„Als die Nazis die Sozialdemokraten holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie die Juden holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Jude.
Als sie mich holten,
gab es keinen mehr,
der für mich sprechen konnte."
Martin Niemöller (evangelischer Pfarrer)
„Europa steht in Flammen“ und bedauerlicherweise passt dieses Zitat fast hundert Jahre später immer noch und das Traurige daran ist, dass manche Menschen immer noch wegsehen, weil es noch nicht sie betrifft. Sie glauben, dass der Krieg weit weg ist und, dass es einfacher ist, die Augen davor zu verschließen, dabei wissen sie ganz genau, zu welchen Gräueltaten, die kollektive Blindheit der Welt während des Dritten Reiches geführt hat. Um so wichtiger ist es, gerade jetzt ein Biopic über einen Menschen zu drehen, der damals nicht wegsah, sondern den Mut hatte, laut auszusprechen, was viele sich nicht einmal trauten zu denken: „Wenn wir nichts tun, machen wir uns schuldig! Das Schweigen angesichts des Bösen ist böse. Nicht handeln ist handeln!“. Doch wer war eigentlich Dietrich Bonhoeffer? Er war ein religiöser Mensch, der die Religion trotzdem stets hinterfragte und dem es nicht ausreichte nur zu glauben, denn „Glaube ohne Handeln ist nicht das, was es sein will.“ Man lernt durch das Biopic den Menschen und den Pastor Dietrich Bonhoeffer ziemlich gut kennen und weiß mit Sicherheit eins über ihn: Er meinte, was er sagte und lebte nach den Worten, die er predigte.
Bonhoeffer kam 1906 in Breslau als das sechste von acht Kindern zur Welt. Dank der christlichen Erziehung seiner Mutter interessierte er sich früh für Theologie. Insbesondere der Soldatentod seines älteren Bruders im Jahre 1918, der ganz zu Beginn des Films sehr emotional dargestellt wird, veranlasste ihn dazu, über den Tod und über die Ewigkeit nachzudenken. Er las immer wieder in der Bibel, in der die besten Stellen von seinem verstorbenem Bruder unterstrichen wurden. Die Trauer um seinen Bruder ist der Grund, warum Bonhoeffer sein Leben Gott und der Theologie widmete. Er wollte es einfach nicht glauben, dass er seinen geliebten Bruder nie wiedersieht und fand seinen Trost in der Religion, weil die Religion ihm Hoffnung gab und den Blick, darauf eröffnete, das alles, was geschieht einen Sinn hat und, dass er nach dem Tod mit seinem geliebten Bruder wiedervereint sein wird. Dieser Gedanke ist weitaus schöner, als der Gedanke, dass sein Bruder für immer weg ist. Hoffnung ist das schönste Geschenk, das man sich selbst schenken kann und mit Hoffnung hat sich Bonhoeffer reichlich beschenkt.
Er strebte stets danach auch seine Schüler zu lehren, was der Glaube in Wirklichkeit bedeutet und dabei geht es nicht, um trockene Predigten, sondern darum Mitgefühl für andere Menschen zu empfinden und zu verzeihen, doch trotzdem die Wahrheit laut auszusprechen. Dank der Darstellung des Theologiestudiums von Bonhoeffer (gespielt von Jonas Dassler, Das schweigende Klassenzimmer) in New York erkennt man, woher seine Weltoffenheit und seine Liebe zum Gospel und Jazz kommt. Er ist nach wie vor ein verspieltes Kind, das ziemlich idealistische Vorstellungen vom Leben hat und sowohl vom Rassismus in den USA als auch vom Judenhass in Deutschland schwer betroffen ist. Der Regisseur Todd Komarnicki (Résistance), schafft es durch das Hervorheben der wichtigsten Lebensabschnitte von Bonhoeffer ein klares Bild von ihm zu zeichnen und ermöglicht es, ihn viele Jahre nach seinem Tod richtig kennenzulernen. Zugegeben, manchmal bleibt die zeitliche Gewichtung der einzelnen Lebensabschnitte undeutlich, weil man beispielsweise nicht erkennt, dass er sein Predigerseminar in Finkenwalde ganze zwei Jahre lang abgehalten hat. In dem Film wirkt dieser Zeitabschnitt eher wie ein paar Monate. Auch seine Haftzeit wirkt in dem Film deutlich kürzer als zwei Jahre.
