen jenes speziellen Limbo der Gier.
Solche Unersättlichkeit auf filmischer Ebene überfiel augenscheinlich Berger. Nach den konzentrierten Inszenierungen von Im Westen Nichts Neues und Konklave rotiert seine Adaption Lawrence Osbornes (The Forgiven) gleichnamigen Romans im permanenten Overkill-Modus. Farrells hemmungslose Darstellung ist das fiebrige Zentrum eines grellen Szenenbilds, das überambitionierte Kameraaufnahmen und pompöser Soundtrack noch aufdringlicher machen. Die Sucht nach Alkohol und Glücksspiel manifestiert sich nur, wenn es ins Skript passt, und ist nie als psychischer und physischer Zwang spürbar. Die weiblichen Figuren bleiben blasse Schemen in diesem metaphysischen Strudel um eine gefallene männliche Seele, deren Erlösung letztlich emotional und dramatisch gleichgültig bleibt.
Fazit
Nicht nur der von Colin Farrell mit eindrucksvoller Radikalität verkörperte Titelcharakter, auch Edward Berger hat sein Glück vorübergehend offenbar aufgebraucht. Optischer, dramaturgischer und stilistischer Overkill geben der beständig um sich selbst kreisenden Story keine Substanz. Die hyperaktive Höllenfahrt schwelgt selbst in der Maßlosigkeit, die sie als Verdammnis betrachtet, und erzielt damit nicht Intensität, sondern nur Überdruss. Alles, inklusive der pathetischen Prämisse weißer männlicher Selbstzerstörung, ist kaum mehr als überstrapazierte Behauptung. Das große Drama ist in der Tat nur eine banale Spielerei.
Autor: Lida Bach