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Ein Piratenabenteuer mit Leib und Seele? Kritik zur Netflix-Live-Action-Serie "One Piece"

memorylab

Von memorylab in Ein Piratenabenteuer mit Leib und Seele? Kritik zur Netflix-Live-Action-Serie "One Piece"

Ein Piratenabenteuer mit Leib und Seele? Kritik zur Netflix-Live-Action-Serie "One Piece" Bildnachweis: © Netflix

„Reichtum, Macht und Ruhm – der Mann, der sich dies alles erkämpft hat, war Gold Roger, der König der Piraten“ – wenn vor zwanzig Jahren das von Reinhard Brock gesprochene Vorwort und die für den deutschen Raum eigens komponierte Titelmelodie im Fernseher ertönten, durfte die Generation Y Teil haben am Beginn des großen Abenteuers von Monkey D. Ruffy und seiner Strohhut-Piratenbande mit der Anime-Adaption von One Piece. Nach nun über 1000 TV-Episoden wagen der Schöpfer Eiichiro Oda und der Streaming-Riese Netflix den Sprung vom Zeichentrick zur Live Action.

Netflix und Live Action? Diese Kombination ist in der jüngeren Vergangenheit mit „Cowboy Bebop“ gescheitert im Zuge eines fatalen Fan-Echos. One Piece könnte also das gleiche Schicksal drohen, doch die im Vorfeld gezeigten Set Pieces sowie der in weiten Teilen fein ausgewählte Cast in den Haupt- und Nebenrollen gaben eine Entwarnung. Die finale Bekanntgabe der Episodenanzahl war wiederum ein Anzeichen zur Sorge: acht Episoden für die ersten vier Handlungsbögen (auch „Arc“ genannt) des Mangas? Da fragen sich die Leser:innen und Anime-Zuschauer:innen, wie der Inhalt wohl auf eine sinnvolle Art und Weise „zusammengestaucht“ wird.

Doch der Reihe nach. Wer die Live-Action-Serie wie damals den Anime am Nachmittag sehen möchte, der oder die sollte lieber die Gardinen zuziehen und die Zimmerbeleuchtung runterdrehen oder das Schauen am besten auf die Primetime verlegen. Denn One Piece kommt visuell deutlich düsterer daher als der knallige Anime. Häufig spielt sich die Handlung bei Nacht oder in geschlossenen Räumen ab. Das verleiht der Live-Action-Serie eine ernstere Tonalität, die sich auch im reduzierten, reiferen Humor zeigt. Die Anime-typischen Reaktionen mit Sägegebiss werden einem zum Glück erspart. Eher verlaufen die Interaktionen der Strohhut-Piratenbande rund um Ruffy, Zorro, Nami, Lysop und Sanji auf Augenhöhe oder mit kleinen schmunzelnden Nickligkeiten. Zunächst tut sich der Eindruck auf, dass es sich erstmal um die Strohhut-„Kollegen“ handelt als um die von Ruffy beschworenen „Freunde“, aber da deckt sich die Erfahrung mit dem Anime.

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Getreu des Vornamens von Ruffy ist die Serie mit einem Affenzahn unterwegs. Eine Insel wird in ein oder zwei Episoden (mit je circa 60 Minuten Länge) abgehandelt, womit die Stakes nicht groß erscheinen. Die Serie muss bei der Anzahl der bestellten Episoden verständlicherweise einen knallharten Kompromiss fahren, aber mit der nun finalen Fassung fühlt sich die erste Hälfte an, als würde sie auf Schienen fahren. Die Geschichte schreitet zu geschmeidig voran, dem Akt der Erlösung und der Freude durch das Eingreifen der Strohhut-Bande fehlt es an emotionaler Tragweite (speziell die zweite Folge mit den Einwohnern der Stadt Orange) und hierzu fügen sich die Set Pieces eher schlecht als recht ein. An dessen Produktion gibt es, rein vom Aufwand und der Orientierung am Manga gesehen, nichts auszusetzen, aber die Atmosphäre fühlt sich in vielen Szenen nicht dreckig genug an. Die dunkle Ausleuchtung versucht vergeblich diesen Umstand zu ändern und der „Netflix-Look“ mit seinem orange-roten Farbstich ist da nicht komplett unschuldig. Der Boden und die Ecken der Kampfplätze sehen des Öfteren sauber und frisch aus und geben schlicht nicht den Eindruck her, dass dort in der Vergangenheit erbitterte Auseinandersetzungen stattgefunden haben könnten. Zwischen der Szene in der Bar in Shellstown aus Episode 1 und der Bar in Tortuga aus „Fluch der Karibik“ sind beispielsweise deutliche, qualitative Unterschiede zu erkennen und das verhindert eine Immersion, zumindest in den ersten vier Episoden.

