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Rückkehr zu den Kinderspielen um Leben und Tod - Kritik zu "Squid Game 2" auf Netflix

memorylab

Von memorylab in Rückkehr zu den Kinderspielen um Leben und Tod – Kritik zu "Squid Game 2" auf Netflix

Rückkehr zu den Kinderspielen um Leben und Tod - Kritik zu "Squid Game 2" auf Netflix Bildnachweis: © Netflix

Über den Erfolg der ersten Staffel von Squid Game rieben womöglich die Verantwortlichen bei Netflix vor drei Jahren verwundert ihre Augen: Um die 142 Millionen Haushalte weltweit lockte man innerhalb der ersten vier Wochen, zu Hochzeiten der Covid-19-Pandemie, vor die Fernseher. Und Spielwarenproduzent:innen aus China – ein Land, wo Squid Game gar nicht erst verfügbar war – witterten Morgenluft und vertrieben einen Monat später illegalen Merchandise. Netflix ist mittlerweile Herr über die Vermarktung der koreanischen Serie geworden. Offizielle Werbeprodukte, Virtual-Reality-Events, eine unter fragwürdigen Bedingungen produzierte Realityshow, sogar ganze Erlebniswelten hat man in New York, Madrid und Sydney aus dem Boden gestampft.

Dass sich Netflix am Erfolg der Serie bereichert, ist im Grunde von größter Ironie geprägt. Denn im titelgebenden Kinderspiel-Wettkampf haben reiche Menschen ihr größtes Vergnügen, wenn verzweifelte, verschuldete Teilnehmer:innen auf einer abgelegenen Insel für ein Preisgeld von 45,6 Milliarden Won – umgerechnet rund 30 Millionen Euro – um Leben und Tod spielen. Die Zuschauer:innen vor dem Fernseher schauen gleichzeitig mit. Brutales Entertainment als extremer Kommentar auf wirtschaftliche Ungleichheit und die Schere zwischen Arm und Reich – sowohl in Südkorea als auch weltweit. Damit reitet Squid Game auf der koreanischen Erfolgswelle, wie es bereits beim sensationellen Oscar-Gewinner „Parasite“ der Fall gewesen ist.

Nicht verwunderlich also, dass der Streaming-Riese eine weitere Staffel bestellte – obwohl Hwang Dong-hyuk (The Fortress) seine eigens erschaffene Welt von Squid Game nicht mehr ausstehen konnte. Aber wenn der große Zahltag winkt, wer möchte da schon nein sagen? Noch ein weiteres Spiel, koste es, was es wolle – das ist das Motto der zweiten Staffel. Der Gewinner der 33. Ausgabe der Squid Games, Seong Gi-Hun (Emmy-Gewinner Lee Jung-jae), kehrt zwei Jahre später zu jenen Spielen zurück. Nicht aber, um sie erneut zu gewinnen, sondern um ihnen ein Ende zu setzen. Die Besessenheit, die der einstige durch Sportwetten Hochverschuldete dafür an den Tag legt, ist ebenfalls Dreh- und Angelpunkt der insgesamt sieben Folgen, die am zweiten Weihnachtstag erschienen sind.

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Dong-hyuk konzentriert sich in Squid Game 2 auf die Gedankengänge und Charakterzüge der gegenüberstehenden Beteiligten, sowohl inner- als auch außerhalb des titelgebenden Wettkampfes. Dieser Schritt ist gut gewählt, weil die erste Staffel ihren Reiz in den Spielen, deren absoluten Konsequenzen und dem fast nimmersatt sehenden Set-Design auf einer mysteriösen Insel gehabt hat. In der ersten Folge „Brot und Glücksspiele“ gibt es mit dem Auftritt des wiedergekehrten Gong Yoo als den berüchtigten Anwerber gleich das erste Highlight. Sein Duell im russischen Roulette mit Lee Jung-Jae ist klasse inszeniert und von beiden ausgesprochen gut gespielt. Runde für Runde drängt der Psychopath in Yoos furchteinflößender Figur an die Oberfläche. Eine Einstellung fängt den Kontrast im Gesicht des Anwerbers ein: Von Angst umhüllt ist seine linke, vom Sadismus durchzogen seine rotgefärbte rechte Hälfte. In dem Moment bündelt Yoo die Essenz von Squid Game sehr gekonnt.

