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Quelle: themoviedb.org

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2010 ging die Indierock-Band "The National" auf die bis dahin größte Tour ihrer Karriere. Nach fünf gefeierten Alben konnten sie endlich eine breitere Bekanntheit erlangen. Der Sänger Matt Berninger hatte seinen jüngeren Bruder Tom eingeladen, ihn auf der Tour zu begleiten. Der Horrorfilm-Regisseur und Metalfan Tom brachte seine Kamera mit und dokumentierte nicht nur den Trip, sondern auch sein Leben im Schatten des berühmten großen Bruders. Das Resultat ist ein Film über Brüder und darüber, etwas selbst auf die Beine zu stellen.

Kritik

Konzertfilme sind die Pest. Meist darauf abgezielt den oder die Künstler zu glorifizieren – auch gerne mit dem Stilmittel der Entmystifizierung – bieten sie nicht mehr als stumpfen Fan Service. So oder so ähnlich hatten es sich wohl auch die amerikanische Indie-Rockgruppe The National gedacht, als sie den 9 Jahre jüngeren Bruder von Sänger Matt Berninger als Roadie und als Tour-Videotagebuchführer mit ins Boot, bzw. den Tourbus holten. Das Ergebnis dieser Entscheidung ist „Mistaken for Strangers“. Eine erfrischend kurze Dokumentation, die nur auf den ersten, sehr groben Blick eine reinrassiger Band- und Konzertfilm ist. Der eigentliche Kern von Tom Berningers Film die Beziehung zu seinem Bruder. Schwere Kost? Ja, aber erst auf den zweiten Blick und selbst dann bleibt „Mistaken für Strangers“ wunderbar leichtfüßig.

Gleich von Beginn an wird klar, diese beiden Brüder könnten unterschiedlicher nicht sein. Matt, Frontmann einer erfolgreichen Band, per du mit Barack Obama, Werner Herzog, Emily Blunt und vielen mehr, glücklich und skandalfrei verheiratet, Vater einer Tochter, ein Emotionsvirtuose auf der Bühne, immer gut angezogen, ein waschechter Bohemien. Daneben Tom. Etwas moppelig und ungepflegt, ein großer Fan von Heavy Metal, chaotisch, nie um eine Ausrede verlegen, trinkt zu viel, recht schusselig und vergesslich, Single, Regisseur von kruden Kurzfilmen aus der Horrorecke, der in seinem Zimmer voller Stolz ein vergilbtes Poster von „Robocop“ hängen hat. Die Diskrepanz zwischen den beiden Berninger-Jungs ist also allgegenwärtig und dennoch, die  Bruderliebe ist immer existent, auch wenn der gegenseitige Respekt gerne auch einmal passiv verloren geht. Aber eines ist zu Beginn klar: Matt ist der Star, der eine aus der Familie, der es geschafft hat und nun seinem verplanten Bruder die Chance gibt als Roadie mit auf Tour zu gehen.

Doch die Zusammenarbeit sowie das gemeinsame Tourleben gestalten sich schwierig: Tom will sich lieber auf den Film konzentrieren, doch als Roadie gehen andere Verpflichtungen vor und wenn er einmal ein Mitglied der Band oder Crew interviewen kann, dann meist immer zu einem äußerst unpassenden Zeitpunkt oder aber er irritiert sie, mit seltsam nichtigen bis absolut absurden Fragen. Diese Momente gehören definitiv zu den besten und schönsten von „Mistaken for Strangers“, weil Tom zum einen die internen wie charakterlichen Strukturen der Band kennt und deswegen nicht sonderlich an Fragen interessiert ist, die etwa ein externe Journalist stellen würde, zum anderen ist Tom immer noch ein großes Kind, dessen Fragen gekoppelt sind, mit einer befreienden Naivität. Und während Journalisten fragen würde, welchen musikalischen Stil Gitarrist Scott Dessner bevorzugt, fragt Tom ihn einfach (nachdem er überlegt hat, was er ihn eigentlich fragen soll), wie schnell er eigentlich sein Instrument spielen kann. Das ist sehr amüsant, allerdings auch entlarvend.

Diese Demaskierung ist allgegenwärtig, wird aber niemals so bewusst betrieben oder gar ausgeweitert, dass „Mistaken for Strangers“ eine Art satirisch ausgelegte Abrechnung mit dem Tour-Mythos ist, denn der eigentlich Kern ist die Geschichte von zwei ungleichen Brüdern. Zwei Welten die aufeinander krachen, wobei der Rockstar-Bruder klar das Sagen hat, zumindest auf der Tour. Als Außenstehender wird einem mit jeder Minute klar, dass Matt Berninger zwar den durchsetzungsfähigeren und vermutlich auch reiferen Charakter hat, als sein kleiner Bruder Tom, dass er allerdings mit Toms Lebenseinstellung absolut überfordert ist. Tom wiederrum muss sich spätestens nach dem er als Roadie wegen diverser Versäumnisse und Fehlverhalten gefeuert wird, damit auseinandersetzen, dass er nicht nur im Schatten seines Bruder steht, sondern sein gesamtes Leben in Bahnen der Unzufriedenheit verläuft. Das wären Gründe, um die Doku mit großen Gefühlen und Gesten auszustatten, aber auch hier gelingt „Mistaken for Strangers“ das Kunststück diese Mechanik aufzuhebeln und zu entzaubern, denn ein weiterer wichtiger Part des Films, ist der Prozess des eigentlichen Drehens. Die Kamera zeigt uns nicht bloß den weinenden Tom, nein, sie zeigt uns auch, wie Tom selbst die Kamera noch richtig positioniert. Matt und Tom suchen halt beide die große Show. Der eine mit seiner Musik auf der Bühne, der andere mit seiner kleinen HD-Kamera. Gefühlvoll ist beides, allerdings lässt sich bei Tom schon die größere Wahrheit und der wahrhaftigere Schmerz finden, wenn er sagt, dass er und sein Bruder immer verschieden waren und Matt, im Gegensatz zum ihm, auch schon immer ein Rockstar war.

Wenn im letzten Drittel der Doku die Tour beendet ist und Tom bei Matt einziehen darf, um den Film via Schnittarbeiten fertigzustellen, gibt es wieder eine Annäherung. Dennoch, irgendwie fremd bleiben sie sich dennoch und trotzdem, am Ende von „Mistaken for Strangers“ bleibt das Gefühl zurück, man war Zeuge von knapp 78 Minuten Wahrheit. Was eigentlich eine Art langer Werbespot für die Band The National hätte sein sollen, ist nun eine (wohl unbeabsichtigte) Zerrreflexion von modernen wie antiquierten Rockstar- und Tournee-Mythen sowie ein unartifizielle Konfrontation zwischen zwei verschiedenen Brüdern. Das Ergebnis ist humorvoll aufklärend und vor allem bittersüß ehrlich.

Fazit

Diese Dokumentation ist eine wunderbar ehrliche, charmante und vor allem unprätentiöse Arbeit. Ein Film irgendwo zwischen post-pubertärer, naiver Neugier und radikaler Offenheit. Eine Doku, die mal totaler Rock n‘ Roll ist und sich dann wieder in wohltuender Melancholie versucht, dabei aber immer autonom bleibt und sich niemals einer Erwartungsmechanik unterordnet.

Kritik: Sebastian Groß

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