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Regisseur Jon S. Baird im Interview zu 'Drecksau'

von Anne Facompré

Nach unserem Interview mit Hauptdarsteller James McAvoy zu "Drecksau" (siehe hier) traf Moviebreak auch den Regisseur des Films, Jon S. Baird, mit dem wir ausführlich über seinen Film sprachen.

Bei Drecksau haben Sie nicht nur Regie geführt, sondern den Film auch produziert und das Drehbuch geschrieben...

Ja, das war mir wichtig. Es war das erste Buch von Irvine Welsh, das ich gelesen habe. Mittlerweile habe ich zwar alle seine Romane gelesen, aber „Drecksau“ bleibt weiterhin mein Favorit. Ich liebe dieses Buch. Ich glaube außerdem, dass die Tatsache, dass schon andere versuchten, dieses Buch zu verfilmen aber aus unterschiedlichen Gründen scheiterten, machte es zu einer Herausforderung. Ich fragte mich natürlich auch, ob ich es schaffen könnte und warum es ausgerechnet mir gelingen sollte. Aber ich liebe die Figur einfach. Aus dieser Hingabe zu der Geschichte, war es mir sehr wichtig, diesen Film zu machen.

Gab es schon Feedback von Irvine Welsh zur Verfilmung?


Ja, Irvine wurde mit der Zeit zu einem sehr guten Freund. Als ich ihm die erste Fassung des Drehbuchs schickte, war ich wirklich sehr nervös. Er lebt in Chicago und ich in London. Ich emailte ihm das Skript über Nacht und musste wegen der Zeitverschiebung bis zum nächsten Morgen auf eine Antwort warten. Ich war sehr nervös. Dann kam eine email von ihm, in der „I love it!“ stand. Er wollte, dass ich nicht ein Wort daran ändere. Diese  E-Mail habe ich immer noch. Es war natürlich toll, von Anfang an derartige Unterstützung zu haben. Er hat uns auch am Set besucht und es gab sogar einen kleinen Gastauftritt. Der fiel am Ende aber leider der Schere zum Opfer. Trotzdem war er mit dem fertigen Film sehr zufrieden. Vor allem James' Leistung hatte es ihm angetan. Er hat immer wieder gesagt, dass noch nie eine Figur seiner Bücher so toll auf die Leinwand gebracht wurde.

Würden Sie sagen, dass Hamburg eine wichtige Rolle im Film spielt? Eigentlich kommt die Stadt ja nur in wenigen Szenen vor. Dennoch bewirbt man das hier sehr stark.

Hamburg ist auf jeden Fall ein sehr wichtiger Teil des Films, den es dient als eine Art Übergang. Bruce Robertsons Trip nach Hamburg verbindet zwei Teile des Films miteinander. Nach seiner Reise geht es nur noch bergab und die Dunkelheit nimmt Überhand in seinem Leben. Er beginnt mehr zu halluzinieren, aber gleichzeitig wird er sich seiner bösartigen Taten auch mehr und mehr bewusst. Er fängt an, die Kontrolle zu verlieren. Ich glaube, dass seine Reise nach Hamburg also eine wirklich große Rolle spielt. Auch in der Romanvorlage ist das so, wobei Bruce da nach Amsterdam reist.

Wie kamen Sie also darauf, Amsterdam durch Hamburg zu ersetzen?

Dafür gab es zwei Gründe. Zum einen hatten wir einen deutschen Co-Produzenten, da bat sich das natürlich an. Außerdem wussten wir, dass wir ein aussagekräftiges Rotlichtviertel brauchen würden. Da wählt man dann meistens zwischen der Reeperbahn oder eben Amsterdam. Allerdings fanden wir, dass Amsterdam viel häufiger genutzt wird und Hamburg etwas innovativer schien. Da wir dann natürlich auch noch die Förderung aus Deutschland erhielten, machte Hamburg wirklich Sinn.

Und wie gefiel es Ihnen hier?

Wir hatten eine tolle Zeit. Wir waren fünf Tage lang in Hamburg, obwohl nur zwei Tage lang gedreht wurde. Trudie Styler war eine Produzentin des Films und sie ist mit dem Sänger Sting verheiratet. Er hatte zur gleichen Zeit einen großen Auftritt in Berlin, also haben wir die gesamte Crew mit einem Bus dorthin gekarrt und uns das Konzert angesehen. Am nächsten Tag kam er zu uns ans Set und wir drehten einen Gastauftritt mit ihm. Auch dieser wurde am Ende leider rausgeschnitten.

Haben Sie und James McAvoy auch die Gelegenheit gehabt, privat auf der Reeperbahn etwas trinken zu gehen?

