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Quelle: themoviedb.org
Big 71hhs3p m l. sl1441
  • 113 Min Drama
  • Regie
  • Drehbuch
  • Cast

Verfügbar auf

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Inhalt

Benjamin ist Schüler an einer aufgeklärten, staatlichen Schule. Eines Tages weigert er sich, am Schwimmunterricht teilzunehmen und zwar nicht, wie seine Mutter vermutet, wegen einer unkontrollierbaren Erektion, sondern weil der Anblick seiner minimal bekleideten Mitschülerinnen seine religiösen Gefühle verletzt. Benjamin ist konvertiert: zum Christentum und bedient sich ab sofort bei einer schier unendlichen Ressource der Aggression: der Bibel. Während sich seine Mitschüler weiterhin in Reih und Glied liberaler Unterrichtsführung dirigieren lassen, ist Benjamin auf Rebellionskurs, ein Missionar und Kreuzzügler, der gegen Homosexualität, geschiedene Frauen und Evolutionstheorie die eine oder andere Bibelstelle ins Feld zu führen weiß.

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Quelle: themoviedb.org

Kritik

Ein Blick auf das gegenwärtige Kino Russlands genügt, um sich einen beklemmenden Eindruck über die Lage dieses Landes zu verschaffen. Gerade in Zeiten politischer Spannungen scheinen sich Filmemacher bewusst jenem Medium zuzuwenden, das ihren Lebensinhalt bestimmt, um persönlichen Anliegen weiterhin auf künstlerische Weise Gehör zu verschaffen. In den letzten Jahren sorgte diesbezüglich vor allem Andrey Zvyagintsev (Loveless) mit seinem oscarnominierten Drama Leviathan für Aufmerksamkeit. Darin erzählte der Regisseur, angelehnt an die Geschichte Hiobs, vom Schicksal eines einfachen russischen Mannes, der an zentralen Instanzen wie dem Staat, der Kirche und schließlich der eigenen Familie scheitert und einen fatalen Abstieg durchleiden muss, an dessen Ende nichts als bitterer Pessimismus übrig bleibt. 

In seinem Film Der die Zeichen liest, der auf dem Theaterstück Märtyrer des deutschen Autors und Dramaturgen Marius von Mayenburg basiert, widmet sich der russische Regisseur Kirill Serebrennikov (Betrayal) explizit dem Aspekt der Religion, um eine flammende Anklage gegen blinden Fundamentalismus sowie dessen Auswirkungen in Zusammenhang mit liberalen Vertretern der Gesellschaft zu inszenieren. Als Werkzeug für seinen Kreuzzug nutzt der Regisseur die Figur des jugendlichen Benjamin, der für sein Umfeld zunehmend ein frustrierendes Rätsel darstellt. Schon in der Anfangsszene ist dessen Mutter ratlos darüber, wieso ihr Junge dauerhaft dem Schwimmunterricht der Schule fernbleiben will. Eine Erklärung sucht sie sich daher im pubertären Verhalten des Jugendlichen, der womöglich unter unkontrollierten Erektionen leidet, die ihn zwischen seinen Mitschülern in peinliche Situationen bringen würden.

Benjamin selbst gibt dagegen an, sein Grund sei ein rein religiöser. Es ist die Freizügigkeit der Bikini tragenden Schülerinnen, die ihn stört. Indem er fortan fast nur noch wörtliche Zitate aus der Bibel verwendet, um sich und seine Absichten klar zu artikulieren, startet Benjamin an seiner Schule und zu Hause gegenüber seiner alleinerziehenden Mutter eine regelrechte Rebellion, die die Lehrer um ihn herum regelmäßig zu hitzigen Diskussionen und Streitgesprächen verleitet. Da die Worte des Jungen originale Stellen aus der Bibel sind, wird schon bald darüber nachgedacht, den Mädchen lieber strikte Kleidervorschriften aufzuerlegen und sie dazu zu zwingen, Badeanzüge zu tragen. Die angespannten Vorfälle häufen sich im weiteren Verlauf von Serebrennikovs Film, wenn Benjamin den Biologieunterricht aufwirbelt, indem er sich nackt auszieht und das Überstreifen von Kondomen lieber an sich selbst anstatt an Möhren demonstrieren will. Auch während der Unterrichtung der Evolutionstheorie der gleichen Lehrerin, die Atheistin und Jüdin ist und somit eine deutliche Zielscheibe für Benjamins Angriffe bildet, rebelliert er im Affenkostüm, um sich gegen eine Weltanschauung zu stemmen, die der Schöpfungsgeschichte aus der Bibel widerspricht, nach der Gott die Erde angeblich in sechs Tagen erschaffen hat.

Die ansteigende Orientierungs- sowie Machtlosigkeit, die Benjamin durch sein Verhalten erzeugt, wird zum Zentrum von Der die Zeichen liest. Das Bühnenhafte der Vorlage betont Serebrennikov außerdem durch zahlreiche Plansequenzen, mit denen er die Konfrontationen zwischen seinem Protagonisten und den ratlosen bis überforderten Figuren um ihn herum ohne erleichternde Schnitte in auslaugenden Sequenzen förmlich auskostet. Dass der Regisseur mit seiner gleichermaßen offensiven wie ungestümen Abrechnung mit der Ohnmacht von Benjamins Umfeld nichts als verbrannte Erde hinterlassen will, ist zugleich das große Manko dieses Films, der repetitiv um die eigenen Motive kreist, ohne einen tieferen Zugang zu ermöglichen. Die Sequenzen, in denen Benjamin wie ein besessener Prediger Bibelzitate äußert, Lehrer erst gegen sich aufbringt und diese schließlich aufgrund der religiösen Herkunft auf seine Seite zieht und für seine Ansichten gewinnt, wiederholen sich, während der Regisseur den Jugendlichen kontinuierlich zu einem unaufhaltsamen Übel stilisiert, das Zitate wahllos aus ihrem Kontext reißt, um sich eine eigene, unwiderlegbare Ideologie zu erschaffen, die unreflektierte Anhänger christlicher Werte konsequenterweise vor den Kopf stößt.

Fazit

Mit seiner wütenden, bitterbösen Abrechnung mit den liberalen Werten einer dem Staat sowie der Kirche bedingungslos verschriebenen Gesellschaft sowie den gefährlichen Auswirkungen von blindem Fundamentalismus hat der russische Regisseur Kirill Serebrennikov ein ebenso ungestümes wie repetitives Werk geschaffen. „Der die Zeichen liest“ greift die Missstände eines unter Putin regierten Russlands auf, das gegenüber religiöser Allgegenwärtigkeit in überforderter Hoffnungslosigkeit und unreflektierter Machtlosigkeit versinkt, kratzt mit den immer gleichen Szenenverläufen aber nur an der Oberfläche und bleibt trotz flammender Kritik zu einseitig, um tatsächlich einen tieferen Diskurs anzustoßen und mehr als nur verbrannte Erde zu hinterlassen.

Kritik: Patrick Reinbott

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