Dafür kompensiert der zusammengestellte Cast dieses Problem erstaunlich gut. Gesetzt wird dabei richtigerweise auf unverbrauchte Gesichter. Der aus Mexiko stammende Iñaki Godoy verkörpert den Charme und das Quirlige von Ruffy, jedoch muss sein Wechsel von naiver Entdeckungslust zu ernsten Angelegenheiten in der Zukunft noch reifen – ein wesentlicher Aspekt des Mangas und Animes -, da die böse Mimik übertrieben herüberkommt. Der Japaner Mackenyu als Piratenjäger Lorenor Zorro setzt das eiskalte Auftreten sowie die lässigen Bemerkungen gekonnt um und Taz Skylar als Sanji punktet mit seiner Gentleman-Präsenz und seinen im Zaun gehaltenen Flirtverhalten, womit der Koch stets für Eindruck schinden möchte. Jacob Romero sieht mit seiner Ähnlichkeit fast schon „zu gut aus“ für den notorischen Lügner und Schleuder-Schützen Lysop, aber das Schauspiel-Highlight unter den Strohhüten ist Emily Rudd, die die Diebin und Navigatorin Nami spielt. Ihr Charakter harmoniert mit den kleinen Foreshadowings äußerst stark und in Gesprächen kann sie die mentale Belastung der Figur vermitteln.

Jedoch muss dazu gesagt werden, dass die deutschen Original-Synchronstimmen dem Schauspiel ein extrastarkes Fundament verleihen und für Anime-Zuschauer:innen der ersten Stunde der nostalgische Anziehungsmagnet schlechthin sein dürfte. Dass mit ihnen die Serie steht und fällt, lässt sich nicht ganz von der Hand weisen. Weiterhin ist ein Großteil der Nebencharaktere exzellent getroffen – in erster Linie die persönlich bedeutsamen Menschen für die Strohhut-Mitglieder –, indem sowohl die Diversität als auch das „durchschnittliche“ Aussehen bzw. Vermeiden von überdefinierten Körperpartien generell positiv hervorsticht und für die Zuschauer:innen zugänglich gestaltet ist. Besondere Erwähnung verdienen Jeff Ward als der wahnsinnige „Buggy, der Clown“ und Vincent Regan als Marine-Vizeadmiral Garp. Sie mimen ihre Rolle tadellos und profitieren von den merklichen Modifizierungen an der Handlung.

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Die auffälligsten Veränderungen sind für Manga- und Anime-Kenner:innen mit Sicherheit gewöhnungsbedürftig, doch gewinnen diese Entscheidungen im Verlauf spürbar an Wichtigkeit und lassen die Handlungsbögen zufriedenstellend miteinander verknüpfen. Hierbei ist die Parallelmontage zwischen Garp und den Strohhut-Piraten zu erwähnen, in der die Abenteuerlust und die üblicherweise gewaltsame Freibeuterei der Piraten gegen die für Gerechtigkeit kämpfende Marine deutlich positioniert werden. Mit weiteren Interaktionen wird außerdem das Machtgefüge im One Piece-Universum effektiv zur Schau gestellt. Positiverweise rückt die Figur des Corby, der den Traum zu einem starken Marinesoldaten verwirklichen möchte, dafür vermehrt ins Rampenlicht. Auf der anderen Seite wirkt Garp zunächst ungewöhnlich souverän und kalkuliert, bis seine eigentlich für ihn bekannte Impulsivität schließlich aus ihm herausbricht. Für diesen Schritt greifen Oda und die Showrunner Matt Owens und Steven Maeda Informationen überraschend weit in der Geschichte vor. Neulinge sollte dies vor keinem Problem stellen, Leser:innen und Anime-Kenner:innen könnten sich daran aufreiben. In dieser Form stellen die Enthüllungen kein weltbewegendes Ereignis dar.

Weitere Veränderungen betreffen Lorenor Zorro und den Schwertkampf-Meister Mihawk Falkenauge. Bei Zorro wird eine Anekdote aus seiner Zeit als Kopfgeldjäger für eine äußerst brutale und abgezockte Einführung verwertet, während Falkenauges Auftritt mit seinem rückengroßen Langschwert das Spektakel nicht größer ausfallen könnte. Ein schöner Running Gag ist hierbei die eintrudelnden Flugblätter mit ihren Kopfgeldern, die die Antagonisten bedecken und von ihnen auf individuelle Art und Weise zerstört werden. Die Kämpfe – ein weiterer Teil des Markenkerns von One Piece – sind wiederum ein „hit and miss“ geworden und von verschenktem Potenzial gezeichnet. Die Team-Kämpfe sind erstmal zu loben in Bezug auf den Zusammenhalt in der Gruppe, wobei der Kapitän Ruffy sogar schwächer erscheint als seine größeren Kumpane Zorro und Sanji. Wenn aber die Basis-Hierarchie ins Spiel kommt, lässt ausgerechnet Ruffys Auftreten im Zusammenspiel mit seinen Gummi-Teufelskräften zu wünschen übrig. Der Dehn-Effekt sieht bedenklich aus und Faust-Attacken wie die Gum-Gum-Pistole vermissen ihre Wirkung beim Einschlag. Dort hätte auch mit einer artifiziellen Super-Slow-Motion aus der Perspektive der Attacke oder ein wuchtiger Sound hinzugefügt werden können. Der sorgfältig rekonstruierte Schwertkampf zwischen Zorro und Falkenauge auf dem Baratie bildet das Highlight dieser Staffel.

