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Berlinale 2025 - Ein Eröffnungsbericht

PatrickFey

Von PatrickFey in Berlinale 2025

Berlinale 2025 - Ein Eröffnungsbericht Bildnachweis: © Berlinale

Dass die Filme und deren Macher*innen auf der Berlinale traditionell selten dafür bekannt sind, bekannt zu sein, diese Profilbeschreibung des größten deutschen Film-Festivals besitzt schon seit geraumer Zeit Gültigkeit. Umso mehr in diesem Jahr, das gleichbedeutend mit der Premierenveranstaltung der Amerikanerin Tricia Tuttle als alleinige Festivalleitung ist. Was andernorts womöglich als Chance begriffen würde, um neue kreative Stimmen kennenzulernen, wird in Deutschland oft gleichgesetzt mit einer mangelnden Zugkraft des Festivals, das die großen Stars nur mit deren B- und C-Ware anzulocken versteht. Darüber kann sich allerdings nur beschweren, wer dem Festival Erwartungen aufbürdet, die es selbst nicht schürt.

Bereits zum 75. Mal findet die Berlinale nun statt, ein Jubiläum, angesichts dessen man nicht nur die Eröffnungs-Zeremonie in sieben weitere Städte Deutschlands ausstrahlt, sondern überdies auch neben dem roten Teppich des Berlinale-Palasts den Hub75 installiert, den das Festival selbst als Zentrum und Herzstück der Veranstaltung bezeichnet. Ausgabe 75 ist auch Jahr Eins nach dem unrühmlichen Abgang des Turiners Carlo Chatrian, der von 2020 bis 2024 gemeinsam mit der Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek die Doppelspitze des Festivals bildete. Gegangen war Chatrian, als ihm klar wurde, dass die sich bereits anbahnenden strukturellen Veränderungen auf Management-Ebene ihm nicht länger die erforderlichen Freiheiten in der Programmierung sowie Kuration erlauben würden. Dieser Tage heißt es in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung indes, Chatrian hätte künftig Leiter und Manager in Personalunion sein müssen, und habe aufgrund dieser administrativen Verantwortung die Reißleine gezogen.

Festivalleitung in Personalunion: Mit Tricia Tuttle kehrt die Berlinale zur Ein-Personen-Festivalleitung zurück

© Richard Hübner / Berlinale 2024

Zu oft versanden die politischen Entwicklungen rund um die Film-Festivals just im Nirvana der Kino-Trivia, doch auch ohne das diesjährige Programm und jene, die es verantworten, zu vernachlässigen, lohnt es sich im Hinterkopf zu behalten, wie wir jenen Punkt erreicht haben, an dem wir uns nun befinden. Jubiläumsausgabe hin oder her. Und jener Punkt lässt sich ohne die vom Senat allein für den Berliner Kultursektor vorgesehenen Kürzungen von 130 Millionen Euro ebenso wenig beschreiben wie ohne Hinweise auf die letztjährige Preisverleihung und die Pseudo-Eklats, die der Auszeichnung der Gaza-Dokumentation No Other Land sowie den damit einhergehenden politischen Kundgebungen folgten. Es dauerte nicht lang, da äußerten sich eine Reihe von Spitzenpolitiker*innen, manche von ihnen mit der spezifischen Forderung an die neue Festivalleitung, solchen Vorkommnissen zukünftig mit gezielten Maßnahmen entgegenzuwirken (unter ihnen etwa der regierende CDU-Bürgermeister Kai Wegner).