Es wird immer wieder mit Rückblicken gearbeitet, die seine Natur offenbaren, doch gleichzeitig führen diese Rückblicke dazu, dass man die Dauer seines Verweilens an manchen Orten nicht richtig einschätzen kann und auch die Spannung wird dadurch immer wieder eingebüßt. Trotzdem ist Bonhoeffer ein wichtiger Film, der ohne Effekthascherei auskommt, sondern sich Gott durch die Augen eines Predigers annähert. Und wann ist man Gott am nächsten? Nur angesichts des eigenen Todes und Bonhoeffer war ein Mensch, der bereit war für seine Überzeugungen zu sterben. Nur, wer keine Angst mehr vor dem Tod hat, ist frei. Das Biopic zielt nicht darauf ab, knallharte Action mit exzessiver Gewalt darzustellen, sondern die Fragen der Ethik und Moral aufzuwerfen. Rechtfertigt eine böse Tat, die Rettung von Millionen von Menschen oder sollte man sich dem Gebot „Du sollst nicht töten!“ unterwerfen? Dass ein Pastor sich diese Frage stellen musste, zeigt, wie verworren die Welt damals war. Es fällt nämlich schwer, seinen Nächsten, wie sich selbst zu lieben, wenn dieser Nächste den Tod und Zerstörung über ganz Europa bringt.
Leider musste der Film schon im Vorfeld trotz der wichtigen Botschaft, die er vermittelt, viel Kritik einstecken und das geschah zum einen aufgrund der unangebrachten Vermarktung des Films in den USA und der Darstellung von Bonhoeffer mit einer Waffe auf einem Filmplakat. Das war natürlich völlig absurd, weil so eine Szene im Film gar nicht vorkommt und sowohl der Regisseur Todd Komarnicki als auch der Hauptdarsteller des Films haben in den Interviews entschieden die Vereinnahmung des Films durch Rechtsradikale kritisiert: „Das, was jetzt die sozusagen evangelikale Rechte macht, das für sich zu beanspruchen und zu sagen: ‚Wir dürfen im Namen Gottes einfach immer zur Waffe greifen‘. Das halte ich für fatal. Ich glaube, dass es trotzdem immer wichtig ist, sich für Frieden einzusetzen. Es stellt sich eben die Frage: Was heißt es, als Mensch in dieser Welt zu sein und das Unrecht, das gegenüber Menschen passiert, die aufgrund ihrer Sexualität, ihrer Hautfarbe und Religion diskriminiert und ermordet und ausgegrenzt werden, zu sehen? Was verlangt es von mir? Wie weit muss ich handeln? Das ist natürlich wahnsinnig wichtig.“ (Jonas Dassler)
„In dem konkreten Fall von Bonhoeffer ist es sehr wichtig zu sagen, dass er nie daran geglaubt hat, dass das der absolut richtige Weg ist, sondern es ist ein Weg, mit Schuld beladen und es ist ein schwieriger, ein grausamer Weg. Es wurden Millionen von Juden ermordet und nicht nur Juden, sondern auch Sinti und Roma und Homosexuelle und Leute mit Behinderung und es hat nicht aufgehört. Ich glaube, dass man das niemals ohne den geschichtlichen Kontext betrachten kann. Man muss es sich immer in dem konkreten Kontext anschauen.“ (Jonas Dassler)
Bedauerlicherweise besteht bei Filmen immer die Gefahr, dass ihre Botschaft missverstanden wird, das bedeutet jedoch keinesfalls, dass man solche wichtigen Filme, die sich für Meinungsfreiheit, für Religionsfreiheit und für Menschenrechte einsetzen, einfach canceled, weil irgendwelche Idioten sie missverstehen könnten und den Film seltsamerweise hypen, obwohl er das komplette Gegenteil aussagt, von dem, was sie sich wünschen. Unverständlicherweise wird American History X immer noch von Nazis gehyped, obwohl der Film, anders als manche vielleicht denken, nicht die Nazis feiert, sondern von Reue berichtet und davor warnt, was Rassismus anrichten kann.
