Schuster, bleib bei deinen Leisten. So heißt es gemeinhin. Musiker Flying Lotus beweist uns, dass diese Binsenweisheit nicht immer Bestand haben muss. Wie schon einige seiner Musikerkollegen vor ihm, darunter RZA sowie Rob Zombie, hat auch er sich vor einigen Jahren dem Inszenieren von Spielfilm zugewandt. Nachdem Steven Ellision, so Flying Lotus‘ bürgerlicher Name 2017 mit dem durchgeknallten Film Kuso sein Regiedebüt feierte und er ein Segment zu der 2022 erschienenen Horror-Anthologie V/H/S/99 beisteuerte, legt er nun mit einem im Weltraum angesiedelten Werk nach. Dabei handelt es sich um eine albtraumhafte Mischung aus Science-Fiction und (Body)Horror mit „lovecraftschem“ Einschlag, die sich nicht nur sehen, sondern aufgrund des atmosphärischen Scores ebenso hören lassen kann. Letzterer stammt, es dürfte wenig verwundern, von Ellision selbst. Aber schauen wir doch mal, wovon Ash, so der Titel von Ellisions neuester Regiearbeit, überhaupt handelt.
Verletzt, verwirrt und ohne Erinnerungen. So kommt eine am Boden liegende (von Eiza González, Alita: Battle Angel verkörperte) Frau zu sich. Mit einer Taschenlampe bewaffnet erkundet sie ihre Umgebung. Eine aus den Lautsprechern tönende Computerstimme verkündet immer wieder aufs Neue, dass eine Systemstörung vorliegt, was die schwache Ausleuchtung sowie die flackernden Lichter erklärt. Die Frau weiß weder wer sie ist, noch wo sie ist, noch was um sie herum geschehen sein könnte. Aber es muss etwas Grauenvolles vor sich gegangen sein. Denn schnell entdeckt die verängstige Protagonistin nicht nur großflächige Blutspuren an Böden und Wänden, sondern stößt zudem noch auf mehrere Leichen. Durch einen Flashback finden wir heraus, dass der Name der Frau Riya lautet und wir uns inmitten einer auf dem fernen Planeten KOI 422 gelegenen Weltraumbasis befinden. Wenig später trifft Riya auf den durch einen abgesetzten Notruf alarmierten Brion von der Orbitalüberwachung (gespielt von Aaron Paul, Breaking Bad).
Von ihm erfahren wir, dass sie Teil eines Programms zur Entdeckung bewohnbarer Planeten sind. Denn die Erde, so wird es zumindest angedeutet, scheint dem Untergang geweiht zu sein. Während die von kurzen Flashbacks sowie furchterregenden Visionen geplagte Riya herausfinden möchte, was genau eigentlich passiert ist, will Brion einfach nur weg von dem Planeten. Zumal der Sauerstoff knapp wird und es nur ein schmales Zeitfenster gibt, um die im All befindliche Orbitalbasis zu erreichen. Aber können die beiden einander tatsächlich vertrauen? So viel zur Ausgangssituation des Films. Einmal mehr haben wir es mit einer dieser Weltraummissionen zu tun, bei denen irgendetwas fürchterlich schief geht bzw. im Falle von Ash bereits schief gegangen ist. Was genau vorgefallen ist, darüber tappen wir gemeinsam mit der weiblichen Hauptfigur längere Zeit im Dunkeln. Es scheint aber so, als ob der Planet oder etwas auf dem Planeten Existierendes Anteil an den schrecklichen Ereignissen haben könnte.
Wodurch Ash gleich von Beginn an zu begeistern weiß, sind die vereinnahmende audiovisuelle Umsetzung, das unbehagliche Setting sowie die düstere Atmosphäre. Ellisions Werk gleicht einer Symphonie aus stetigem Unbehagen, brutalem Terror und sinistrer Schönheit, bei der man nicht weiß, ob man ehrfürchtig staunen oder in Erwartung irgendeines schrecklichen Ereignisses die Luft anhalten soll. Ständig hat man das Gefühl, dass irgendjemand oder irgendetwas aus einer der schwach ausgeleuchteten Ecken hervorstürmen oder eine der Leichen plötzlich die Augen aufreißen könnte. Es erwarten uns Räume und Korridore, die in ein stetiges Wechselspiel aus Schatten, schummriger Beleuchtung sowie einem rauschartigen, fast schon surreal anmutenden Farbcocktail aus intensiven Rot-, Blau-, Lila- und Gelbtönen gekleidet sind. Passend dazu haben wir Lichtquellen, die rhythmisch pulsieren oder hektisch flackern. Ähnlich ungemütlich schaut es außerhalb der Raumstation aus.
