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Cannes 2021 – Ein Resümee in Beobachtungen

PatrickFey

Von PatrickFey in Cannes 2021

Cannes 2021 – Ein Resümee in Beobachtungen Bildnachweis: Cannes

1 Das demokratischste Cannes der Geschichte?

All jene, die immer mal an die Côte d'Azur reisen wollten, um dabei zu sein, wenn die Filmwelt am Boulevard de la Croisette entlangflaniert, um im Palais du Festival de Cannes die neuesten Filme der bedeutendsten Autor*innenfilme zu präsentieren, dürften bisweilen vom Elitismus abgeschreckt worden sein, der dem Festival, sicher nicht zu Unrecht, nachgesagt wurde und wird. Zu nennen wäre da, wie der Status von Journalist*innen, basierend auf der Reichweite der vertretenen Medienplattform, durch die Farbe auf ihrem Festival-Badge bestimmt wird, die darüber entscheidet, wer sich Chancen auf die letzten Plätze einer begehrten Vorführung ausrechnen darf. Auf ähnliche Weise werden die Medienvertreter*innen reichweitenstarker Outlets während der Pressekonferenzen mit der Zuteilung der vorderen Sitze privilegiert, während weniger resourcenreiche Journalist*innen mit den hinteren Rängen vorlieb nehmen müssen. Der Jahrgang 2021 stellt sich da gänzlich anders dar. Ein neues Online-Ticketsystem versprach allen Medienschaffenden gleichermaßen einen demokratischeren Zugang zu den Vorführungen, war doch deren Buchung einzig an die Bedingung geknüpft, sich tagtäglich um 7 Uhr morgens über die festivaleigene Website die gewünschten Tickets zu buchen, sofern diese noch verfügbar waren.

Und doch stellte sich diese Egalität schnell als nur eine scheinbare heraus, werden große Websites wie Indiewire doch bereits im Vorfeld mit Screenern versorgt, sodass die Kritiken ohne zeitlichen Druck im Vorfeld des Festivals geschrieben und direkt zur Premiere veröffentlicht werden können. Ebenso gibt es morgendliche Screenings, deren Pforten dem Gros der anwesenden Journalist*innen verschlossen bleiben, die den geladenen Berichterstatter*innen allerdings einen Vorlauf für Vorführungen gewisser Filme geben, die offiziell erst am späten Nachmittag oder gar Abend zu sehen sind. Ähnliches ließ sich bereits während der diesjährigen Berlinale beobachten, als die Vorführungen von Dominik Grafs Fabian oder der Gang vor die Hunde oder des autofiktionalen Regiedebüts Daniel Brühls, Nebenan, nur einem exklusiven Kreis von Medienvertretern zugänglich war. Es ist also grundsätzlich wahr, das diesjährige Cannes dürfte vermutlich die zugänglichste Ausgabe seit geraumer Zeit gewesen sein, insbesondere für kleinere Medienplattformen. Gleichzeitig sollte sich niemand der Illusion eines egalitären Festivals hingeben, das allen Pressevertreter*innen die gleichen Resourcen zur Verfügung stellt. Durch diese Priorisierung erlaubt die Festivalleitung um Thierry Frémaux gewissen Outlets einen zeitlichen Vorsprung der Publizierung ihrer Texte, was zur Folge hat, dass alle nicht periodischen Online-Magazine unter einen gewissen Zeitdruck geraten, was deren bisweilen stark schwankende Qualität erklärt.

2 Der Jahrgang der Meta- und Autofiktion

Es ist schon erstaunlich, wie stark die diesjährigen Cannes-Filme auf den eigenen Schaffensprozess und die Welt außerhalb der Diegese referierten. Da wäre zum einen der Eröffnungsfilm Annette, in dem Regisseur Leos Carax, wie schon in Holy Motors, in den Anfangsminuten selbst in Erscheinung tritt, dieses Mal in der Rolle eines Musikproduzenten, der aus dem Hintergrund die Fäden zieht und das Treiben seiner Künstler*innen navigiert. Lässt sich dieses Spiel mit der eigenen Persona in Annette vermutlich eher mit einem der Hitchcock-Auftritte in dessen Filmen vergleichen, während die Verhandlung der Künstlerexistenz sich in der Folge auf den von Adam Driver porträtierten Stand-up-Künstler Henry McHenry verlagert, so sucht Nadav Lapid in Ahed’s Knee eher den Ausweg aus der Narration denn ihren Zugang. Dort spielt Avshalom Pollak Lapids Alter Ego, einen israelischen Filmemacher, der gerade den Goldenen Bären von Berlin gewonnen hat und nun auf Einladung des Kulturministeriums für eine Vorführung seines Erfolgsfilms mit anschließendem Q&A in die Wüstenregion von Arava eingeflogen wird. Die dortigen Erfahrungen mit den Zensurbehörden seines Landes, das sich zunehmend einem Rechtsruck seiner Regierung gegenübersieht, dürften auch dem realen Lapid durchaus nicht fremd sein. Noch einen Schritt weiter geht Joanna Hogg in ihrem The Souvenir: Part 2, dem Abschluss ihrer filmischen Verarbeitung der toxischen Beziehung zum enigmatischen Anthony, die sie während ihrer Zeit an der Filmschule durchlebte. Konzentrierte sie sich im Vorgänger noch auf vergleichsweise konventionelle Weise auf diese Beziehung, mit Honor Swinton Byrne als ihr jüngeres Stand-in Julie, erzählt sie nun von der Entstehungsgeschichte des Filmes, den wir in Part 1 zu sehen bekamen.

