Inhalt
Thooya, eine Migrantin und aufstrebende Schauspielerin, arbeitet heimlich nebenberuflich als Sexarbeiterin in Mumbai. Als sie die Wohnung ihres Sugardaddys an Swetha, eine Callcenter-Mitarbeiterin und Migrantin, untervermietet, entsteht eine unerwartete Verbindung. Ihre scheinbar Welten voneinander entfernten Leben verflechten sich langsam. Inmitten des Chaos der Stadt teilen sie Schweigen, Geschichten und kleine Gesten der Fürsorge. Doch als vergrabene Wünsche und Wunden aus der Vergangenheit ans Licht kommen, wird die fragile Bindung auf die Probe gestellt.
Kritik
Unerfüllte Sehnsucht nach zwischenmenschlicher Bindung und die komplizierten Variationen soziologischen Schauspiels ziehen sich als motivischer Leitfaden durch die melancholischen Alltagsepisoden Anuparna Roys (Run to the River) nuancierten Spielfilm-Debüts. Vor der geschäftigen Kulisse Mumbais, in dem die beiden jungen Protagonistinnen in ihrer geteilten Fremdheit zueinanderfinden, entwirft die Regisseurin und Drehbuchautorin ein einfühlsames Porträt von Nähe und Distanz, auf emotionaler, psychologischer und physischer Ebene. In verhaltener Verweigerung dramaturgischer Konventionen konzentriert sich die unaufgeregte Handlung nahezu gänzlich auf die kleinen Momente wachsender Fürsorge und Verbundenheit zwischen ihren äußerlich gegensätzlichen Figuren.
Thooya (Naaz Shaikh), die in der Hoffnung auf eine Schauspiel-Karriere in die Metropole gekommen ist, kann von ihren wenigen Engagements kaum leben und finanziert ihre bescheidene Existenz mit Sugaring. Dass sie die ebenfalls migrantische Call-Center-Angestellte Swetha (Sumi Baghel) als Mitmieterin einziehen lässt, hat zuerst rein praktische Gründe. Doch aus der zufälligen Zweckgemeinschaft wächst unerwartet eine tiefe Freundschaft. Die Frauen teilen Mahlzeiten, persönliche Geschichten und eine unbestimmte Sehnsucht nach Zugehörigkeit. Dieses Bedürfnis nach Gemeinschaft, familiär, freundschaftlich oder romantisch, manifestiert sich als treibende Kraft in der Millionenstadt.
Immer wieder streift Debjit Samantas Kamera entlang überfüllter Straßen und findet Personen, die allein in der Menge treiben. Als ruhiger Gegenpol dieser kollektiven Einsamkeit spendet der Wald ein Gefühl von Geborgenheit, verbunden mit Thooyas schmerzlichen Kindheitserinnerungen. Vor dieser Erfahrung ist die urbane Entwurzelung auch eine Flucht. In den eng gerahmten Stadtszenen können die Figuren in der Masse verschwinden, in flüchtigen Bekanntschaften Trost finden, und in Routine abtauchen. Intimität und Distanz, Bedrängnis und Weite bestimmen die visuelle Grammatik, die dem unspektakulären Geschehen universelle Resonanz verleiht.
Fazit
Zum unablässigen Großstadtrhythmus Mumbais entwickelt sich aus der zaghaften Anknüpfung zweier Fremder in der Fremde ein subtiler Dialog über Identität, Entfremdung und Selbstbehauptung unter dem beständigen Druck ökonomischer Unsicherheit. In ihrem feinsinnigen Debüt verzichtet Anuparna Roy bewusst auf laute dramaturgische Töne und lauscht stattdessen auf eine Partitur aus Blicken und kleinen Gesten. Der Raum wird zum Resonanzkörper sozialkritischer Zwischentöne, die spätkapitalistische Härte, migrantische Marginalisierung und anonymisierte Kommunikation kritisch beleuchten. Das differenzierte Schauspiel der Hauptdarstellerinnen enthüllt die verborgene Kraft zweier unscheinbarer Kämpferinnen des Alltags.
Autor: Lida Bach