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Biennale di Venezia 2022 - Ein Eröffnungsbericht

PatrickFey

Von PatrickFey in Biennale de Venezia 2022: Ein Eröffnungsbericht

Biennale di Venezia 2022 - Ein Eröffnungsbericht Bildnachweis: © Biennale

Von der diesjährigen Biennale di Venezia berichten Patrick Fey und Jakob Jurisch 

Es gibt gute Gründe, mit besonderer Vorfreude auf die anstehende 79. Mostra Internazionale d’Arte Cinematografica von Venedig zu blicken. Ist die Biennale ohnehin dafür bekannt, die großen Namen Hollywoods in die venezianische Lagune zu lotsen und mit ihnen die Oscar-Saison einzuläuten, so weitet sich dieses Jahr, nach einem konsensuell für schwach befundenen Festival von Cannes, die Aufmerksamkeit womöglich mehr noch als normalerweise auf die Nebensektionen aus. Sicher, wer sich primär für das Hollywood-Kino und seine Stars interessiert, wird in Venedig auch dieses Jahr fündig werden. Don’t Worry Darling, Olivia Wildes zweiter Spielfilm nach ihrer positiv besprochenen Coming-of-Age-Komödie Booksmart, dürfte als Paradebeispiel dafür stehen, wie man sich auch ohne bedeutende Verbandelungen mit Comic-Franchises dauerhaft im Gespräch hält. Seit Monaten entbrennen im Netz allerlei Spekulationen, Gerüchte und Erregung zum Science-Fiction-Thriller mit Harry Styles und Florence Pugh, und nur ein Bruchteil davon hängt auf direkte Weise mit dem Film zusammen: Da wäre der Abgang Shia LaBeoufs zu nennen, der ursprünglich Styles Rolle übernehmen sollte und das Projekt während der Produktion nach eigenen Angaben freiwillig verließ, während es andernorts heißt, er sei von Wilde entlassen worden. Der Umstand, dass LaBeoufs Ersatz – everbody’s darling Harry Styles – bald darauf mit Wilde anbandelte und sich nun in einer Beziehung mit seiner Regisseurin wiederfindet, fachte die Berichterstattung ebenso an wie Gerüchte um eine von jener Liebelei entnervten Florence Pugh. Zusätzlich wurde, freilich von Wilde lanciert (und damit nähern wir uns dem eigentlichen Film zumindest etwas), exzessiv über Erotik – insbesondere eine kolportierte Cunnilingus-Szene zwischen Styles und Pugh – in Don’t Worry Darling berichtet, was insbesondere Wildes Ambition unterstreicht, explizit die weibliche Lust in das Zentrum des Kameraauges zu rücken („Men don’t come in this film“). 

Neben Don’t Worry Darling finden sich eine Handvoll weiterer Award-Kandidat*innen aus Nordamerika, die insbesondere das vom Aussterben bedrohte mittelbudgetierte Segment von Filmen repräsentieren, das darum kämpft, artistische Unternehmungen mit kommerziellen Interessen zu harmonisieren. Ohne einen großkalibrigen Blockbuster à la Dune, sind es nun mehrere Filme dieser finanziellen Größenordnung, die gemeinsam die Aufmerksamkeit auf sich ziehen werden. Noah Baumbach, der hier vor drei Jahren die Weltpremiere seiner Marriage Story begleitete, kehrt mit der Adaption des Don-DeLillo-Klassikers White Noise zurück in die Lagunenstadt und hat in Adam Driver abermals seinen Hauptdarsteller gefunden, der neben Baumbachs kreativer und romantischer Partnerin Greta Gerwig auftritt. Wie für Baumbachs Stoffe nicht unüblich, ist die protagonistische Driver-Figur ein Intellektueller — ein Experte auf dem Gebiet der Hitler-Studien, der allerdings chronisch an seinen mangelnden Deutschfähigkeiten leidet, die er auf Kongressen zu übertünchen versucht. Während eine solche Figur für Baumbachs Œuvre alles andere als untypisch ist, so werden all jene, die mit der Vorlage Don DeLillos vertraut sind, doch einwenden, dass White Noise gewisse Genreabzweigungen offeriert, bei denen es spannend zu sehen sein wird, wie sehr sich Baumbach auf solch weniger bekannte Gefilde einlässt.

