Mit Electrophilia, im Original Los impactados, legt die argentinische Regisseurin Lucía Puenzo (XXY, Das Fischkind) ein Drama vor, das sich auf vielschichtige Weise mit den Auswirkungen von Trauma und Begehren auseinandersetzen will. Im Zentrum steht Ada (Mariana Di Girolamo), eine Frau, die einen Blitzschlag überlebt, ein einschneidendes, buchstäblich elektrisierendes Ereignis, das ihr Leben nicht nur körperlich, sondern auch seelisch radikal verändert. Was als klassische Trauma-Verarbeitung beginnt, nimmt bald eine mysteriöse Wendung, denn Ada begibt sich auf die Suche nach anderen "Getroffenen", Menschen, die wie sie vom Blitz berührt wurden und auf sonderbare Weise verändert aus diesem Moment hervorgingen.
Die Prämisse klingt vielversprechend: Ein Film, der die Grenze zwischen physischen Verletzungen, seelischer Transformation und sexueller Neuorientierung auslotet. In Kombination mit einer stimmungsvollen Bildsprache und einer Hauptfigur, die sich zunehmend aus der Norm verabschiedet, klingt das nach einer aufregenden Mischung aus Psycho-Drama und körperbetonter Selbstfindung.
Puenzo inszeniert den Auftakt Ihrer Geschichte atmosphärisch dicht und visuell überzeugend. Schon in den ersten Minuten vermittelt die Kameraarbeit ein Gespür für Adas innere Unruhe und Entfremdung. Weiche Farbpaletten, lange Einstellungen und ein gezielter Einsatz von Unschärfe verleihen dem Film eine träumerisch-unheimliche Stimmung. Die Welt, durch die sich Ada bewegt, wirkt zugleich real und fremd. Ideal, um das Thema der Transformation zu begleiten. Inhaltlich beginnt das Drama spannend. Die Idee, dass ein traumatisches Ereignis wie ein Blitzschlag als Katalysator für tieferliegende psychologische und sexuelle Prozesse dient, ist originell. Die Hauptfigur wird zunächst feinfühlig gezeichnet, eine Frau, die aus einem geordneten, fast bürgerlichen Leben in eine unbekannte Sphäre katapultiert wird. Der Film spielt mit der Frage, ob Ada sich befreit oder entfremdet, ob sie heil oder zerstört aus dieser Reise hervorgeht.
Und so interessant das erste Drittel auch ist, so deutlich fällt Electrophilia danach ab. Die Handlung beginnt sich zu wiederholen, die Figurenentwicklung tritt auf der Stelle. Statt die Beziehung zu ihrer Umwelt, etwa zu ihrem Lebensgefährten (Guillermo Pfening), zu vertiefen, verbleibt der Film auf einer flüchtigen Ebene. Gerade er bleibt ein farbloser Schatten im Hintergrund, obwohl er für Adas früheres Leben und den Kontrast zu ihrer Veränderung wichtig gewesen wäre. Stichwort Kinderwunsch. Hier verschenkt das Drehbuch viel erzählerisches Potenzial.
Noch schwerer wiegt allerdings, dass Electrophilia die selbst gesteckten Themen nur an der Oberfläche berührt. Schmerz, die daraus resultierende Lust, Verlust, Identitätswandel, all das schwingt zwar an, wird aber nie richtig durchdrungen. Besonders die angedeutete sexuelle Komponente bleibt merkwürdig unterentwickelt. Zwar gibt es Szenen, die eine neue körperliche Wahrnehmung Adas andeuten, doch für ein Werk, das sich auch mit sexuellen Neigungen beschäftigen will, bleibt es erstaunlich züchtig. Dabei gäbe es gerade auf dieser Ebene viel erzählerisches Terrain. Wie verändert sich Adas Begehren? Was macht körperlicher Schmerz mit ihrer Lust? Inwiefern wird Sexualität zum Ventil für das Unverarbeitbare? Puenzo scheint sich nicht recht zu trauen, diesen Fragen tiefer nachzugehen. Stattdessen bleibt vieles angedeutet. Nicht auf poetische Weise, sondern eher aus Zurückhaltung.
Stilistisch bleibt die Inszenierung zwar souverän, aber emotional zunehmend distanziert. Was zunächst als Einladung in eine fremde Welt wirkte, wird im Mittelteil zur Behäbigkeit. Es fehlt an neuen Impulsen, an Reibung, an Eskalation.
So wird das Drama immer mehr zum schön gefilmten Stillstand.