Bildnachweis: Studio Canal

"Hannibal" - Staffel 3 - Kritik

von André Schiemer

Inhalt: Das schockierenden Finale der zweiten Staffel lies den Zuschauer fassungslos zurück. Nun ist Hannibal Lecter (Mads Mikkelsen, „Men & Chicken“) auf der Flucht – und reist, begleitet von seiner Psychiaterin Bedelia Du Maurier (Gillian Anderson, „The Fall“), nach Italien. Unter gefälschtem Namen starten die beiden in ein neues Leben in Florenz, aber Hannibals unstillbarer Appetit treibt ihn schnell in alte, mörderische Gewohnheiten. Schon bald sind ihm nicht nur seine Kontrahenten Will (Hugh Dancy), Jack (Laurence Fishburne) und Alana (Caroline Dhavernas) auf der Spur – jeder mit seiner ganz eigenen Motivation ihn zu finden. Auch der entstellte Milliardär Mason Verger (neu: Joe Anderson, „The Grey – Unter Wölfen“) hat noch eine offene Rechnung zu begleichen. Eine nervenaufreibende Jagd beginnt…

Nach einem Zeitsprung von drei Jahren und zurück in den USA treibt ein Mörder (Richard Armitrage, „Der Hobbit“), der von den Medien als „Zahnfee“ tituliert wird, sein Unwesen und tötet unschuldige Familien. Mit der Unterstützung des Psychiaters Dr. Hannibal Lecter soll ein Psychogramm angefertigt werden um den Täter zu schnappen.

Kritik: Zum Start der ersten Staffel von „Hannibal“ wurde die Serien-Adaption von Thomas Harris‘ Bestsellern mit viel Argwohn und Skepsis beäugt. Die Fußstapfen eines Anthony Hopkins schienen einfach zu groß. Doch Produzent und Drehbuchautor Bryan Fuller gelang es mit einer Riege von nicht gerade unbekannten Regisseuren (u.a. Vincenzo Natali, David Slade, Neil Marshall) seine ganz eigene Geschichte rund um „Hannibal the Cannibal“  zu kreieren. Dem Haussender NBC schien die äußerst blutige Serie am Ende doch eine Nummer zu provokativ und verstörend, so dass diese in Amerika kaum beworben wurde. Der hohe Produktionsaufwand, vor allem durch die professionell erstellten CGI-Effekte, führte zusammen mit durchweg enttäuschenden Einschaltquoten zur Absetzung der Serie nach immerhin drei Staffeln und 39 Episoden.  Obwohl sicherlich nicht jedermanns Geschmack, kann „Hannibal“ mit Fug und Recht als eine der visuell aufregendsten Drama-Serien der letzten Jahre bezeichnet werden. Das Angebot an Serien ist aktuell riesig und kaum noch überschaubar. Bei „Hannibal" war jedoch in jeder einzelnen Folge spürbar, dass die kreativen Köpfe hinter den Kulissen etwas Neues und Aufregendes schaffen wollten. Die kürzlich veröffentlichte dritte Staffel untermauert erneut, welch hohes Niveau insbesondere amerikanische Serien mittlerweile erlangt haben.

Die zweite Staffel endete mit einem großen Knall. Hannibal offenbarte sein wahres Ich und hinterließ in seinem Apartment ein Blutbad. Wer konnte überleben und mit welchen Konsequenzen? Wer musste sterben? Fragen die den Zuschauer ratlos zurückliesen. Da Hannibal selbst fliehen konnte, war es nur verständlich, dass die Macher mit der Fortsetzung nun eine ganz andere Richtung einschlugen, wobei sich das Katz-und-Maus-Spiel der Vergangenheit nicht geändert hat – es wurden nur neue Regeln festgelegt.  

Vorhang auf also für das große Finale. Die Kamera folgt zu Beginn einem Motorradfahrer durch das nächtliche Paris. Als dieser den Helm abnimmt, sehen wir dessen wahre Identität. Es ist Hannibal Lecter, nicht länger ein Wolf im Schafspelz, sondern nur noch ein Wolf, der wie er selbst sagt “sein Kostüm abgelegt hat”.  Zusammen mit seiner eigenen Psychologin Bedelia ist Hannibal nach Europa geflüchtet, hat sich letztendlich häuslich in Florenz niedergelassen. Die beiden führen eine spannungsgeladene Beziehung, wobei Bedelia selbst von Hannibal manupuliert und terrorisiert wird, so dass sie letztendlich an dessen Seite bleibt und sich selbst als Täterin schuldig macht. Über das Schicksal von Will und Co. wird der Zuschauer lange im Unklaren gelassen, stattdessen fokusiert sich die Handlung voll auf Hannibal Lecter.
Es dauert jedoch nicht lange, bis ein schwer gezeichneter Will Graham ebenfalls nach Europa reist, um seinen ewigen Widersacher ausfindig machen. Bei seinen Recherchen kommt er auch Hannibals Familiengeschichte näher.

