Das Cyberpunk Franchise der Wachowskis ist als Rechtfertigung für Rechtsbrüche so beliebt, dass es in den juristischen Fachjargon aufgenommen wurde. Die Strategie definiert das Grundkonzept des 1999er Si-Fi-Kultfilms und seiner Nachfolger: Die Welt ist nur eine Computersimulation, in der kriminelle Handlungen gleichgültig sind, da alles nur simuliert ist. Anwendung fand das Argument erstmals bei der Verteidigung des Schweizer Austauschstudenten Vadim Mieseges. Er zerstückelte im Jahr 2000 seine Vermieterin und verteilte ihre Überreste in San Franciscos Golden Gate Park. Schuld waren laut dem Angeklagten Meth & Matrix. Unter Drogeneinfluss habe seine Furcht, in die Matrix gezogen zu werden, ihn zu dem Mord getrieben. Das Urteil lautete unschuldig aufgrund von Unzurechnungsfähigkeit, ähnlich wie bei der 37-jährigen Tonda Lynn Ansleys. Sie schoss im Juli 2002 auf ihre Vermieterin - mit tödlichen Folgen.

Das vor zahlreichen Augenzeugen begangene Verbrechen schockierte umso mehr, da kein rationales Motiv erkennbar war. Womöglich förderte das die Glaubwürdigkeit Ansleys Aussage, sie habe ihr Umfeld als computergenerierte Scheinwirklichkeit empfunden. Bevor ihr bei der nächsten Mieterhöhung den schwarzen Trenchcoat rausholt: Die juristische Vorgehensweise ist keineswegs eine Freispruch-Garantie. Lee Boyd Malvo, der 2002 mit John Allen Muhammad die D.C. Sniper Schüsse abfeuerte, wurde zu mehrfach lebenslänglicher Haft verurteilt. Laut Verteidigung stand der zum Tatzeitpunkt 17-Jährige unter dem Einfluss von The Matrix, von dem ein 12-Minuten-Clip vor Gericht gezeigt wurde. Geholfen hat es nichts. Wobei erwähnt sei, dass Muhammad und Malvo beide Schwarz sind, Ansley und Mieseges hingegen weiß. Gute Chancen also für Joshua Cooke, der wegen Doppelmordes an seinen Eltern vor Gericht stand.

Sein Anwalt entschied sich doch für eine andere Variation des gleichen Manövers und machte Video-Games verantwortlich. Staatsanwalt Robert Horan verwies unterdessen auf die gegenläufige Beweislast zur Matrix Verteidigung: “Millionen von Menschen haben [The Matrix] gesehen und niemanden umgebracht.” Mit den Worten, die Malvo angeblich in seiner Zelle kritzelte: “Free yourself from the Matrix”