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Filmkritiker im Gespräch: Lucas Curstädt und die Zweite Produktion

GoldenEra

Von GoldenEra in Filmkritiker im Gespräch: Lucas Curstädt und die Zweite Produktion

Filmkritiker im Gespräch: Lucas Curstädt und die Zweite Produktion Bildnachweis: YouTube

Nach einer längeren Pause möchte ich ein Format reanimieren, das ich letztes Jahr hier ins Leben gerufen habe. Es handelt sich um eine Interview-Reihe, in der ich mich mit den verschiedenste Filmkritikern über ihre Tätigkeit unterhalte. Bislang hatte ich die Möglichkeit Wolfgang M. Schmitt (hier) und Robert Hofmann (hier) zu interviewen. Dieses Mal durfte ich mich über ein Gespräch mit Lucas Curstädt von der Zweiten Produktion freuen, auf dessen Kanal ich in den letzten Monaten mit reger Begeisterung aufmerksam wurde. Lucas ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bonn und macht  ideologiekritische Filmkritik, vor allem aber ist er ein Geheimtipp auf YouTube, wenn man nach gedankenreiche Analysen der Servicekritik vorzieht. 

Das Interview wurde geführt von Maximilian

Maximilian: Was ist Deine persönliche Intention hinter Deinen Filmkritiken auf YouTube?

Lucas Curstädt: Ich habe mit der Zweiten Produktion gemeinsam mit Roman Paul Widera als textbasierte Seite angefangen und das YouTube-Format entwickelte sich in dem Glauben heraus, dass Text auf einer eigenen Plattform online soweit tot ist und eine Art – das hört sich jetzt schrecklich neoliberal an – Markenkernbindung zwischen der Rezeption und mir als jemanden, der Filmkritik macht, im Bewegungsbild höher und zugleich assoziativer ist. Es hatte zugleich einige egoistische Motive, nämlich eine gewisse Präsenz im Visuellen zu erlangen und damit einen gewissen Wiedererkennungswert zu generieren.

Doch die ursprüngliche Frage von Dir war ja, warum ich überhaupt Filmkritik mache: Ideologiekritische Filmkritik, wie ich sie versuche zu betreiben, die sich mit Filmgeschichte und Filmästhetik befasst, halte ich für stark unterrepräsentiert oder im schlimmsten Fall stark marginalisiert. Natürlich kann man zwischen mir und zum Beispiel zu Wolfgang M. Schmitt sehr viele Ähnlichkeiten erkennen, weil wir beide Ideologiekritiker sind, aber ich würde behaupten, dass bei mir der Zugang aus der Filmwissenschaft stärker ist, weil das eben mein Beruf ist. Dementsprechend möchte ich über die ästhetische, nicht nur die ideologiekritische Analyse, die Begeisterung oder anders gesagt, die Perspektive, die Begeisterung für einen Film erzeugen kann, um den kritischen Blick auf den Film erweitern. Das erhoffe ich mir mit meinem Kanal. Aber wie Wolfgang mir mal sagte: Am Anfang wirst Du sehr lange ignoriert, dann wirst Du angefeindet und irgendwann akzeptiert. Und ich bin noch in dieser sehr großen Phase der Ignoranz, weil sich ein Publikum nur sehr langsam aufbaut. Man braucht vor allem viel Durchhaltevermögen, glaube ich.

Maximilian: Und hast Du schon Angst vor den Anfeindungen?

Lucas Curstädt: Überhaupt nicht. Ich sehne ihn mir jedes Mal herbei und wenn ich dann zum Beispiel unter der letzten Folge von Kino+ mein Video zu „High Life“ kommentiere, weil der Film in dem kurzen Segment recht oberflächlich verrissen wurde, dann erhoffe ich mir auch, dass dadurch negative Resonanz entsteht, denn das ist eben auch eine Form der Verbreitung: Filmkritik als Provokation.

Maximilian: Wozu brauchen wir denn heute überhaupt noch Filmkritik, wenn ich auf IMDB mit einem Klick ein Meinungsbild abrufen kann?

Lucas Curstädt: Welches Meinungsbild ist das denn überhaupt? Ein Meinungsbild, das in Skalen gezwängt wurde, in dem Filme irgendwo zwischen 0 und 10 oder wie ich bei einer absurden Seite gesehen habe zwischen 0 und 100 verordnet werden. Da stelle ich mir die Frage, warum ein Film 77 und nicht 78 Punkte bekommen hat und was ist eigentlich mit 77,5? Ich glaube nicht, dass wir Film quantitativ messen können, ich glaube auch nicht, dass Zahlenwerte irgendetwas wiedergeben, was intersubjektiv ein verlässlicher Wert ist. Sie geben vielleicht eine Orientierung, doch auf eine positivistische Art und Weise, die komplexitätsreduzierend ist. Und wenn es sich um ein Meinungsbild handelt, bei dem wir kurze Statements lesen, so sind das doch immer generische, austauschbare Statements. Das darf nicht die Funktion von Filmkritik sein und es darf auch nicht die Funktion sein, automatisch Zielgruppen ansprechen zu wollen, die in irgendeiner Art und Weise schon in vorgefertigten Schubladen stecken und nur das sehen wollen, was sie schon immer gesehen haben. Wenn man sagt, der Zuschauer soll abgeholt werden, wo er gerade ist, dann muss man ihn auch irgendwo hinbringen, wo er noch nicht war. Filmkritik muss Herausforderung sein, muss subjektiv sein, aber nicht subjektivistisch. Sie muss den Dissens suchen und Raum bieten, über unsere Zeit und unsere Gesellschaft nachzudenken. Film sollte weniger als dieses Unterhaltungs- und Konsumgut begriffen werden, was es sicherlich auch ist, aber eben nie nur. Jeder, der sich auf Zahlenwerte verlässt, der sieht im Film nur ein Unterhaltungsgut, was der Kunstform Film nicht gerecht wird.

Maximilian: „Die vom Markt kastrierte Servicekritik“ heißt in einem Deiner neueren Videos so schön. Was genau spricht denn dagegen, seine Bedürfnisse im Kino bestätigt sehen zu wollen, Film nicht als Kunst, sondern als Objekt der Befriedigung zu denken?

Lucas Curstädt: Gerade die Unterhaltungsfilme sind eben niemals nur Unterhaltung. Das Argument, man solle doch die Unterhaltung Unterhaltung sein lassen, macht blind für die Inhalte, die einem Film immer auch zugrunde liegen. Gerade massentaugliche Filme sind spannender für die Analyse als Arthaus-Filme, die sich für Metareflexionen, für philosophische und theoretische Grunddebatten zwar viel mehr anbieten, wofür ich sie auch schätze. Aber gerade bei den großen Filme, die als Unterhaltung vermarktet und von der Servicekritik auch als solche verbreitet werden, muss auch auf subversive Themen, die im Verborgenen ruhen, hingewiesen werden. Theodor W. Adorno hat ja berühmte Radiogespräche in den 50er-Jahren geführt, die später unter dem Titel „Erziehung zur Mündigkeit“ veröffentlicht wurden. Ich sehe mich nicht als Erzieher, doch die Mündigkeit ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger Begriff und ich glaube jeder, der einen radikalen Unterhaltungsgedanken verfolgt und Filme nur darauf reduzieren möchte, reduziert den Film auf etwas das er nicht ist und damit auch den Zuschauer, nämlich auf eine Art unmündige, passive, rein konsumierende Person, die hauptsächlich im Kino sitzt, damit Tickets verkauft wurden. Das macht den Film und den Zuschauer eindimensional und erfreut nur die Industrie, was abzulehnen ist.



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