Jenen Künstler*innen, die sich auf der Bühne etwa gegen Waffenimporte nach Israel und für eine Waffenruhe aussprachen, wird da abverlangt, was der Politik weitaus weniger und seltener gelingt: sich von politischer Voreingenommenheit freizumachen und sich den entzündlichsten Feldern nur in größter Ausgewogenheit zu nähern. Es handelt sich, mit anderen Worten, um eine kategoriale Verwechslung von Verantwortlichkeiten. In diese Schneise fiel im Vorjahr dann auch die Bewegung Strike Germany, der manche der Künstler*innen in den Avant-Garde-Sektionen Forum und Forum Extended folge leisteten und nach Einladungen des Festivals ihre Filme wieder zurückzogen. Mögen sich die politischen Lager rechts wie links darin unterscheiden, woran genau nun Anstoß zu nehmen sei — sie kommen doch, mehr oder weniger erstaunlicherweise, zum gleichen Ergebnis: dass das Ansehen des Festivals durch die Ereignisse des Vorjahres erheblichen Schaden genommen habe. Von der Berlinale-Seite heißt es nun, man habe die Kritik ernst genommen. Konsequenzen: Moderator*innen seien spezifisch geschult worden, jene politische Ausgewogenheit herzustellen, die man den Künstler*innen nicht auferlegen könne. Dahingehend scheint der moralische Kompass also schon noch gen Norden geeicht.

Ob dem so ist, das wird sich innerhalb der ersten Jahre unter der Ägide Tricia Tuttles zeigen. Was hinsichtlich ihrer Beauftragung — und im Kontrast zu ihren Vorgänger*innen — festzuhalten ist, ist, dass Tuttle bereit ist, sich mit den staatlichen Kürzungen zu arrangieren. Ebenso, wie stark sie sich dem kuratorischen Ansatz Carlo Chatrians entgegenstellt, der sich weit weniger noch als Vorgänger Dieter Kosslick darum scherte, den Glamour auf den roten Teppich des Berlinale-Palasts zu lotsen. Dieser ist es aber vermutlich, der angeführt werden muss, um die Millionen des Staatshaushaltes locker zu machen (tatsächlich musste jener Staat dieses Jahr mit zwei Millionen Euro, die man dem Festival eigentlich hatte entziehen wollen, einspringen, nachdem der Senat das Budget halbiert hatte). Nicht Filme von Ausnahme-Filmemacher*innen wie etwa Ben Russell, Matías Piñeiro, Bas Devos, Claire Simon oder Radu Jude, die während der letzten Jahre groß bei der Kritik punkteten.

Der Wettbewerb mit vielen neuen und unverbrauchten Gesichtern

Letztgenannter Jude kehrt nun erstmals seit seinem fulminanten Gewinnerfilm Bad Luck Banging or Loonie Porn, der sich im trotz der Pandemie besonders starken 2021er Online-Jahrgang durchsetzte, mit einem Spielfilm zum Festival zurück. Kontinental ’25 heißt sein neuester, der, wie sein ebenfalls für dieses Jahr angekündigte Vampir-Film Dracula Park, in Transsylvanien spielen wird. Dessen sozialer Realismus dürfte sich tonal allerdings deutlich von Judes Vampir-Klamauk absetzen, der zeitweise immerhin mit der Logline „Make Vampires Great Again“ beworbenen wurde.

Nominell der größte Titel findet sich mit Bong Joon-hos Mickey 17 dieses Jahr aber zweifellos außerhalb des Wettbewerbs, im sogenannten Berlinale Special. Da der Film am Tag der Berlinale-Eröffnung Weltpremiere in London feiert und überdies auch alsbald in Südkorea zu sehen sein wird, werden einige den exklusiven Charakter dieser Präsentation aber durchaus geschmälert sehen. Ein anderer Titel dieser immer etwas in der Luft schwebenden Sektion ist Tom TykwersDas Licht, Tykwers erster Spielfilm seit dem von der Kritik unten durchgereichten A Hologram for the King mit Tom Hanks. Neben Radu Jude stellen in dem mit 19 Titeln keineswegs überfüllten Wettbewerb Richard Linklater mit Blue Moon, der unerschöpfliche Hong Sang-soo mit What Does that Nature Say to You, die Französin Lucile Hadžihalilović mit The Ice Tower, einer Meta-Reflektion über Hans Christian Andersens Die Schneekönigin sowie Michel FrancosDreams, der nach Memory erneut mit Jessica Chastain zusammenarbeitet.