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Als eine Literaturverfilmung ganz anderer Art dürfte sich Andrew Dominiks seit einer gefühlten Ewigkeit in den Startlöchern befindlicher Blonde ausnehmen, in dem sich die aus Knives Out und No Time to Die bekannte Ana de Armas, frei nach Joyce Carol Oates literarisierter Biographie, der Rolle der fiktionalisierten Marilyn Monroe annimmt. Es ist kein allzu großes Geheimnis, dass Dominik Blonde gern in Cannes uraufgeführt gesehen hätte, wo sein letzter Spielfilm Killing Them Softly vor zehn Jahren Premiere feierte. Dass der Film, ähnlich wie Jane Campions The Power of the Dog im Vorjahr, für das Festival an der Côte d'Azur in Cannes bereitgestanden hätte, ist ebenso bekannt. Da es sich hierbei allerdings, wie schon bei White Noise, um eine Netflix-Produktion handelt und Netflix-Premieren im Wettbewerb bei bleibender Festivalpolitik an der Croisette in nächster Zeit nicht absehbar sind, kehrt Dominik nun also nach Venedig zurück, wo er 2007 mit dem Westerndrama The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford auf euphorische Resonanz stieß. Wie damals musste sich Dominik abermals viele Monate gedulden, bis Blonde, im Sinne einer erfolgreichen Award-Kampagne, das Licht der Welt erblickt. Wer es mit dem Aberglauben hält, mag in der Rückkehr nach Venedig und der schwierigen Präsentationspolitik zwei Zeichen dafür erkennen, dass Dominik mit Blonde an die Qualität seines großen Western-Epos‘ anschließt. 

Blonde © Netflix

Der letzte große Filmtitel aus dem Hause Netflix, mit dem die Biennale 2022 aufwartet, kommt von Alejandro G. Iñárritu, der für seinen vermutlichen autofiktionalen Bardo, False Chronicles of a Handful of Truths nach Mexiko zurückkehrt. Wenngleich noch nicht allzu viel über den Nachfolger zum essentialistischen The Revenant bekannt ist, so darf bei Bardo durchaus von einem leichteren Ton ausgegangen werden. Wer in der Prämisse – die Rückkehr eines mexikanischen Filmemachers und Journalisten in seine Heimat – Parallelen zu Alfonso CuarónsRoma auszumachen glaubt, der 2018 den Goldenen Löwen gewann, liegt nicht ganz falsch. Cuarón, allerdings, reiste nicht nur in die mexikanische Heimat von Mexiko-Stadt, sondern auch in die Zeit seiner Kindheit, ein gänzlich nie greifbarer Ort. Dass sich Iñárritu angesichts unserer nostalgischen Gegenwart (Belfast; The Fabelmans) für eine erwachsene Perspektive entscheidet, ist ihm durchaus hoch anzurechnen. Iñárritu könnte, vergleichbar mit Darren Aronofsky, der dieses Jahr sein neues Drama, die A24-Produktion The Whale, ebenfalls im Wettbewerb vorstellt, als einer von Venedigs eisernen Stammregisseur*Innen bezeichnet werden. Das Kino beider Filmemacher dürfte den Begriff Tour de Force im westlichen Rezeptionsdiskurs maßgeblich geprägt haben, treiben sie ihre Charaktere schließlich immer wieder an ihre körperlichen und mentalen Grenzen. Während der Passionsweg bei Iñárritu meistens poetisch und philosophisch gerahmt wird, scheint Aronofsky in seinen parabolischen Ambitionen sich seit seinen beiden Bibel-Werken Noah und mother! Immer extremer zu werden. Vollkommen auf den Schauplatz einer heruntergekommenen Wohnung beschränkt erzählt Aronofskys achter Film von einem 600 Pfund schweren Mann, der sich langsam, aber sicher in den Tod frisst. Geliefert wird dieser schauspielerische Kraftakt von niemand geringerem als 2000er-Publikumsliebling Brendan Fraser, dessen schauspielerisches Comeback sich möglicherweise hiermit ankündigt.

Bardo © Netflix

Für Aronofsky ist es der erste Film seit fünf Jahren, während Bardo feierlich das Ende von Iñárritus sieben Jahre langem Hiat als Regisseur markiert. Die wahrscheinlich längste Abwesenheit vom Regie-Stuhl innerhalb der im Wettbewerb vertretenen Regisseur*Innen dürfte jedoch problemlos an Todd Field gehen, trennen sein Suburbia-Drama Little Children und seinen neuen Film Tár ganze 15 Jahre. Nach zahlreichen in der Realisation gescheiterten Projekten verdankt Field die langerwartete Finalisierung seines großangelegten Komponistin-Porträts eigenen Angaben nach einer ganz bestimmten Person, nämlich Hauptdarstellerin Cate Blanchett, für die er exklusiv das Drehbuch verfasste. Mehrfach betonte Field, dass der Film ohne sie nicht entstanden sei. „After all, she is a master supreme […] In every possible way, this is Cate’s film.” Dass die in jeder Hinsicht virtuose Blanchett Fields Film gewachsen sein wird, fällt schwer zu bezweifeln. Wenngleich nicht im Wettbewerb anlaufend, steht Ti Wests Pearl dennoch für einen krassen Gegensatz zu den 15 Jahren, die zwischen Fields letzten Filmen ins Land gezogen sind, schließlich datiert die Premiere von Wests letztem Schauerstück X beim SXSW nur wenige Monate zurück. Das Prequel Pearl, das der Kultregisseur auf klandestine Weise back-to-back drehte, präsentiert Mia Goth erneut in der Rolle der mörderischen Texanerin (wenngleich dieses Mal ohne Old-Age-Makeup) und kommt nun im Stile ihrer finsteren Origin Story daher. Dass es sich bei Pearl und Tár erneut um Produktionen aus dem Hause A24 handelt, spricht Bände über das breitaufgestellte Programm des amerikanischen Indie-Studios und dessen Präsenz auf dem diesjährigen Festival. 