Ohne näher auf Details der Handlung (die auch kurz den Roman "Hannibal Rising" streift): Die erste Hälfte der Staffel lässt das Tempo und die Spannung aus vorangegangenen Folgen missen und es braucht eine Weile, bis „Hannibal“ wieder richtig an Fahrt aufnimmt. Jede Person  scheint in ihrer jeweiligen Situation zu verharren, die Handlung tritt etwas auf der Stelle und die Macher nehmen sich viel Zeit, tief in die Psyche der Hauptcharaktere einzutauchen und deren Verhalten zu ergründen. Eben diese Charakterstudien dürften polarisieren. Denn die Handlung im hier und jetzt wird garniert mit unzähligen Rückblenden und nicht immer nachvollziehbare Zeitsprüngen. Vor allem Will Graham wird geplagt von sehr metaphorischen Albträumen und Visionen, die sich wie der gesamte Serienauftakt etwas in ihrer Symbolik verlieren. Obwohl die gezeigten Zeitlupenbilder oft wie wunderschöne Gemälde anmuten, ist das nicht immer leicht verdaulich, teils sehr verwirrend, zeitweise gar etwas unerträglich. Man könnte fast sagen, Hannibal 3.1 wirkt wie ein in die Länge gezogener Arthousefilm, was auch damit zusammenhängen mag, dass Bryan Fuller nach erneuten Budgetkürzungen seitens NBC eine für sich völlig unabhängige künstlerische Freiheit heraushandeln konnte. Ob dies tatsächlich anspruchsvolle Kunst ist oder ob sich Fuller etwas im Bilderrausch verloren hat, darf jeder für sich selbst entscheiden. Fakt ist aber, dass die Handlung wieder etwas geradliniger wird und deutlich an Fahrt aufnimmt, als der ebenfalls aus den Romanen bekannte  Mason Verger ins Spiel kommt. Der schwer entstellte Millionär hat ganz eigene Pläne mit Hannibal und lässt die Schlinge letztendlich immer enger um dessen Kopf ziehen.

Hannibal 3.2 dreht sich dann vollständig um einen neuen Serienkiller, für den die bereits zwei Mal verfilmte Romanvorlage „Roter Drache“ Pate stand. Spätestens hier wird die Geduld der Zuschauer belohnt, denn die sechs Episoden rund um die Zahnfee sind einfach nur meisterlich inszeniert. Selbst Kennern der Storyline wird hier genug Horror und Spannung geboten, so dass Fullers Neuinterpretation von Thomas Harris' Bestseller in jeder Minute äußerst mitreissend ausgefallen ist. Aber Vorsicht: Der "Rote Drache" kennt keine Gnade und der Härtegrad ist für eine TV-Serie schon enorm. Einen starken Magen sollte man deshalb schon mitbringen.
Faszinierender als die Horror-Einlagen ist jedoch mehr denn je das Verhältnis zwischen Hannibal und Will, dass erneut stark in den Fokus rückt, als die beiden widerwillig zusammenarbeiten müssen. Der Umgang der beiden miteinander ist geprägt von einer tiefgründigen Hassliebe und dies liefert wohl einige der emotionalsten Momente der gesamten Serie.

Schauspielerisch bleibt „Hannibal“ auf überragendem Niveau. Warum Mads Mikkelsen bei den vielen amerikanischen Schauspielerpreisen bisher leer ausging, wird wohl für immer ein Rätsel bleiben. Mittlerweile dürfte er für seine Verkörperung des berüchtigten Psychopathen alle Kritiker zum Verstummen gebracht haben, denn er hat sich den Romancharakter völlig zu eigen gemacht und verkörpert diesen mit einem wahnsinnigen Charisma.

Auch Hugh Dancy brilliert nach wie vor Will Graham und meistert problemlos die Verkörperung des seelisch stark angeschlagenen Ermittlers. Laurence Fishburne und Caroline Dhavernas sind ebenfalls sehr stark, wirken durch ihre Erlebnisse nun noch verbitterter, aber auch entschlossener.

