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Quelle: themoviedb.org

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Inhalt

Wie vor ihm sein Vater, hat Alois Nebel sein ganzes Leben auf der Schiene verbracht, zuletzt als Bahnvorsteher. Er sammelt Fahrpläne, trinkt Bier, raucht und sieht von Zeit zu Zeit Dinge, die, außer ihm, niemand sonst sehen kann. Irgendwann im Laufe der Zeit wurde er selbst benebelt von vorbeifahrenden Zügen, die den Bahnhof passieren auf dem er arbeitet und sich ihren Weg quer durch das Jahrhundert bahnen. In diesem Zustand trifft Alois Mute, einen Unbekannten der wie aus dem Nichts erscheint, als käme er aus der Vergangenheit. Alois wird in einen Mord involviert der in Polen geschah, dessen Ursprung viel näher am kleinen Bahnhof hat, als es für ihn erscheint...

Kritik

Bei dem Begriff Animationsfilm denkt man inzwischen in erster Linie an kindgerechte Beiträge aus dem Hause Pixar und Co, dann vielleicht an den klassischen Zeichentrickfilm oder asiatische Animes. Weit weniger verbreitet ist dagegen das Rotoskopie-Verfahren, obwohl bereits vor 100 Jahren entwickelt. Real gedrehte Filmszenen werden (klassisch) auf eine Mattglasscheibe projiziert und mehr oder weniger abgepaust. Eine verhältnismäßig aufwändige Technik, weswegen sie immer nur für einzelne Effekte genutzt wurde, so z.B. bei Disney, der ersten „Star Wars“-Trilogie, „Tron“ oder sogar bei Alfred Hitchcock für dessen Klassiker „Die Vögel“. Nachdem Richard Linklater 2001 schon bei „Waking Life“ verstärkt mit Rotoskopie arbeitete, war er fünf Jahre später der erste, der mit „A Scanner Darkly - Der dunkle Schirm“ einen kompletten Spielfilm nach dieser Methode drehte. Der Tscheche Tomáš Luňák tut es ihm bei „Alois Nebel“ – der Verfilmung einer in seiner Heimat populären Graphic Novel – gleich, wodurch er dem Erscheinungsbild der Vorlage natürlich extrem nah kommt und gleichzeitig wohl erst dafür sorgte, dass sein Werk überhaupt für Aufmerksamkeit jenseits seines Landes sorgte und 2012 den europäischen Filmpreis als bester Animationsfilm erhielt.


Allein deshalb hat sich der Aufriss schon gelohnt, doch die Optik ist bei „Alois Nebel“ nicht schlichter Eye-Catcher und ein geschickter Schachzug, um über seine Landesgrenzen ausgewertet zu werden. Seine tristen, in tiefster Melancholie getränkten und gleichzeitig ungemein soghaften Schwarz-Weiß-Bilder erzeugen eine unwirtliche Stimmung, die perfekt zu der dargestellten Region und Zeit passt. Dem eigentlichen Star des Films. Diese beiden Faktoren sind nicht nur Rahmen der Geschichte, sie sind für sie mindestens so wichtig wie die Figuren. Protagonist Alois Nebel, ein introvertierter Fahrdienstleiter einer kleinen Bahnstation im Grenzgebiet der Tschechoslowakei zu Polen im Herbst 1989, wird nachts von den Schatten der Vergangenheit heimgesucht. Den seiner eigenen, wie der Gegend, dem ehemaligen Sudetenland. Unrecht, Leid und ungesühnte Verbrechen während der Besatzung des Dritten Reichs wie der anschließenden Vertreibung der deutschen Einwohner nach Kriegsende liegen wie dunkle Schatten, wie böse Geister über dem inzwischen kaum besiedelten Landstrich. Das persönliche Schicksal des in leichten Zügen fast autistisch wirkenden Alois ist nur eines von vielen und genau genommen das des ganzen Gebiets. Behutsam, still und leise erzählt diese kluge Parabel von niemals stattgefundenen Verarbeitungsprozessen, tief verwurzelten Traumata und unausgesprochenen Wahrheiten, die mit dem Auftauchen eines stummen Fremden langsam an die Oberfläche drängen.


In einer psychiatrischen Einrichtung, in die Alois aufgrund eines Nervenzusammenbruchs eingewiesen wird, kommen er und der stumme Unbekannte sich näher. Ohne auch nur ein Wort miteinander zu sprechen scheinen sie zu wissen, dass sie etwas miteinander teilen. Etwas, über das sie nicht sprechen könnten, selbst wenn sie es wollten. Ihre Wege scheinen sich zufällig gekreuzt zu haben und doch wieder nicht. Dem Fremden gelingt irgendwann die Flucht, Alois wird als geheilt entlassen. Mitten in den Zusammenbruch des Ostblocks. Was wird nun werden, wohin geht die Reise? Seine einzige Sicherheit war bis dato seine Arbeit, das Studieren der Fahrpläne, doch selbst das ist nun nicht mehr gegeben. Die neue Freiheit birgt gleichzeitig eine große Furcht. Alois steht praktisch vor dem Nichts, vor einer ungewissen Zukunft. Die Zeit scheint gekommen, endgültig mit der Vergangenheit aufzuräumen. Für ihn, wie seinen stummen Freund.


Die Handlung von „Alois Nebel“ mag ziemlich unspektakulär, langsam und oberflächlich betrachtet sehr reduziert sein, ist dabei jedoch ungemein reflektiert, subtil und eine einzige, große Metapher. Durch die Person von Alois, dem Stummen und noch einigen anderen Figuren wird die dunkle Geschichte eines Landes aufgearbeitet und sich mit Themen auseinandergesetzt, die sowohl von menschlicher wie politisch-historischer Relevanz sind. Irgendwann ist der Zeitpunkt gekommen, um mit der Vergangenheit aufzuräumen. Ob man sie hinter sich lässt um in eine vielleicht bessere Zukunft zu blicken, sich ihr stellt um späte Genugtuung zu erfahren oder von ihr letztlich eingeholt wird. Ganz einfache Kost ist der Film sicher nicht, fordert sein Publikum zum Mitdenken auf und verlangt von diesem zumindest ein Mindestmaß an Hintergrundwissen, um alle zeithistorischen Aspekte besser einordnen und ihre Wichtigkeit für das Geschehen erkennen zu können. Wer dazu bereit ist, wird mit einem faszinierenden und nachhallenden Film belohnt, den es so nicht oft zu sehen gibt.

Fazit

Optisch aufregend präsentiert, inhaltlich ruhig und dabei trotzdem voller wichtiger Aussagen. „Alois Nebel“ ist ungewöhnliches Polit- und Gesellschaftskino mit enormen Zeitbezug, das intelligent die weltweit weniger beachteten Nachbeben des zweiten Weltkriegs und des Zusammenbruchs des Kommunismus wieder (oder erstmals) in das Bewusstsein des Publikums bringt.

Kritik: Jacko Kunze

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