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Quelle: themoviedb.org

Inhalt

Sommerhitze. Eine Tankstelle auf dem Land, Kornfelder, Wind und ferne Berge. Die Zwillinge Robert und Elena liegen im Gras und bereiten sich auf Elenas Abiturarbeit in Philosophie vor. 48 Stunden lang sind die sommerliche Wiese, ein Wald, ein See ihr Universum. 48 Stunden ist die Tankstelle ihr einziger Kontakt zur Außenwelt. 48 Stunden, sich von Kindheit und der Symbiose der Zwillingswelt zu lösen. Zwillingsspiele, Wetten, Gespräche über Philosophie. Und je mehr sie kämpfen, um voneinander loszukommen, desto mehr zieht es sie in ihre gemeinsame Welt. Als das Wochenende vorbei ist und die Sonne wieder über der Tankstelle aufgeht, ist nichts mehr, wie es vorher war.

Kritik

Es ist schwer festzumachen, an welchem Punkt ein Mensch erwachsen wird. Ob sich dieser Prozess der Reife an einem zeitlichen Punkt festzumachen ist oder ob er völlig unabhängig davon existiert. Fest steht aber das jeder Mensch in seinem Leben an einen Punkt gerät, an dem sich alles radikal für ihn ändert und nichts mehr so ist, wie es einmal war. Manch einer sieht diesen Moment kommen, ein anderer begreift ihn erst im Nachhinein. Philip Grönings (Die Frau des Polizisten, Die Große Stille) Film Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot erzählt von einem Geschwisterpaar, dass an diesen Punkt gelangt und deren eigene, selbst gebaute Welt nachhaltig erschüttert wird. Im Falle von Robert (Josef Mattes, Groupies bleiben nicht zum Frühstück) und Elena (Julia Zange, Der Lange Sommer der Theorie) sehen die beiden Zwillinge schon kommen, das sich nach dem Ablegen von Elenas Abitur in Philosophie, für welches die beiden für einen Großteil der Laufzeit lernen, das ihr behütetes Universum nicht mehr dasselbe bleiben wird, aber die Wirkung die diese Änderung auf sie haben wird, verstehen sie noch nicht. 

Robert ist in der Schule sitzen geblieben und wird von seiner Schwester und dem Filmtitel als Idiot bezeichnet, tatsächlich aber versteht er mehr von den Schriften und Theorien von Heidegger und Aurelius, als es den Anschein macht. Permanent necken und quengeln die Geschwister einander, ihre Dynamik ist von Konkurrenz, Misstrauen und doch bedingungsloser Abhängigkeit und Zärtlichkeit geprägt. Das Spiel der beiden Hauptdarsteller Mattes und Zange wirkt aufeinander abgestimmt und dennoch nie kontrolliert, als könne jede Sekunde alles mit den beiden passieren. Grönings Blick auf dieses letzte Wochenende offenbart eine ungeschönte Interpretation von Pubertät und Geschwisterlichkeit. Auf einem Feld entbrennt ein Philosophie-Diskurs, direkt neben einer Tankstelle, einem Ort an dem Robert und Elena, Kinderbilder der beiden an der Wand verraten es, den Großteil ihrer Kindheit miteinander verbracht haben und der das Zentrum ihres persönlichen Universums bildet. Nahaufnahmen von Ameisen auf einem Schulbuch, Wespen die über die Reste eines Apfels herfallen und mehrere andere Naturaufnahmen signalisieren bereits den Zerfall dieser Welt. 

„Zeit. Wir nehmen Zeit“ sagt Robert schließlich und schlägt damit das Thema von Elenas mündlichen Abi-Vortrag vor. Zeit muss erst begriffen werden. Robert verdeutlicht ihre Macht und ihre Unbezwingbarkeit. Gröning nimmt die Diskurse, die Robert und Elena rezitieren ernst. Sein Film ist selbst eine Abhandlung jener und gleichzeitig eine Reflexion darüber, wie Zeit wirken kann und wie sie erfahrbar gemacht werden kann. Nicht umsonst nimmt der Film 174 Minuten Laufzeit in Anspruch. Im letzten Drittel kippt der, mal mehr, mal weniger harmlose Lernprozess der beiden in ein Szenario, losgelöst von allen Regeln. Bis es dazu kommt erzählt Gröning den endlosen Philosophie-Diskurs sehr filmisch mit Aufnahmen eines goldenen, behüteten Sommers. Das Szenario bleibt fast die gesamte Laufzeit beschränkt auf den Schauplatz der einsamen Tankstelle und des scheinbar endlosen Feldes, das jene umgibt. In der knallenden Hitze brodelt etwas unter der Oberfläche und explodiert am Ende schließlich mit nachhaltigen Folgen. 

Eine der vielen Thesen, die der Film aufgreift, ist die, dass der Mensch unfähig ist, die Gegenwart wahrzunehmen, weil er unfähig ist, sie von Vergangenheit und Zukunft zu trennen. Nur wenn er in absoluter Panik lebt, kann er sie begreifen. Gröning führt seinen Film zu diesem Augenblick der absoluten Gegenwart, indem er erst lange Sicherheit etabliert und jene dann sprengt. Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot handelt nicht nur vom gefährlichen Spiel zweier Geschwister, sondern ist selbst auch ein Spiel mit dem Zuschauer. Kein Spiel, das Kino aufgrund eines konkreten Inhaltes konzipiert, sondern das nur auf den einzigen Moment fokussiert ist, nämlich der wenn die Bilder die Netzhaut treffen. Gröning versucht nicht, philosophische Fragen zu beantworten sondern sie mit seinem Film neu zu stellen und sie somit filmisch erlebbar zu machen. Das Ergebnis reicht von abstoßend bis traumatisierend und schließlich zur bedingungslosen Faszination. 

Es ist im Grunde aber auch unwichtig, ob die Zeit-Definitionen eines Heidegger oder die Bekenntnisse eines Aurelius, welche im Abspann noch einmal genau bibliographiert werden, nun das Interesse wecken. Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot ist auch losgelöst von seinem philosophischen Anspruch  ein schmerzhafter Coming-of-Age Film. Die Streitereien zwischen Robert und Elena, die den Lern-Diskurs immer wieder unterbrechen, wirken irgendwann noch als der unschuldigste Aspekt ihrer Beziehung. Gröning erzählt eine Geschichte von zwei Geschwistern, die lernen müssen, bald ohne einander klar zu kommen, die für diesen Schritt noch nicht bereit sind und erst zu spät erkennen, was sie einander wirklich bedeuten. Wie viel Freiheit, wie viel Schönheit und wie viel Grausamkeit die Welt für sie bereit hält, offenbart sich in einem Mikrokosmos der alles Bekannte einreißt und Platz für die Endlosigkeit der Zeit macht.

Fazit

"Mein Bruder heißt Robert und ist sein Idiot" ist ein Meisterwerk. Ein Film, der Kino als Raum der bedingungslosen Erfahrung versteht und selbst ein einziges Erlebnis darstellt, der sich der Radikalität der Philosophie verschrieben hat und die wohl erschütterndste Geschichte über das Erwachsenwerden der letzten Jahre erzählt.

Kritik: Jakob Jurisch

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