Dort wartet eine felsige Planetenoberfläche, die sich kaum kälter und unwirtlicher anfühlen könnte, der gleichzeitig aber auch eine raue, ehrfurchtgebietende Anmut innewohnt. Eine Anmut, die nur von den Blicken gen Firmament und dem damit verbundenen atemberaubenden Ausblick auf das Weltall übertroffen wird. Dazwischen terrorisieren uns in regelmäßigen Abständen sowohl albtraumhafte Erinnerungsfetzen, die in Form von Jumpscares mehrfach über uns hereinbrechen als auch deftige Gewaltausbrüche, die vereinzelt gar in den Bereich des Bodyhorror abdriften. Ebenfalls vorhanden sind psychedelische Verfremdungen sowie eine kurze Traumsequenz. Allerdings wirkt letztere (Riya liegt in "orientalischer" Gewandung inmitten eines Dschungels) im Kontext des Films seltsam deplatziert. Begleitet wird das Ganze von einem elektronischen Score, der jede einzelne Szene hervorragend unterstützt. Mal präsentiert sich die Musik dröhnend, hämmernd, treibend und mal hypnotisierend, vereinnahmend, zum Träumen anregend.
Aus technischer Sicht gibt sich Ash jedenfalls bis auf ganz wenige Ausnahmen (darunter Szenen eines fliegenden Raumschiffs, die eher an die Zwischensequenz eines Videospiels erinnern), nur äußerst selten eine Blöße. Anders sieht es in Sachen Drehbuch aus. Egal wie anmutig, düster und mysteriös sich Ash über weite Strecken hinweg auch geben mag, so bekannt kommt einem das Gezeigte unter Umständen vor. Denn gerade jene, die viel und gerne Science-Fiction-Filme konsumieren, werden sich was Inhalt, Atmosphäre sowie Stilistik angeht, an diverse Filmtitel aus den vergangenen Jahren bzw. Jahrzehnten erinnert fühlen. Die verwendeten Versatzstücke aus anderen Werken sind mannigfaltig. Unter anderem wären da eine Portion Pandorum, ein Quäntchen Event Horizon, ein Tropfen Underwater, ein Hauch Red Planet, eine Spur The Thing, ein Klecks Die Farbe aus dem All. Aber auch weniger bekannte Filme wie Glorious, Last Days on Mars, Eden Log oder The Hive meint man in Ash zu erkennen.
Es scheint fast so, als ob der Schweizer Drehbuchautor Jonni Remmler während des Schreibprozesses einen Science-Fiction-Film-Marathon absolviert und in den Pausen noch Videospiele wie Dead Space oder The Callisto Protocol gezockt hätte. Ob man sich an der fehlenden erzählerischen Originalität bzw. den zahlreichen Versatzstücken stören möchte, muss jeder für sich selbst entscheiden. Fairerweise sollte dann aber auch nicht außer Acht gelassen werden, dass viele der genannten Titel ebenfalls einiges voneinander sowie von deutlich älteren Werken wie Alien, Forbidden Planet, The Thing from Another World oder den Büchern eines gewissen H. P. Lovecraft abgekupfert haben. Woran man jedoch definitiv Anstoß nehmen kann, ist der im Mittelteil zeitweise aufkommende Leerlauf (und das bei einer Laufzeit von gerade einmal knapp 90 Minuten) sowie die einen Tick zu große emotionale Distanz gegenüber der Hauptfigur.
Zwar macht Eiza González ähnlich wie Aaron Paul einen ziemlich guten Job, doch ändert dies wenig daran, dass ihre Figur als solche nicht gerade übermäßig interessant wirkt und Charaktertiefe vermissen lässt. Da kann die Kamera noch so oft dicht an Riyas Gesicht kleben oder in ihre Egoperspektive wechseln, sie bzw. ihre Beziehung zu den Crewmitgliedern (einer der Verstorben soll gar ihr Partner sein) ist schlichtweg zu wenig greifbar. Von den restlichen Charakteren (die u. a. mit Iko Uwais aus The Raid sowie Ellision selbst besetzt sind) wollen wir erst gar nicht anfangen, da wir diese ohnehin nie richtig kennenlernen dürfen. Außerdem wäre da noch die finale Auflösung nebst kleinem Twist, die weniger originell bzw. überraschend ausfällt, als dies wohl angedacht war. Schade, wirklich schade. Denn Ash hätte das Zeug dazu gehabt, eine waschechte Genreperle zu werden. Allerdings sind die narrativen Schwächen dafür dann doch zu groß. Trotzdem wird einem Ellisions Ash aufgrund seiner audiovisuellen Pracht wohl noch lange in Erinnerung bleiben wird.