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Es fällt schwer, bei den positiven Aspekten der Live-Action-Serie die Fan-Brille abzunehmen und die Wehrmutstropfen zu ignorieren. Das liegt auch am reflexartigen Wunsch, den Anime oder den Manga stärker zu beachten. Von den Rückblicken in die Vergangenheit der Protagonist:innen funktioniert ein einziger einwandfrei, einer schweren Verletzung wird zu viel Raum gegeben und die eingestreuten Splitscreens wirken lustlos. Hin und wieder sind es narrative Nuancen, die für die extra Prise Salz in der Suppe sorgen könnten und eine Sache von ein paar Sekunden darstellen. Der Gag mit der Nussschale in Shellstown oder die „Signature Moves“ von Ruffys Gegnern fehlen bzw. zweiten mangelt es im Detail. Arlongs torpedo-artiger Angriff „Shark on Darts“ ist nicht zu sehen, vermutlich weil Stephen Chows „Kung Fu Hustle“ eine ähnliche Vorführung dieser Attacke vorweisen kann.

Ebenfalls hätte der von Buggys Messern durchstochene Strohhut in seinem Sonderstatus klarer inszeniert werden müssen. Träume und Schätze werden durch den Serientitel vielfältig ausgelegt und gerade hier würde Buggys Satz „wenn er dir so viel bedeutet, dann verteidige ihn auch!“ in Bezug auf den persönlichen Wert von Eigentum und Freund:innen eine nachhaltige Wirkung hinterlassen. Einen bleibenden Eindruck hinterlässt der Soundtrack nicht. Zu episch und austauschbar fallen die meisten Klangteppiche aus. Im Vergleich profitiert der Anime von seinen aufheizenden Themen in den Schlüsselmomenten und wird von denen seit jeher geprägt. Da ist es nicht verwunderlich, dass „We Are“ als Motiv prompt auffällt und als einziges Stück im Ohr bleibt. Allenfalls der schicke Trap-Einfluss zur Untermalung der Fischmenschen sorgt für Aufsehen. Die Kritikpunkte sollen aber nicht Eindruck erwecken, dass die gesamte Live-Action-Umsetzung ins Wasser gefallen ist.


Fazit

Als einen netten Cosplay-Cruise hat sich One Piece zum Glück nicht bewahrheitet. Dafür sorgt zum einen die tolle Arbeit der Casting-Direktoren für nahezu alle präsentierten Charaktere der Staffel (!) und zum anderen die durchweg soliden Schauspielleistungen der Strohhut-Piraten, mit einem Sonderlob für Emily Rudds Performance. Die deutschen Originalstimmen halten die Handlung durch die Nostalgie intakt und ohne diese Komponente würde das Endergebnis gänzlich anders ausfallen.

Ist die Live-Action-Adaption aber ein Abenteuer mit Leib und Seele geworden? Ja, mit sichtbaren Abstrichen. Obgleich der fanbedingten Pedanterie sind eine Sorgfalt und Leidenschaft für das Original-Material zu erkennen, aber die Netflix-Serie leidet unter ihrem zu sauberen Look am Set. Eine schmutzigere Gestaltung der Kulisse vor der Kamera wäre förderlich gewesen. Die Kämpfe sind akzeptabel, die Effekte und die Kameraführung dagegen lassen besonders Ruffy nicht zur Geltung kommen.

Das Wichtigste an der Live-Action-Adaption von One Piece ist, dass sie als eigenständiges Format funktioniert. In der Zusammenführung der Handlungsstränge kann sich die kreative Freiheit behutsam entfalten und lässt die zweite Staffelhälfte stärker dastehen. So bekommen ausgewählte Charaktere mehr Zeit, sie werden zu festen Elementen in der Handlung geformt und das Worldbuilding fällt dank der unterfütterten Kontrastierung von Piraterie und Marine besser aus als im Anime. One Piece besitzt durch seine mutigen Entscheidungen einen eigenen Drive und richtet sich mehr an Neulinge, aber auch die langjährige Fan-Gemeinschaft darf einen Blick auf das geglückte Resultat werfen. Nach der ersten Staffel kann Netflix mit seiner Piraten-Serie allemal von sich reden machen.

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