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Quelle: themoviedb.org

Inhalt

Der in Brüssel lebende rumänische Bauarbeiter Stefan steht vor der Rückkehr in die Heimat. Aus Kühlschrankresten kocht er zum Abschied eine große Suppe für Freund*innen und Familie. Kurz vor der geplanten Abreise begegnet er jedoch einer jungen Frau mit belgisch-chinesischen Wurzeln, die in einem kleinen Restaurant jobbt und über Moose promoviert. Ihr Interesse für etwas beinahe Unsichtbares macht ihn sprachlos.

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Quelle: themoviedb.org

Kritik

Wenn wir die Namen all der Moose, der Pflanzen, der Bäume um uns herum kennten, würden wir unsere Umwelt als eine andere wiedererkennen? Das Bezeichnen, so betont der flämische Filmemacher Bas Devos unter Berufung auf die Wissenschaftlerin Robin Wall Kimmerer, sei der erste Schritt des wahrhaften Sehens, des Erkennens. Nach zuletzt Ghost Tropic, der seine Prämiere 2019 in der „Quinzaine des réalisateurs“-Sektion in Cannes feierte, stellt Here bereits Devos‘ vierten Spielfilm dar und präsentiert uns, dem Vorgänger nicht ganz unähnlich, eine durchweg mäandernde Hauptfigur. Stefan (Stefan Gota), ein in Brüssel ansässiger Bauarbeiter, steht nach dem Abschluss seines jüngsten Auftrags vor einer vierwöchigen, projektgebundenen Arbeitspause, während derer er seine Familie in Rumänien zu besuchen beabsichtigt. Womöglich jedoch, so lässt Stefan im Gespräch mit seiner Schwester Anca (Alina Constantin) anklingen, könnte sich der Besuch in der Heimat auf unbestimmte Zeit verlängern, und so schwingt dem Fortgang, zu dessen Anlass er seinen Kühlschrank leert, um aus den Resten eine große Suppe zu kochen, etwas Symbolhaftes mit, was sich insbesondere in Stefans Entscheidung äußert, sich stationsartig von all den ihm liebgewonnenen Menschen in Brüssel mit einem Schälchen Suppe zu verabschieden. Hinsichtlich dessen äußert sich in einer andernfalls unscheinbaren Geste – Stefan, der den Inhalt eines seiner Suppenbehälter den Abfluss hinunterkippt – eine subtile Traurigkeit: ein Schälchen Suppe, für das sich kein*e Abnehmerïn gefunden hat.

Der Titel Here, ein Deixis, kann in seiner Kontextabhängigkeit als Container-Wort auf jeden Ort auf der Welt verweisen, doch die Entscheidung, das „r“ im Filmtitel invertiert darzustellen, weist uns bereits darauf hin, dass dieses „Hier“ nicht so klar umrissen, so leicht lokalisierbar ist, wie sich angesichts der ostentativen Prämisse – eines Abschieds aus Brüssel und dessen Hier und Jetzt – annehmen ließe.

Im besten Sinne unaufdringlich inszeniert Devos diesen leisen und ungewissen Abschied Stefans als einen gleichermaßen süßen wie flüchtigen Moment des Innehaltens und der Reflektion. Angeregt durch einen 80er-Jahre-Essay der amerikanischen Autorin Ursula K. Le Guins und die wissenschaftsphilosophischen Überlegungen Donna Haraways betont Devos, dass es nicht das  geläufig tradierte Bild des Jägerïnnen-, sondern das des Sammlerïnnentums ist, das dem menschlichen Wesen nahekommt; dass das Teilen uns weitaus mehr entspricht als jedes Konkurrenzverhältnis. Zumindest in Hinsicht auf Stefan bestätigt sich dieser optimistische Blick auf die Natur des Menschen und drückt sich nicht allein in den gummiumspannten Plastikbehältern mit Gemüsesuppe aus, die er einen nach den anderen an ihn liebgewonnene Freunde verteilt, sondern auch in der Art, wie er diesen begegnet. Denn wer einwenden möchte, dem Werk des im Alltag an der Luca School of Arts in Brüssel Film lehrenden Devos sei der akademische Hintergrund in der thematischen Konzeption und den intrikaten Bildkompositionen anzumerken, ignoriert, dass es diesem auf seltene Weise gelingt, die präzisen Bilder und den konzeptionellen Unterbau mit Wärme zu füllen.