Nein, wir sind privat leider gar nicht dazu gekommen. Wir waren eigentlich nur zum Dreh und für die Suche nach Locations dort.

Denken Sie, dass Bruce Robertson eher gehasst oder bemitleidet werden sollte?

Ich glaube sowohl als auch. Das kommt auf die jeweiligen Szenen im Film und den Blickwinkel an. Manche hassen Bruce und andere lieben ihn. Ich denke das unterstreicht die Brillanz von James McAvoys Performance. Man kann der Figur auf jeden Fall besser folgen als das im Roman der Fall ist. Wirklich, wenn man ihn im Film schon hasst, muss man erst den Roman lesen. Da ist er noch um einiges schlimmer.

Welche emotionale Reaktion löst „Drecksau“ bei den Zuschauern aus?

Der Film hat schon eine ganze Reihe verschiedener Emotionen hervorgerufen. Was mich besonders freut, sind die positiven Reaktionen von weiblichen Zuschauern. Sie sehen Bruce als einen sehr fehlerbehafteten, tragischen Mann, der langsam zusammenbricht. Die Frauen gehen am Ende des Films häufig mit dem Gefühl raus, dass obwohl Bruce schlimme Dinge tut, sie ihm trotzdem gerne helfen und ihn retten würden. Männer verstehen diesen Aspekt oftmals nicht. Vor allem ist es mir aber wichtig, dass die Zuschauer überhaupt eine Reaktion auf den Film haben. Ob es nun Hass oder Liebe ist, ist mir letzten Endes egal. Das Schlimmste ist es doch, wenn man einen Film verlässt und danach so gar nichts empfindet. Dann ist es mir lieber, wenn die Leute meine Filme hassen, als wenn sie ihnen komplett gleichgültig wären.

Haben Sie Angst, dass manche Zuschauer den Film einfach nicht verstehen werden? Dass sie ihn nur sehen, weil sie die anderen Filme von James McAvoy mögen oder ihn einfach süß finden?

Natürlich rechne ich damit, dass das vorkommen wird. Aber das gibt es bei allen Filmen. Andererseits wird es auch Leute geben, die sich den Film ohne jegliche Erwartungshaltung ansehen und ihn am Ende mögen werden. Genauso wird auch Fans von Irvine Welsh geben, die den Film verstehen und andere, die sagen werden, dass die Vorlage besser ist.

Man kann durchaus behaupten, dass „Trainspotting“ die bislang beste Adaption eines Romans von Irvine Welsh war. Haben Sie bei dem Dreh von „Drecksau“ jemals eine Art Schatten von „Trainspotting“ über sich gefühlt?


Niemals. Ich glaube, wenn ich ein Remake oder ein Sequel zu „Trainspotting“ gedreht hätte, hätte ich wesentlich mehr Druck verespürt. Aber „Drecksau“ ist ein völlig anderes Buch und es war so schwer diesen Film auf die Beine zu stellen, dass ich dann nur noch froh war, dass aus dem Projekt überhaupt etwas wurde. Da blieb mir zum Glück wenig Zeit, mir über eventuelle Erwartungshaltungen andere Menschen Gedanken zu machen.

Seit Ihrem Regiedebüt „Cass“ sind fünf Jahre vergangen. Soll das nun wieder so lange dauern, oder steht ihr nächstes Projekt schon fest?


Ich hoffe nicht, dass das wieder so lange dauern wird (lacht). Ich habe meine Zeit damals mit dem Schreiben von Drehbüchern verbracht. Eines davon liegt jetzt bei Studiocanal und ScottFree, der Produktionsfirma von Ridley Scott.Momentan schreibe ich an einem Drehbuch für ein Studio in Los Angeles. Es basiert auf einer wahren Geschichte, aber ich kann nicht verraten, worum es geht. Außerdem habe ich die Rechte an einem komödiantischen Buch erworben, das kürzlich veröffentlicht wurde. Allerdings kann ich auch hier nicht verraten, um welches es sich handelt. Aber Sie sehen: ich habe einiges in Planung.

Und welche Filme haben Ihnen persönlich in letzter Zeit gut gefallen?

Lassen Sie mich überlegen: von den Oscarfilmen des letzten Jahres mochte ich „Silver Linings“ sehr. Das war einer dieser Filme, in die ich ohne jegliche Erwartungen reinging und dann sehr mochte. Die Schauspieler waren fantastisch. Es gab viele tolle Filme letztes Jahr. Auch „Argo“ gefiel mir sehr.ch tendiere aber eher dazu, ältere Filme zu schauen, wie zum Beispiel die von Stanley Kubrick, Sidney Lumet und Woody Allen.

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