Auch Bonhoeffer hat zu keinem Zeitpunkt die Absicht, Nazis zu feiern. So banal es auch klingen mag, aber heutzutage scheint es notwendig zu sein, die offensichtlichen Dinge zu erklären, weil sie sonst schnell missverstanden werden. Wenn man Aversionen gegenüber jeder Art von der Religion hat, wird man sich womöglich nicht auf diesen Film einlassen können, sondern glauben, dass Bonhoeffer im Namen Gottes töten wollte. Doch das ist natürlich totaler Quatsch und am besten lässt sich die im Film dargestellte Haltung mit Bonhoeffers Zitat erklären: „Wenn ein Autofahrer auf der Hauptstraße in Berlin Kinder überfahren würde, wäre es nicht jedermanns Pflicht, ihn aufzuhalten?“ Bonhoeffers Weg ist nicht frei von Sühne und Schuld und der Film stellt zutreffend die verzwickte Lage dar, in der er steckt, denn als Pazifist lehnt er natürlich einerseits jede Form von Gewalt ab, doch anderseits weiß er auch, dass er mit Gebeten nicht weiter kommt und fühlt, dass er handeln muss.
Was auch oft an dem Film unnötigerweise kritisiert wird, ist die Tatsache, dass der Film von der geschichtlichen Chronologie abweicht, dabei übersehen die Kritiker, dass jedes Biopic davon abweicht. Beispielsweise stimmt in dem von Kritikern hochgelobten Biopic Better Man die Reihenfolge der Lieder überhaupt nicht. Das heißt, dass Robbie Williams sie nicht in der Reihenfolge veröffentlicht hat, wie sie dargestellt wurden und nebenbei gemerkt war er auch kein Affe, doch das interessiert die Kritiker natürlich nicht. Doch Bonhoeffer wirft man vor, sich nicht haargenau an jede Kleinigkeit gehalten zu haben und Dinge aufgrund der künstlerischen Freiheit geändert zu haben. Beispielsweise wird aus irgendeinem Grund kritisiert, dass in dem Film dargestellt wird, dass Bonhoeffer mit Louis Armstrong musiziert.
Fakt ist, dass beide zu der Zeit oft in dem„The Smallest Paradise“ Jazz Club waren und die Wahrscheinlichkeit sehr hoch war, dass sie aufeinander trafen. Diese Szene stellt lediglich eine Metapher dar. „Jazzmusik entfachte seine musikalische Sehnsucht neu. Er war ein pianistisches Wunderkind, und das stimmt, aber er hatte seit dem Tod seines Bruders, als er noch ein kleiner Junge war, nicht mehr musiziert. Jazz brachte die Musik zurück in sein Leben. Ich dachte: Okay, das ist ein wunderbarer Ort für ihn, um zum ersten Mal wieder zu spielen. Die Hinwendung von der klassischen Musik zum Jazz erinnert uns daran, dass Musik uns alle verbindet. Selbst etwas, das Bach vor Hunderten von Jahren geschrieben hat, lässt sich noch immer mit einer Jazz-Improvisation in Echtzeit verbinden. Diese Brücke verbindet Menschen aller Stämme trotz aller Unterschiede und sagt: „Hey, wir sind alle eins. Dieses Erlebnis zu teilen, wenn sie gemeinsam Musik machen und sich umarmen, zeigt auch, dass die schwarze Community Dietrich in jeder Hinsicht, in der Kirche und in den Jazzclubs, mit so viel Anmut und Liebe aufgenommen hat. Dort lernte er Liebe kennen, die über das hinausgeht, was manche als Kluft betrachten, aber in Wirklichkeit sind wir als Menschen alle miteinander verbunden. Es ist also gar keine echte Kluft.“ (Todd Komanicki)
Bevor man also ansetzt Bonhoeffer auseinanderzunehmen, sollte man darüber nachdenken, dass jeder Mensch das Recht auf Religionsfreiheit hat und dass Bonhoeffer von diesem Recht Gebrauch machte und er durch starke schauspielerische Darbietung von Jonas Dassler zum Leben erweckt wurde. Bevor man sich über den Film echauffiert, sollte man vielleicht an ein Zitat aus der Bibel denken: „Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.“ Schließlich ist Nichtglauben auch Glauben. Wer aus seiner atheistischen Sicht auf die Dinge, die Religion negiert, wird niemals begreifen, was es heißt in einer religiösen und moralischen Zweckmühle zu stecken und diese Zwickmühle hat Bonhoeffer sehr zutreffend und vollkommen nachvollziehbar dargestellt. In der Auseinandersetzung mit der Bibel, mit Gott und mit christlichen Glauben und dem Widerstand gegen die Nazis liegt die Stärke dieses Films. Auch in seiner Botschaft liegt die Kraft: „Wehrt euch, solange es nicht zu spät ist!“