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Abschlussbericht: Bright Nights, (almost) no Stars

Lidanoir

Von Lidanoir in Tallinn Black Nights Film Festival 2025

Abschlussbericht: Bright Nights, (almost) no Stars Bildnachweis: © PÖFF 2025

Das runde Jubiläum steht im kommenden Jahr noch bevor, doch die Stimmung war schon auf der 29. Ausgabe des ein strahlender Kontrast zu den nasskalten Nächten, die Tallinn Black Nights Film Festival seinen Namen geben. Offiziell endete das 16-tägige Event am 23. November, doch die Preisverleihung fand bereits am Abend des 21. statt. Zwei Tage zum Nach- oder Wiederholen der preisgekrönten Filme statt wie üblich einem, passt zum überbordenden Programm von mehr als 250 Filmen und dem inoffiziellen Motto des Festivals: Mehr ist mehr. Bei Filmen, Sektionen, Preisen, Veranstaltungen, der Tagen und Veranstaltungsdauer. Eröffnung und Preis-Zeremonie laufen in Cannes, Locarno oder San Sebastián etwa eine Stunde. In Tallinn ist das gerade die Halbzeit zur Pause der jeweils 4- bis 5-ständigen Veranstaltung. 

Der große Gewinner des Abends war Júlia de Paz Solvas‘ Jugenddrama The Good Daughter, das erstmals in der Geschichte des Festivals den Grand Prix der Jury und den Publikumspreis gewann sowie zusätzlich die Ehrung als Beste Hauptdarstellerin für Kiara Arancibia. Die übrigen Statuen Form des vergoldeten Wolfs wurden diplomatisch verteilt. Nichts zu erhalten, fühlt sich da fast wie eine Niederlage an. Die Auszeichnung für den Besten Schauspieler teilten sich das Darsteller-Duo des deutschen Beitrags Der Frosch und das Wasser, Kanji Tsuda und Aladdin Detlefsen. Letzter erhielt als zweiter Darsteller mit Down-Syndrom einen Hauptpreis bei einem A-List-Festival (nach Pascal Duquenne 1996 in Cannes, kurioserweise ebenfalls In ex aequo. Der Preis für die Beste Regie ging an Ali Vatansevers experimentelle Elegie LifeLike, die auch für die beste Musik ausgezeichnet wurde. 

Karin Pennanens dokumentarische Collage Days of Wonder erhielt in der Kategorie für internationalen Dokumentarfilm Doc@PÖFF die Trophäe. Die Vergabe eines beachtlichen Anteils der internationalen Preise an baltische Produktionen, die mit mehreren separaten Sektionen bedacht werden, ist wohl Teil der gezielten Förderung der lokalen Filmszene. Dieses Interesse gilt besonders auch dem cineastischen Nachwuchs, hinter und vor der Kamera, im Rahmen des umfangreichen Industry Programms und vor der Leinwand. Rund ein Dutzend Sektionen wenden sich an das Kinderpublikum. Woran es mangelt sind die glanzvollen Premieren und Stars. Zu den wenigen zählte Golshifteh Farahani, die mit Oh, What Happy Days! Ihre Rückkehr zum iranischen Kino feierte, und die mit der Mini-Serie The Danish Woman präsente Schauspielgröße Trine Dyrholm

Beide interagierten in Pressekonferenzen und Q&As mit Medienvertretenden und Publikum. Unter zweites mischte sich ein gut aufgelegter James McAvoy, der als Schauspieler und Regisseur gleich in zwei Festival Beiträgen mitwirkt, bei der Vorführung seines Regie-Debüts California Schemin‘. Dass dieses Special Guests Screening zu den wenigen restlos ausverkauften Festival-Vorführungen zählte, verweist auf den strukturellen Scheideweg des Festivals. Glamour nach Vorbild von Cannes und Venedig, Arthouse wie Locarno und Karlovy Vary oder publikumsorientiert wie die Berlinale? Letzter Tendenz zu filmischer Beliebigkeit scheint Tallinn nahe mit seinem ausufernden Programm, von dem es nur ein Bruchteil in Kino schafft. Kleine Perlen gehen leicht verloren oder werden gar nicht erst gefunden in der Masse. Die abzudecken schafft weder die Presse noch das Publikum. 

Dass zweites den gleichen Film zu seinem Favoriten krönte, der den Hauptpreis mitnahm, zeigt, wie gut das Festival und seine Zuschauenden übereinstimmen. Rückblickend scheint Solvas Coming-of-Age-Story repräsentativ für die übergreifenden Themen der 29. Festival-Edition: Selbstbestimmung, Familie und Konflikt. Kämpfe auf privater und nationaler Ebene zogen sich als motivischer Leitfaden durch dokumentarische Formen und Fiktion gleichermaßen. Krieg, historisch und gegenwärtig, unmittelbar und in seinen Aus- und Nachwirken in Form von Flucht, Trauma und Unterdrückung schien allgegenwärtig. Selbst bei der Eröffnungszeremonie und der Preisverleihung. Dort machten eine Ansprache des Verteidigungsministers, martialische Zitate und Verweise auf Estlands Unabhängigkeitswillen die angespannte Stimmung angesichts der russischen Aggressionspolitik spürbar. Im Filmprogramm zeigte Sundance Doku 2000 Meters to Andriivka zeigte den grausamen Weg zur Frontlinie.

Christian Bonkes als bestes Langfilm-Debüt ausgezeichnetes Veteranen-Drama Hercules Falling verarbeitete mit einem Cast aus betroffenen Laien und professionellen Schauspielenden PTSD. Annemarie Jacirs episches Historienpanorama Palestine 36 zeigte den palästinensischen Aufstand gegen britische Unterdrückung 1936. Dass Jacirs Werk neben Netalie BraunOxygen sowie dem palästinensischen Oscar-Anwärter The Sea von Shai Carmeli-Pollak lief, spiegelt die Gegenposition des Festivals zu Boykotten israelischer Beiträge und Filmschaffender oder israelkritischer Äußerungen. Im Interview betonte Festival Direktorin Tiina Lokk, wie wichtig ihr Unabhängigkeit sei, sowohl des Festivals als auch ihre eigene. Sie versuche, verschiedenen Stimmen Gehör zu verschaffen, so Lokk. Diese Vielfalt fehlt indes an anderer Stelle. BIPOC Perspektiven sind deutlich unterrepräsentiert, Accessibility ist stark eingeschränkt und Unterschichts-Perspektiven in Programm und Presse praktisch nicht vorhanden. 

Ob sich zum 30. Jubiläum des Festivals Innovation durchsetzen oder die rigiden Hierarchien und lobbyistischen Strukturen der Festival-Welt auch in Tallinn verfestigen, bleibt abzuwarten. Mehr Diversität und Zugänglichkeit statt mehr Filme wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg nach oben.

Alle  Preistragenden und prämierten Filme findet ihr hier

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