Die Charakterzüge dienen als Einstellungskriterien für die Spiele. Wer zum Beispiel unter glühenden Temperaturen seine Rolle als spendables Maskottchen im Erlebnispark strikt durchzieht, bewirbt sich indirekt für eine Stelle als Soldat:in im pinken Overall. Nicht nur das, auch das Beobachten der Reaktionen ist entscheidend. Dong-hyuk trifft dabei den Nerv der Zeit: Die schwerkranke Tochter eines Porträtkünstlers wird ins Krankenhaus eingeliefert. Ein erfolgsversprechendes Medikament möchte die Versicherung aber nicht decken. Da kommen nach kurzer Überlegungszeit Erinnerungen zum Mord am Geschäftsführer von United Healthcare, Brian Thompson, hoch.

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Dazu sei gesagt: Die Tat als Akt eines Antihelden zu verkaufen, ist genauso falsch, wie die US-Medien den Hauptverdächtigen Luigi Mangione framen – und die Reaktionen in den sozialen Medien gleich mit. In Squid Game 2 ist im Blick von Maskottchen-Darstellerin No-Eul (Park Gyuyoung) – zu den Ereignissen mit dem kollabierten Kind im Park in der Folge „Halloween-Party“ – eine deutliche Distanz zu erkennen. Gegenwärtig ist diese auch in den sozialen Medien zu spüren, denn die Anteilnahme für Brian Thompson ist nahezu ausgeblieben. Statt sich zu wundern, täten Nachrichtensender und Online-Magazine gut daran, jene Distanz zurückzuverfolgen – besonders mit den vielfach aufploppenden Schilderungen der Schicksale von Betroffenen. An den Entscheidungen von United Healthcare beispielsweise hängen ähnliche Schicksale wie die jenes kranken Kindes dran. Ebenso muss die Wirkung einer abgelehnten Übernahme der Therapiekosten an sich Thema sein – Squid Game 2 reißt diesen Aspekt im Entschluss des Vaters an.

Im Krankenhaus wacht Hwang Jun-Ho (Wi Ha-joon) auf, der Bruder des Frontmanns/Spielleiters. Sein Zusammenschluss mit Gi-Hun formt der Serienschöpfer wieder zu einem parallelen Erzählstrang, der dieses Mal jedoch kaum von Belangen ist. Die Szenenwechsel wirken wie Interludes auf einem Album, teils bloße Pausen, in denen man kurz durchatmen mag. Es steht und fällt mit den Absichten einer einzigen Person auf dem Kahn, auf dem Jun-Ho und eine Reihe an angeheuerten Söldnern eine Insel nach der anderen ansteuert. Gi-Huns halsbrecherischer Infiltrationsversuch der Insel inklusive Peilsender ist der weitaus interessantere Erzählstrang.

Das liegt zuallererst an dem mentalen Stresstest, den er durchläuft. Gi-Hun will die Spiele beenden und damit das Leben der involvierten Menschen retten. Solch hohen humanitären Ambitionen weiß die Spielleitung mit psychologischen Tricks zunichte zu machen. Neue Spiele stehen auf dem Plan, und man muss festhalten: Die großen Sets sehen optisch wieder fantastisch aus, in Spiel 3 kommt das Karussell in der Draufsicht besonders gut zur Geltung.

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Das Szenario besitzt noch seine makabre Anziehungskraft, jedoch möchte ein Mitfiebern nie so richtig aufkommen. Aber das soll auch so sein! Diese Spiele sollen eigentlich nicht unterhalten. Sie sollen uns anwidern, vor Augen führen, wie stark Eigensinn, Spekulation und Verlangen ausgeprägt sind, wenn es um alles oder nichts geht und die minimale Hoffnung gewahrt werden soll. Wir beobachten die Spielmechanismen und Kettenreaktion der Teilnehmer:innen, sobald eine:r von ihnen eliminiert wird oder sie das Vertrauen missbrauchen. „Rotes Licht, grünes Licht“ kehrt zu diesem Zweck zurück. Dieses Spiel soll darüber hinaus den Squid Game-Sieger in Gi-Hun ködern, ihn in falscher Sicherheit wähnen. Hier lediglich von einem Fan-Service zu sprechen, zeugt von derselben Ironie, die Netflix bei der Vermarktung dieser Serie zeigt.