Letzter Dreams ist nicht zu verwechseln mit dem Film gleichen Namens des Norwegers Dag Johan Haugerud, der hiermit jene Trilogie zu Ende führt, die just vor einem Jahr in der Berlinale Panorama-Sektion ihren Anfang nahm und in Venedig gut ein halbes Jahr später mit Love eine geistige Fortsetzung fand. Zwar feierte der Film bereits im Herbst letzten Jahres Kinopremiere, allerdings, weitgehend unter Ausschluss der internationalen Öffentlichkeit (ein ähnlich gelagerter Fall der jüngsten Vergangenheit stellt Nanni Moretti da, dessen letzter Cannes-Film, A Brighter Tomorrow, zuvor bereits in Italien angelaufen war.

Große Stücke scheint Festivalleiterin Tuttle Interviews zufolge auf Hot Milk, den Debütfilm der Britin Rebecca Lenkiewicz, zu halten, die bisher als Dramatikerin und Drehbuchschreiberin arbeitete (unter anderem für Oscar-Gewinner Ida). In den tragenden Rollen ist hier die aus Sex Education bekannte Emma Mackey neben der großen Fiona Shaw und Vickie Krieps zu sehen. In gänzlich andere und weitaus experimentellere Gefilde dürfte es das französisch-belgische Ehepaar Hélène Cattet und Bruno Forzani ziehen, das mit Reflections in a Dead Diamond seinen ersten Spielfilm seit Let the Corpses Tan vor acht Jahren vorlegen. Weitaus weniger polarisierend sollte Mary Bronsteins Debütfilm If I Had Legs I’d Kick You daherkommen, der kürzlich großen Zuspruch beim Sundance Film Festival erlangte (unter anderem auch von Moviebreak-Autorin Lida Bach) und diesen nun nach Europa mitzuziehen versucht.

Ansonsten setzt der Wettbewerb weitgehend auf Überraschungen, die es sich erst noch zu erschließen gilt. So etwa Huo Mengs chinesischer Coming-of-Age-Film Living the Land oder Vivian Qus Girls on Wire, ebenfalls aus China. Frédéric Hambalek, der mit seinem erst zweiten Spielfilm über die telepathischen Fähigkeiten eines Kindes, Was Marielle weiß, als einzige rein-deutsche Produktion im Wettbewerb vertreten ist. Dazu gesellen sich die österreichisch-schweizerisch-deutsche Koproduktion Mother’s Baby von Johanna Moder sowie Ameer Fakher Eldins deutsch-kanadisch-italienisch-palästinänsich-katarisch-jordanisch-saudi-arabische Koproduktion Yunan über einen syrischen Autor, der kurz davor steht, Suizid zu begehen.

Komplettiert wird der Wettbewerb von der Ukrainerin Kateryna Gornostai, die zuletzt 2021 mit Stop-Zemlia in der Generation-Sektion zu sehen war, dem Argentinier Iván Fund mit The Message, der wie Frédéric Hambalek ein Kind mit besonderen Fähigkeiten in den Mittelpunkt rückt, dem Brasilianer Gabriel Mascaro, dessen The Blue Trail sich anschickt, der formal offenste Beitrag des Wettbewerbs zu werden, sowie schließlich die beiden frankophonen Beiträge The Safe House des welscher Regisseurs Lionel Baier und Léonor Serrailles Ari, das die Selbstfindungsreise des eponymen Protagonisten in den Mittelpunkt rückt.

Welcher dieser 19 Beiträge letztlich den Goldenen Bären mit nach Hause nimmt, darüber entscheidet, wie gewöhnlich, eine siebenköpfige Jury, der dieses Jahr die deutsche Filmemacherin Maria Schrader, der argentinische Filmemacher Rodrigo Moreno und der französisch-marokkanische Filmemacher Nabil Ayouch angehören. Die chinesische Darstellerin Fan Bingbing, die Oscar-nominierte deutsche Kostüm-Designerin Bina Daigeler und die amerikanische Filmkritikerin Amy Nicholson bereichern mit ihren beruflichen Hintergründen das Spektrum der Jury, der letztlich allerdings mit besonderer Gewichtung der durch moderne Klassiker wie Safe und Carol bekanntgewordene US-Regisseur Todd Haynes vorsteht. 