Beeindruckend auch Gillian Anderson, die hier eine weit größere Rolle inne hat als zuvor. Mit minimalistischer Mimik schafft sie es diese Angst einerseits und Bewunderung andererseits zu verkörpern, die ihr Charakter Bedelia nahezu zu paralysieren und an Hannibal zu binden scheint – das ist schon toll gespielt. Die größte Überraschung der gesamten Staffel dürfte allerdings Richard Armitrage, bekannt von seiner Darstellung als Thorin Eichenschild im „Hobbit“, sein. Solch eine düstere Rolle hätte man ihm nicht unbedingt zugetraut, doch der vor allem am britischen Theater vielfach gelobte Darsteller entwickelt solch eine unheimliche Präsenz, mit der er seine Vorgänger Ralph Fiennes und Tom Noonan um Längen überflügelt.

Auch die von Zachary Quinto (erinnert etwas an Sylar aus "Heroes") oder Rutina Wesley ("True Blood") verkörperten Nebencharaktere bleiben in Erinnerung, hätten jedoch noch etwas mehr Tiefe vertragen können. Etwas verschenkt wird dagegen die Japanerin Tao Okamoto ("Wolverine"), die sich nicht so recht in die eigentliche Rahmenhandlung einfügen will.

Ursprünglich wollte Bryan Fuller die dritte Staffel als Schnitzeljagd zwischen FBI und Hannibal inszenieren, an deren Ende Hannibal dann gefasst ist und im Gefängnis sitzt. Erst die vierte Staffel sollte eine Neuinterpretation des „Roten Drachen“ werden. Die plötzliche Entscheidung, die Serie abzusetzen, zwang Fuller zur Umarbeitung der Drehbücher und Verkürzung der Handlungsstränge. So wirkt dann am Ende auch nicht alles ganz rund. Es gibt einige derbe Logikfehler, die Storyline rund um Mason Verger und Hannibals Familiengeschichte kommt viel zu kurz und in der zweiten Staffelhälfte werden einige zuvor mühsam aufgebaute Nebencharaktere einfach fallen gelassen. Trotzdem bleibt „Hannibal“ vor allem dank seiner geschliffenen Dialoge und der visuellen Kraft anspruchsvolle Unterhaltung auf sehr hohem Niveau. Vor allem das Staffelfinale ist sehr bewegend ausgefallen und dürfte keinen Zuschauer unbefriedigt zurücklassen.

Fazit: "Hannibal" wird wohl für immer eines der Highlights der Serienlandschaft bleiben. Man muss sich vor dem Mut verbeugen, den das Team rund um Bryan Fuller bei der Entwicklung der Handlung sowie der Kompromisslosigkeit und dem Look der Serie gezeigt haben. Auch die finale Staffel begeistert durch einen unnachahmlichen düster-eleganten, oft auch surrealen Stil. Dies wird man in dieser Form und in solcher Kompromisslosigkeit vermutlich nicht mehr so schnell auf dem heimischen Bildschirm bewundern dürfen.
Während die erste Staffelhälfte mehr als Psychogramm der Hauptcharaktere interpretiert werden kann, ist die zweite Hälfte fessende Horrorthriller-Kost mit atemberaubenden Bildern. "Hannibal" brilliert darüber hinaus durch intelligente, philosophische Dialoge und nach wie vor herausragende Darsteller. Eine sehr außergewöhnliche und eigensinnige Serie geht damit zu Ende.

Bewertung:  8/10


Unsere Bewertung der am 21.01.2016 veröffentlichten Blu-Ray:

Bild:
Das Bild der von Studio Canal zur Verfügung gestellten Blu-Ray liegt in 16:9 vor und ist selbst in den vielen dunklen Szenen knackig scharf und begeistert durch einen hohen Kontrast.

Ton: Der deutsche und der englische DTS-HD MA 5.1-Ton brilliert durch einen klaren und verständliche Spur, vor allem bei den Dialogen. Auch der dynamisch abgemischte Score unterstreicht die oft düsteren Szenen. 

Extras: Es gibt Audio-Kommentare von Bryan Fuller zu den Episoden 12 und 13, die knapp zweistündige und sehr spannenden Dokumentation „Getting the Old Scent Again: Reimagining the Red Dragon“ sowie kleinere Featurettes und Interviews mit den Darstellern. Eine Sammlung an Gag-Reels und entfallenen Szenen rundet das sehr umfangreiche Zusatzmaterial ab.Hier bleiben nahezu keine Wünsche offen.

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