Wir blicken ebenso distanziert wie Soldatin 011 auf jede Runde, während der Horror keineswegs schwächer geworden ist – sondern sogar stärker. Als die Überlebenden eines Abends in den Schlafsaal zurückkehren, sind sie enttäuscht darüber, wie viele es doch heil aus dem Spiel heraus geschafft haben – der völlige Wahnsinn!

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Der neue Cast im Feld der Teilnehmenden kann erneut glänzen. Die Schlüsselfiguren haben, obgleich ihrer zahlreichen Namen und Nummern, ihren Wiedererkennungswert. Dabei ist die Auswahl der 456 Menschen zutiefst von einem Auskosten der kritischen Lebenssituation, der Gier als auch des Vergeltungspotenzials unter ihnen geprägt – alles im Dienste der Unterhaltung. Spieler 001 und Gi-Hun begegnen sich in denkwürdigen Dialogen, während der Rapper Thanos (Choi Seung-hyun), als enervierender Mobber mit herrlichen Englisch-Pointen im Original, ein tadelloser Antagonist ist. Gemeinsam mit anderen Draufgängern möchte er sich an einem zahlenversessenen Bitcoin-Influencer (Yim Si-wan) rächen, dem er sein Vertrauen bei einem Investment geschenkt hat. Weiterhin gefällt die Geschichte rund um die mitwirkende Transfrau Hyun-ju (Park Sung-hoon) am Squid Game – Die Gründe, warum ein cis-männlicher Schauspieler für diese Rolle gecastet werden musste, lassen aber tief in die südkoreanische Gesellschaft blicken.

Das Teambuilding, das im weiteren Verlauf entsteht, ist ein weiterer bemerkenswerter Aspekt in Squid Game 2. Zusammen mit den Abstimmungen nach jedem Spiel präsentiert Hwang Dong-hyuk ein großes Meinungsspektrum, das sich aus den Hintergründen der Figuren speist und der Frage „Weitermachen oder aufhören?“ ergibt. Die Votings haben den Schein einer Demokratie: Alle Teilnehmenden geben nämlich mit Nummer und Gesicht ihre Stimmen ab und können dessen Verteilung live mitverfolgen. Und es macht auch keinen Unterschied, wie die Entscheidung ausfällt. Die Leitung will die Fraktionen spalten, sodass sie sich gegenseitig bekämpfen. Man bekommt ein Abbild der aktuellen politischen Landschaft zu sehen, wodurch die gesamte dritte Folge die beste dieser Staffel geworden ist.

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Dong-hyuk lässt die Preisspirale eskalieren: Er holt Gi-Hun von Folge zu Folge auf den Boden der Tatsachen zurück, zu seinen Wurzeln als abschreckender Gambler. Keine Frage, der Cliffhanger ist fies, aber gut gewählt im Angesicht des charakterlichen Scheidewegs bei der Hauptfigur. Außerdem möchte Netflix natürlich weiter im Squid Game-Universum schwelgen. Und wer möchte es dem Streamingdienst verübeln? Bei den vergangenen Preisanstiegen der Abos und dem Account-Sharing-Verbot über mehrere Haushalte hat die überwältigende Mehrheit der Nutzer:innen insgeheim den blauen Buzzer gedrückt. Da könnte Hwang Dong-hyuk sich doch glatt ins Fäustchen lachen.


Fazit

Obgleich der im Vorfeld überschäumenden Ironie im Marketing, erweist sich „Squid Game 2“ als ein überraschend starker Nachfolger zur ersten Staffel. Das Mysterium rund um die Spiele gibt Schöpfer Hwang Dong-hyuk auf, um mit fiesen Kniffen die emotionalen Gräben und Opferbereitschaft der verzweifelten Teilnehmenden freizulegen. Damit unterfüttert er seinen Horror und seine Kritik an der wirtschaftlichen Ungleichheit. Neben dem guten Casting besticht wieder das großflächige Design der Kulissen. Weit weniger gelungen dagegen ist der dröge und vorhersehbare Erzählstrang rund um den Bruder des Frontmanns, der die Insel aufspüren möchte. Für die finale dritte Staffel im Laufe des Jahres bedarf es einfach Geduld.

Autor: Marco Focke

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