Ein vorerst letztes Mal durch die Peripherie mäandernd, begleiten wir Stefan bei seinem Abschied, der allerdings jedweder Schwere entzogen daherkommt. Die symbolisch für das Sich-Niederlassen stehenden Samenkörner, die dereinst Wurzeln schlagen, ein Netzwerk bilden werden, trägt Stefan indes buchstäblich mit sich herum. Als er auf seinem Nachhauseweg einen Gemeindegarten passiert und in jenem einer Angehörigen begegnet, von der er zu erfahren versucht, welchen Pflanzen die Samen, die er ihr auf geöffneter Handfläche präsentiert, zuzuordnen seien, zeigt sich diese überfragt. Den Vorschlag, sie in ihrem Beet einzupflanzen, um dem Rätsel auf den Grund zu gehen, schlägt Stefan derweil aus – ganz so, als symbolisierte das Einpflanzen eines Samenkornes eine Zusage an diesen Ort. Subtil wie evokativ drückt sich während dieser Szene Stefans Unschlüssigkeit bezüglich seines Fortwährens in Brüssel aus, die nach einer Begegnung mit der Bryologin Shu Xiu (Liyo Gong) nurmehr zunimmt. Ohne, dass es einer weiteren Erklärung bedürfte, schließt er sich ihr und ihren Untersuchungen in den Wäldern des Stadtrands an und begleitet sie in der Folge auf ihren professionellen Spaziergängen durchs Grün.

Noch ehe wir Shu Xiu erstmals sehen, begegnen wir jener durch die Schilderung ihres jüngst erfahrenen Traumes einzig als Stimme aus dem Off, während wir uns auf der Bildebene in einem verregneten Wald wiederfinden. In jenem Traum seien ihr auf plötzliche Weise die Wörter abhanden gekommen: für den Wecker, den Nachttisch, die Vorhänge, die Morgenbriese. Noch immer wohlwissend, welche Bewandtnis es mit diesen Gegenständen und Phänomenen habe, seien jene derweil ihrer Begrifflichkeit entzogen gewesen, so dass sich Shu Xiu auf gar ursprüngliche Weise in ihnen aufgelöst habe, mit ihnen eins gewesen sei. Während wir dieser Schilderung eines Traumes lauschen, der unverkennbar in der Traditionslinie der durch große Literatïnnen geäußerten Urangst der Sprachlosigkeit steht (Hofmannsthal, Nietzsche, Handke), hören wir den Regen sanft, doch stetig, auf den Waldboden niederprasseln. Die Faszination, die Here mit seinem minimalistischen Narrativ und seiner zurückhaltenden, wenngleich überaus präzisen, Regie erzeugt, erscheint alles andere als intuitiv, ist keinesfalls offenkundig.

Präsenz und Absenz bilden in Devos' Kino keine sich gegenüberliegenden Pole, sondern zeugen bisweilen von einer gewissen Verwandtschaft. Als Stefan sich mit den Automechanikern auf einer Bergschräge nah der Bahngleise zum Suppen-Picknick niederlässt, verweilt die Kamera noch einen Moment lang, als die Kameraden den Ort schon längst wieder verlassen haben, als hätte das Zusammenkommen der vier Arbeiter bereits eine Spur hinterlassen. Während Devos sich vordergründig zunehmend den Netzwerken des Waldes; den Moosen, Gräsern und Bäumen widmet, stehen diese metonymisch für das sich, im Quasi-Gleichschritt, vor unseren Augen ausweitende, um Stefan kreisende soziale Netzwerk. Ein Netzwerk, das sich umso robuster zeigt, als die Figuren auf selbstverständliche Weise in einer Vielzahl von Sprachen miteinander kommunizieren. Im ersten Drittel lernt Stefan im Morgengrauen von einem seiner Freunde, dass der Brüsseler Bahnhof der älteste seiner Art auf dem europäischen Festland ist. Im letzten Drittel hören wir ihn dieses Wissen an Shu Xiu weitergeben. Vordergründig eine schlichte Pointe dazu, wie sehr uns daran gelegen ist, uns im Zusammentreffen mit geschätzten Personen als Quell des Wissens zu inszenieren und dadurch unseren Status aufzuwerten, vermittelt die Szene überdies, wie nahtlos sich Informationen innerhalb des menschlichen Netzwerks ver- und ausbreiten.

In der den Film beschließenden Szene sitzt Shu Xiu im Restaurant ihrer Tante, von der sie erfährt, dass die auf dem Tresen liegende weiße Plastiktüte ein Schälchen Suppe beinhalte, das für sie – von einem großen Mann in kurzen Hosen – abgegeben worden sei. In Folge des Lächelns, das sich in diesem Moment im Gesicht ihrer Nichte ausbreitet, fragt sie Shu Xiu nach dem Namen des Mannes. Einen Augenblick lang spiegelt sich pure Irritation auf Shu Xius Gesicht wieder, und es ist unklar, was für sie von größerer Überraschung ist: die Frage selbst, oder, dass sie auf diese keine Antwort hat. Dann allerdings, infolge weiteren Innehaltens, kehrt das Lächeln zurück, womöglich befeuert durch den Gedanken, dass sich ihr Traum aus vorangegangener Nacht – ein Erfahren vor dem Benennen – verwirklicht hat.

Fazit

Mit "Here" gelingt Bas Devos ein leises und anrührendes Poem über das Erfahren vor dem Wort, in dem die Verbindungen der Bäume, Gräser und Pflanzen metonymisch für jene Bande stehen, die wir instinktiv mit anderen Menschen eingehen, wenn wir ihnen begegnen.

Kritik: Patrick Fey

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