die internationale Jury mit Präsident Todd Haynes im Zentrum

© Ali Ghandtschi / Berlinale 2025

Doch fernab dieser Konzentration auf den Wettbewerb ist die Berlinale, ganz wie sich angesichts des Hauptsponsors ZDF suggerieren ließe, ein Festival für den zweiten Blick. Und auf den zweiten Blick, wie es der bekannte Slogan jahrelang nahelegte, sieht man besser. So auch dieses Jahr, in dem die Nebensektionen einmal mehr zum Scene-Stealer werden könnten. Das liegt zum einen daran, dass sich die 'Berlinale Special'-Sektion dieses Jahr weitaus ambitionierter ausnimmt als noch in vergangenen Jahren. Bei genauerem Hinsehen versteckt sich in dieser Sektion nämlich so einiges. 

Islands wäre da etwa zu nennen. Der neue Film Jan-Ole Gersters, der 2012 mit Oh Boy groß auftrumpfte, führt den Wahlberliner nach dem Musik-Drama Lara mit Corinna Harfouch aus dem Jahr 2019 erstmals in seiner Karriere aus der deutschen Hauptstadt und mit ihr gleich auch der deutschen Sprache heraus. In selbiger Sektion hat sich auch, still und klammheimlich, Lemohang Jeremiah Mosese mit seinem neuen Film niedergelassen. Wem dieser Name nichts sagt, mag dennoch über Moseses Namen gestolpert sein, lieferte dieser mit This Is Not a Burial, It’s a Resurrection doch eines visuell beeindruckendsten Werke der vergangenen Jahre ab. In seinem dokumentarisch angelegten neuen Film Ancestral Visions of the Future wird er einmal mehr seinen Geburtsort, die südafrikanische Enklave Lesotho, in den Vordergrund stellen und den Ort seiner Kindheit mit jenem seiner Exilheimat, Berlin, in Verbindung setzen.

Neu ist dieses Jahr die Sektion Perspektive, die gewissermaßen die von Chatrian ins Leben gerufene und im Vorjahr verabschiedete Sektion Encounters ablöst. War Encounters insbesondere für wagemutige Formexperimente bekannt (man denke nur an C.W. Winter and Anders Edströms achtstündigen japanischen Gewinnerfilm The Works and Days über den Alltag japanischer Bauern aus dem Jahr 2020), legt Tricia Tuttle Wert darauf, dass es sich bei den ausgewählten Filmen der 'Perspektive'-Sektion um Debüts handelt. Daneben stellen die Forum-, die Panorama- und die Generation-Sektion traditionell wichtige Säulen des Festivals dar, die jeweils insbesondere das Kunst-, das politische sowie das Jugendkino abbilden sollen, wobei Abgrenzungen dieser Art schwerlich strikt einzuhalten sind.

Und als wären die rund 240 Filme nicht bereits genug, gibt es auch noch allerhand Parallel- und gar Gegenveranstaltungen. Wer etwa hat schon vom Taxifilmfest gehört, das im Vorjahr als Reaktion auf das mittlerweile ausgelaufene Sponsoring der Firmer Uber ins Leben gerufen wurde? Eher schon ein Begriff dürfte da die alljährlich stattfindende Woche der Kritik sein, die durch ihre thematisch-kuratierten Screenings sowie anschließende Diskussionsveranstaltung die Kino-Kultur hochzuhalten suchen. Und wer es subversiv und nischig mag und mit gewissen Entscheidungen der Berlinale Probleme hat, der kann sich hier über die Bewegung On.Strike.Berlinale informieren. 

Die Moviebreak-Redakteure Lida Bach, Jakob Jurisch und Patrick Fey werden versuchen, die Augen und Ohren vor Ort offen zu halten und freuen sich schon darauf, via Podcasts und Kritiken vom Festival zu berichten.

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