Bildnachweis: © Universal Pictures

Murder by Movie: 12 Filme, die angeblich reale Verbrechen inspirierten

von Lida Bach

Es ist fast unmöglich, in den 90ern aufgewachsen zu sein, ohne von dem grausigen Mord a James Bulger gehört zu haben. Das unscharfe Standbild einer Überwachungskamera, auf dem ein Junge im Grundschulalter - später identifiziert als Jon Venables - den Zweijährigen an der Hand hält, ist eingefroren in das kollektive Gedächtnis der Ära. Die zum Tatzeitpunkt 10-jährigen Täter, Robert Thompson und Jon Venables, wurden zu den jüngsten verurteilten Mördern des 20. Jahrhunderts. Nach der Urteilsverhängung psychiatrischer Sicherheitsverwahrung hob der Richter die Pressesperre bezüglich der Identität der Täter auf. Das Recht der Verurteilten auf Privatsphäre würde überwogen vom öffentlichen Interesse an “einer informierten Debatte über Straftaten seitens junger Kinder”. “Informierte Debatte” klingt nach einer sachlichen Abwägung von Fakten unter humanistischen Gesichtspunkten.

Tatsächlich war der öffentliche Aufruhr im Zuge der Tat selbst Stoff für einen Horrorfilm. Da den Forderungen die Täter zu hängen oder für den Rest ihres Lebens einzusperren nicht entsprochen wurde, musste ein anderer Verantwortlicher her. Das waren einmal mehr Video Nasties (falls ihr zu dem Schlagwort etwas mehr lesen wollt), repräsentiert durch s Sequel zu s 1988 erschienenen Killerpuppen-Kultfilm Child’s Play 3. Boulevardzeitungen wie The Sun, Daily Mail und Daily Mirror (der Bulgers Mörder auf der Titelseite als “Freaks of Nature” - “Missgeburten” bezeichnete) riefen zum Kampf gegen die vorgeblich mörderischen Movies auf. Somit ist es wieder Zeit für Zitate, die alles zu einem gesellschaftlichen Szenario sagen.

“Judge blames Video Nasties for murder: “They fuel killings”
“Why sick Video Nasties must be BANNED”
“Keep Nasties from our kids!”
“Jail parents if kids watch Video Nasties”
“Ban video sadism now!”

Auf den Collagen von Horrorfilm-Video-Covern, die solche Schlagzeilen oft bebilderte, hatte Child’s Play 3 einen festen Platz. Am 27. November 1993 rief The Sun gar zu einem faschistisch inspirierten Autodafé auf: “for the sake of ALL your kids… Burn your Video Nasty” Dazu gab es ein Bild Chuckys grinsenden Puppengesichts umgeben von Flammen. In der gleichen Ausgabe zeigt ein Comic mit dem Titel “being led away” einen erwachsenengroßen Chucky, der zwei kleine Kinder an der Hand gen Hölle führt. Die Parallele zu dem berüchtigten Überwachungskamera-Bild James Bulgers mit seinem zukünftigen Mörder war für die damalige Leserschaft unverkennbar. Zwar hatte Venables Vater Child’s Play 3 ein paar Monate vor der Tat aus der Videothek ausgeliehen, aber weder Venables noch Thompson hatten den Film gesehen.

Zudem gibt es keine Parallelen von Filmhandlung und Tathergang, weder in Child’s Play 3 noch in den rund 200 anderen Filmen, die Venables Familie ausgeliehen hatte. Einer der Beamten fasste die Diskrepanz zwischen dem Verbrechen und der Horrorfilm-Hetze folgendermaßen zusammen: “Wenn man diesen Mord einem Film anhängt, kann man ihn genauso gut The Railway Children anhängen.“ Dennoch gratulierte der Daily Mirror seiner Leserschaft wenig später auf einer Titelseite mit dem Child’s Play 3 Cover und der Schlagzeile: “Verboten - dank euch!” Was genau damit gemeint ist, ließ sich nicht ermitteln, denn der Film wurde in Großbritannien nicht verboten. Lediglich die Jugendfreigabe bezüglich Gewaltdarstellungen wurde konkreter ausformuliert. Womöglich verschaffte der Gedanke, dass irgendwie irgendwas verboten worden war den Video-Vigilanten Genugtuung.

Was wäre, wenn mit der gleichen Energie und Ausdauer, mit der eine gemutmaßte Bedrohung von The Driller Killer & Co untersucht wurde, die Auswirkungen der massiven Sozialkürzungen unter Margaret Thatcher untersucht worden wären? Besagte Kürzungen sorgten dafür, dass mit materiellen und psychologischen Schwierigkeiten ringende Familien wie die Thompsons und Venables keinen Beistand erhielten, und Schulen keine Kapazität hatten, auf verhaltensauffällige Kinder zu achten. Aber, hey, dafür konnten ein paar Leute weniger Chucky sehen. Herzlichen Glückwunsch.

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