Mit Joanna HoggsThe Eternal Daughter, einer Geister-Geschichte, die die Beziehung der von Tilda Swinton gespielten Protagonistin zu ihrer Mutter thematisiert, bemüht sich das Kultstudio indes, auch das Arthouse-Publikum zu erreichen. Ebenso spannend mutet eine der unwahrscheinlichsten Premieren der jüngeren Filmgeschichte an: Mit stolzen 92 Jahren und nach sechzig Jahren im Geschäft stellt der Großmeister des amerikanischen Dokumentationsfilms, Frederick Wiseman, seinen ersten fiktionalen Spielfilm vor: In A Couple stellt er auf knappen 60 Minuten die Beziehung zwischen dem russischen Nationalschriftstellers Leo Tolstoi und seiner Frau Sophie in den Mittelpunkt – eine Geschichte, die ungleich schwerer wiegen dürfte im Wissen, dass der Dreh kurze Zeit nach dem Tod Zipporah Batshaw Wiseman, Fredericks Ehefrau, begonnen wurde. Ein weit größeres Publikum dürfte auch Luca Guadagninos Bones and All erreichen, für das der Italiener sich nach dem Ausflug zu seiner Suspiria-Interpretation sowie seiner HBO-Serie We Are Who We Are wieder mit seinem Call Me By Your Name-Star Timothée Chalamet zusammenschließt. Ähnlich vielversprechend verspricht die Reunion Martin McDonaghs und Colin Farrells, die nach dem Kultklassiker In Bruges für das ähnlich intime The Banshees of Inisherin zusammenfinden. Und dann ist da noch Florian ZellersThe Son, der einerseits die geistige Fortsetzung zu seinem oscarprämierten The Father darstellt und ihn abermals mit Anthony Hopkins zusammenführt. 

Bones and All © Warner Bros

Abseits der Filme wartet Venedig 2022 mit zwei großen Namen der internationalen Arthouse Brigade auf, die beide auf ihre ganz eigene Weise als Enfant Terrible bezeichnet werden könnten. Zum einen ist da Lars von Trier, der die lang erwartete dritte Staffel seiner Kult-Horrorserie Hospital der Geister endlich das Licht der Welt erblicken lässt. Der andere renommierte Däne mit einer neuen Serie ist Nicolas Winding Refn. Nach drei Jahren folgt die Netflix-Serie Copenhagen Cowboy auf Refns letztes Werk, die Serie Too Old to Die Young, die seinerzeit beim Streaming-Rivalen Amazon anlief. Und mit der Serie Les Italiens bereits angekündigt, darf für den Moment konstatiert werden, dass sich der Däne vorerst auf das Fernsehen kapriziert. 

Bei all der Prominenz, die insbesondere die englischsprachigen Filme in Venedig genießen, sollte nicht unterschlagen werden, dass auch das internationale Kino auf der venezianischen Lagunen-Insel zusammenkommt. Alice Diop, deren dokumentarische Investigation des Pariser Speckgürtels Nous 2021 die Encounters-Sektion der Berlinale gewann, stellt mit Saint Omer ihren ersten Spielfilm vor. Ebenso von Interesse ist Koji Fukada, dessen Harmonium 2016 den großen Preis der Jury in der Un-Certain-Regard-Sektion von Cannes gewann und dessen Love Life einer ganz ähnlichen Prämisse folgt. Auch Lav Diaz, dessen The Woman Who Left 2016 immerhin den Goldenen Löwen gewann, ist wieder zugegen, wenngleich seine Der Graf von Monte Christo-Adaption When the Waves Are Gone nur außerhalb des Wettbewerbs anzutreffen ist. Leise verabschieden wird sich der 2020 verstorbene Kim Ki-duk, der mit Call of God seinen Swan Song begeht. Davon, so lässt es sich nur hoffen, ist Jafar Panahi noch weit, weit entfernt. Als letzten Monat allerdings publik wurde, dass der iranische Großmeister aufgrund seines Filmemachens verhaftet wurde, war das einmal mehr ein Beweis dafür, dass ein Film-Festival immer auch einer Verzerrung der Wirklichkeit ist. Der von der Festivalleitung geplante Flash Mob in Protest gegen die Verhaftung Panahis, dessen No Bears im Wettberwerb gezeigt wird, unterstreicht nur noch die politische Ohnmacht und die Grenzen einer für Grenzenlosigkeit einstehenden internationalen Filmlandschaft.

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