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Quelle: themoviedb.org
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Inhalt

Ein beeindruckender Essayfilm über die Giraffe und den Platz dieses einzigartigen Tieres in Mythen, Fabeln und in der Geschichte der Natur und der Menschheit.

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Quelle: themoviedb.org

Kritik

Um der Frage zum Titel schnell die unnötige Spannung zu nehmen: SR verweist auf die ägyptische Hieroglyphe für die Giraffe. So zentral, wie es durch die Titelgebung vielleicht anmutet, ist diese Information für Lea Hartlaubs famosen Essayfilm, der im 2024er Wettbewerb des Internationalen Filmfestivals von Rotterdam premierte, indes nicht. Wie genau das Projekt um die Giraffe ihren Anfang nahm, das möchte die gebürtige Frankfurterin Hartlaub nicht verraten. Allein, dass es ein Essay-Film werden würde, diese Entscheidung entwickelte sich im Laufe der Recherche von selbst. Denn für jedes Thema, so Hartlaub, gelte es, eine eigene Form zu finden. Und tatsächlich bedarf es keiner Eingewöhnungszeit, um ein Gespür für den Rhythmus zu gewinnen, in dem Hartlaub ihr fragmentiertes Narrativ präsentiert.

Dass dem so ist, ist sicher auch Dorothee Elmiger zu verdanken, auf die Hartlaub im Zuge einer langen Suche nach der passenden Erzählstimme aufmerksam wurde—eingangs, noch ohne allzu vertraut mit dem Œuvre der vielfach ausgezeichneten Schweizer Autorin zu sein. Angesichts ihrer methodischen Überschneidungen, in der beide Autorinnen ihre Themen umkreisen, abschweifen, vermeintlich fallen lassen, um sie später an ungeahnter Stelle wieder aufzugreifen, erwies sich diese Entdeckung schnell als Glücksgriff. Folglich nimmt es auch wenig Wunder, dass sich die in Zürich lebende Schriftstellerin ohne Weiteres dazu bereiterklärte, Hartlaubs Text einzusprechen. Wie in Elmigers gefeiertem essayistischen Roman Aus der Zuckerfabrik, in dem der Zucker und seine Produktion über sich selbst hinaus auf die Abwegigkeiten, aber auch Abgründe der Menschheitsgeschichte verweisen, setzt Hartlaub, nicht ungleich der Tradition W. G. Sebalds, die symbolhafte Giraffe als Ausgangspunkt ihres Gedankengangs, den sie daraufhin über Raum und Zeit, Kontinente und Jahrhunderte, hinweg verfolgt. Was Elmiger und Hartlaub dabei gemein ist, ist das scheinbare En Passant, in dem beide Kolonialgeschichte aufarbeiten und die Verbindungslinien unseres global vernetzten Wirtschaftssystems nachverfolgen

Über die 103 Minuten Laufzeit hinweg erfahren wir auf diese Weise vom Giraffen-Forschungszentrum in Nairobi, das Schulen der Region drei Tage die Woche kostenfreie Führungen anbietet, sowie vom anliegenden ‚Giraffe Manor‘, einem Luxus-Resort, in dem sich Tourist*innen mit dem entsprechenden Budget Tür-an-Tür neben den Giraffen einquartieren können. Überdies lernen wir vom Schicksal des Giraffenbullen Brownie, das ihn nach der Akquise eines palästinensischen Zoos von Südafrika nach Qalqilya in die West Bank führt, wo er eines Nachts im Jahr 2002, während der zweiten Intifada, auf nicht restlos geklärte Weise stirbt (in jener Nacht hatte das israelische Militär eine unweit des Zoos befindliche Basis der Hamas angegriffen). Erst dieser Tod war es allerdings, der den Künstler Peter Friedl dazu veranlasste, den mittlerweile taxidermierten Brownie 2007 als Exponat auf der Documenta 12 auszustellen, deren Kuration seinerzeit unter dem intern ausgerufenen Motto „Migration der Formen“ stand. Nicht zuletzt aufgrund der politischen Sprengkraft, die Brownie als Opfer und symbolischer Kollateralschaden des Nahostkonflikts zukommt, erlangte Brownie auf diesen unliebsamen Weg den Status der Unsterblichkeit.

Es ist nur einer der vielen Pfade, denen Hartlaub in SR nachgeht, doch er ist stellvertretend nicht nur für das assoziative Erzählverfahren, mit denen sie ihr zentrales Motiv umkreist, sondern auch für den Entstehungsprozess des Films. Über eine jahrelange Recherche hinweg, an dessen Beginn just die Giraffe stand, führte eine Information zur nächsten, mündete ein Forschungszweig in einen weiteren, erforderte eine neue Entdeckung auf dem einen Kontinent die Erschließung neuer Pfade auf dem anderen. Am Ende ihrer Recherche- und Forschungsreisen um den Globus stand für Hartlaub  die Idee eines narrativen Essayfilmes, den es in der Folge galt, vom Papier ins Bewegtbild umzusetzen.

