MB-Kritik

All My Sisters 2025

Documentary

Inhalt

„All My Sisters“ untersucht, wie die junge Generation iranischer Frauen von ihren Familien und der Gesellschaft geprägt und erzogen wird. Ziel ist es, die Ursachen der heutigen Aufstände zu ergründen, die die Welt zwingen, den Schreien einer Bevölkerung zuzuhören, die ein anderes Leben als das ihrer Vorfahren fordert.

Kritik

Die Stimmen vor der Kamera, die den drei zentralen Figuren Masoud Bakhshis Langzeit-Dokumentation sukzessive ein repressives konservatives Wertbild aufdrängen, wiederholen nur die bekannten Geschichten gesellschaftlich erzwungener Gender-Rollen. Das dramaturgische Konzept außerhalb des Kamerablicks spricht hingegen weit diffiziler und differenzierter von Traditionalismus, patriarchalischen Strukturen und der Definition weiblicher Körper durch einen männlichen Blick. Jenes ist der des iranischen Regisseurs. Über einen Zeitraum von 18 Jahren dokumentierte er das Leben seiner Nichten vom Kleinkind-Alter bis zum frühen Erwachsensein. 

Jedes Jahr bringt für die Schwestern Mahya und Zahra Habibi neue reaktionäre Lektionen und daran geknüpfte Einschränkungen. Jene konterkarieren auf bedrückende Weise die emanzipatorische Entwicklung der Kinder. Umso selbstständiger und verständiger die Mädchen werden, umso restriktiver gestaltete sich ihr sozialer und familiärer Alltag. Die Figur der später geborenen Schwester Maleka schafft einen liberaleren Kontrast zu dem älteren Duo. Mit deren unbeschwerter Kindheit ist es vorbei, als die Pubertät sich nähert. Selbstverständliche Freiheiten gelten plötzlich als sündhaft. 

Wie ihre gleichaltrigen Klassenkameradinnen tragen die beiden nun Hijab: nicht aus aktiver Entscheidung zum religiösen Selbstausdruck, sondern weil die iranische Schuluniform dies so vorgibt. Anfangs subtil, doch bald immer rigoroser manifestiert sich der Einfluss eines fundamentalistischen Moralbegriffs, der die einst selbstverständlichen Freiheiten der Kinderzeit als sündhaft ansieht. Die patriarchalische Repression ruht auf einem Gedankengut, das den beiden seit frühster Kindheit indoktriniert wurde. Mit der politischen Sensibilisierung im Zuge der iranischen Protestbewegung werden die misogynen Machtwerkzeuge schließlich hinterfragt.

Fazit

Irritation und Ironie Massoud Bakhshis persönlichen Langzeit-Projekts liegen in dessen unbewusster Ambiguität. Vordergründig dokumentiert die aus Heimvideos von fast zwei Jahrzehnten kondensierende Inszenierung das Leben seiner Nichten. Indirekt bezeugt es die ungebrochene Vormacht der männlichen Perspektive. Das scheinbar neutrale Material ist tatsächlich eine mehrfache Inszenierung: von patriarchalischer Unterdrückung, die hier befremdlich harmlos und passiv wirkt, und der eigenen Solidarität mit weiblicher Rebellion. Nuancen, Konflikte und Widersprüche, individuell, familiär, gesellschaftlich und systemisch, fehlen in diesem seltsam austauschbaren Familienalbum, das selbst Konsens nie thematisiert. 

Autor: Lida Bach
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