Dass einige der durchweg langen, statischen Einstellungen bereits vor der jeweiligen Anreise skizziert wurden, mag sicher auch den bisweilen strengen Auflagen der Filmförderung geschuldet sein; gleichwohl war es erst die Begegnung vor Ort mit ihren Subjekten, die es Hartlaub erlaubte, die ungeheuer präzisen Einstellungen zu entwickeln. Das beginnt bereits mit dem Opening Shot, wenn unser Blick in einer Supertotalen auf ein scheinbar nur von Bäumen und Sträuchern gesäumtes Feld gerichtet wird, auf dem sich nur bei genaueren Hinsehen etwas regt. Die Giraffe, von der wir es gewohnt sind, dass sie das Bild auszufüllt, wird hier zum Objekt, das wir uns erst durch genaueres Hinsehen erschließen müssen. Aus dem Off ertönt zeitgleich Dorothee Elmigers zurückgenommene Stimme, die uns darüber unterrichtet, dass Giraffen mithilfe von Infraschall über weite Strecken hinweg kommunizieren können. Diese Eingangsszene allein genügt, um uns mit Hartlaubs poetologischen Projekt näher vertraut zu machen, dessen Direktive weniger in der Wissensvermittlung denn im Arrangement von Informationen und Bildern und deren Zusammenspiel mit unserem Erwartungshorizont liegt.

Dass es mit dem Titel SR indes doch mehr auf sich hat als den bloßen Verweis auf die ägyptische Hieroglyphe für das größte Landsäugetier (i.e. das höchste Landsäugetier) der Erde, das erfahren wir später, nachdem wir lernen, dass den Paarhufern im Alten Ägypten prophetische Eigenschaften nachgesagt wurden, was auch dazu beigetragen haben dürfte, dass sie ein gängiges Motiv diverser Felskunst des afrikanischen Kontinents darstellten. Es ist demnach durchaus von einer gewissen Ironie, dass Hartlaub in jenem Film, der sich qua Titel der Zukunft zuwendet, in die Zeit zurückreist, um die Geschichte der Giraffe nachzuverfolgen.

Teil dieser Geschichte ist auch der deutsche Rassismus und die deutsche Kolonialgeschichte, die in einer Nebenepisode über den Tierpark Hagenbeck verhandelt werden. Unter der Leitung des Geschäftsgründers Carl Hagenbecks und seiner Söhne wurde dort für sogenannte Völkerschauen ein „Eingeborenen-Dorf“ errichtet, in dem indigene Menschen täglich über acht Stunden ausgestellt wurden, angeblich analog zu ihrem natürlich Habitat. Für Hagenbeck waren die Völkerschauen zu dieser Zeit essentiell, waren es doch exotisierenden Spektakel, die das Familiengeschäft finanziell tragfähig hielten. In der Folge heißt es dann auch in einem Brief von Sohn Heinrich Hagenbeck an den Anthropologen Bertholf Laufer aus dem Jahr 1926: „Der Mangel an Kolonien lastet auch auf dem deutschen Tierhandel ungemein.“

Es ist eine Szene, die stellvertretend ist für den durchweg subtilen Humor, der sich zumeist durch Verfremdung und feinsinnige Rekontextualisierung ergibt. Bildlich findet dieser Ansatz darin Entsprechung, dass Hartlaub formal auf Distanz bleibt. Das historische Material nimmt hier nicht die ganze Leinwand für sich ein, sondern wird auf dem kleinen Bildschirm des Steenbecks abgespielt, an dem wir eine Frau sitzen sehen, die zum richtigen Moment vor- und zurückspult. Im darauffolgenden Ausschnitt aus „Welt im Film“, einem von Britischen und US-amerikanischen Alliierten in der Nachkriegszeit mit dem Ziel der „reeducation“ produzierten Nachrichtenmagazin, sehen wir dann die Ankunft der für den Hagenbecker Zoo bestimmten Giraffen am Hamburger Hafen. Unter frenetischem Jubel der Umstehenden Hamburger werden dort die ankommenden Giraffen in ihren Zwingern via Kran über die Menschenmenge transportiert, was der Sprecher der historischen Sendung folgendermaßen kommentiert: „Die Giraffen blicken noch von oben auf uns herab“.

Am Ende von SR werden wir über zahllose weitere Abzweigungen der Geschichte und menschlichen Beschäftigung mit der Giraffe gelernt haben. Werden erfahren haben, dass es im Judentum eine nicht unerhebliche Forschungsfrage darüber gibt, ob Giraffenfleisch als koscher zu gelten hat oder nicht. Wir werden mit den privat geführten Wild Ranches in den USA vertraut gemacht worden sein, wo Jagd-Safaris als extravagantes Hobby angeboten werden. Wir werden darüber im Bilde sein, wie der frühere US-Präsident Theodore Roosevelt, weit über wissenschaftliches Interesse an Forschungsexemplaren hinausgehend, während seiner Afrika-Expedition abertausende von Wildtieren schoss. Doch was uns im Rückblick auf SR vor allem in Erinnerung bleibt, ist der Eindruck, dass wir die vergangenen 100 Minuten einen Gedankengang dabei beobachten konnten, wie er sich vor unseren Augen entfaltet und, jede noch so entlegene Abzweigung einschlagend, uns dabei eine kurze Geschichte der Menschheit erzählt.

Fazit

Mit SR entwirft Lea Hartlaub einen endlos faszinierenden Essay, der sich, mit vielen Abschweifungen und Umwegen, vorgeblich an eine kleine Geschichtsschreibung der Giraffe wagt, dabei vor allem aber ein Panorama der durch Imperialismus und Kolonialismus geprägten Moderne zeichnet.

Kritik: Patrick Fey

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