Im Vergleich dazu nehmen sich die Metakonstruktionen in Ryûsuke Hamaguchis Drive My Car noch außerordentlich zurückgenommen aus. In der Adaption der gleichnamigen Haruki-Murakami-Kurzgeschichte präsentiert Hamaguchi ein Spiel im Spiel, in der ein Theaterregisseur nach Hiroshima fährt, um das Tschechow-Stück Onkel Wanja zu inszenieren, dessen Vorbereitung und Proben sich kaum von dem trennen lassen, was außerhalb des Theaters geschieht. Ungleich stärker setzt die Französin Mia Hansen-Løve in Bergman Island nicht nur auf das Spiel im Spiel, sondern auch auf Autofiktion. Einerseits besteht ein bedeutender Teil des Filmes aus einer Binnenerzählung, dem Pitch des vorläufigen Drehbuchs der von Vicky Krieps gespielten jungen Filmemacherin Chris an ihren Partner Tony (Tim Roth), einem älteren und arrivierteren Regisseur, in dem diese vom Ende ihrer ersten großen Liebe erzählt. Gleichzeitig lassen sich Parallelen finden zwischen der Beziehung Chris‘ und Tonys und jener, die Hansen- Løve von 2002 bis 2017 zu Olivier Assayas unterhielt.

Bei jeder einzelnen dieser Filme handelt es sich um eine Gratwanderung. Der Reiz wie auch die Gefahr, die die Entscheidung für eine solche Erzählweise in sich birgt, scheinen offensichtlich: Was, wenn der Wunsch, dem Publikum einen intimen Zugang zum künstlerischen Schaffensprozess zu eröffnen, zur narzisstischen Nabelschau verkommt? Und was, wenn durch das permanente Insistieren auf die Gemachtheit der Erzählung jene enge Beziehung zwischen den Zuschauer*innen und dem Geschehen auf der Leinwand verloren geht, die uns Zuschauer*innen doch erst die Welt um uns herum vergessen lässt? Es wird spannend zu beobachten sein, ob sich diese Begeisterung für Metanarrative innerhalb der nächsten Monate und Jahre fortsetzen oder der Jahrgang 2021 von Cannes als vorläufiger Höhepunkt dieses Mini-Trends in Erinnerung bleiben wird.

3 Der stärkste Jahrgang seit Jahren?

Es erscheint etwas müßig, sich der Frage zu widmen, ob dies nun die besonders starke Ausgabe der Filmfestspiele von Cannes war, die aufgrund der COVID-19-bedingten einjährigen Pause und der Anzahl zurückgehaltener Filme nicht nur allgemein erwartet worden war, sondern auch medienwirksam durch Thierry Frémaux und die Festivalleitung angepriesen wurde. Die Antwort wäre vermutlich ein „Ja“, wenn auch mit Einschränkungen. Der mit 24 Filmen aus allen Nähten platzende Wettbewerb konnte bereits im Vorfeld mit einer illustren Riege an arrivierten wie jungen Filmemacher*innen überzeugen und versprach mit Filmen aus 16 Nationen eine außerordentliche Vielfalt. Etablierte Namen wie Leos Carax, Wes Anderson, Apichatpong Weerasethakul, Paul Verhoeven oder Asghar Farhadi trafen auf verhältnismäßig junge Regisseur*innen wie Sean Baker, Mia Hansen-Løve oder Julia Ducournau, die allesamt ihr Debüt im Wettbewerb feierten. Allerdings muss mit Blick auf die beiden Letztgenannten angemerkt werden, dass Cannes im Hinblick auf Gender-Diversität noch einen weiten Weg vor sich hat, so es denn ernsthaft gewillt ist, diesen zu bestreiten. Nur vier der 24 Filmemacher*innen des 2021er Wettbewerbs waren weiblich, was besonders bitter aufstößt, wenn man sich die Beiträge eines Bruno Dumont (France), Nanni Moretti (Three Floors) oder François Ozon (Everything Went Fine) ansieht, deren Filme so altherrenhaft daherkommen, so aus der Zeit gefallen erscheinen, dass sich deren Nominierung nur durch deren große Namen und eine gute Beziehung zu Thierry Frémaux erklären lässt. Ähnliches gilt im besonderen Maße für Sean Penn, dessen Wettbewerbsbeitrag Flag Day desaströse Kritiken erntete und dessen Nominierung sich einzig durch die langjährige Freundschaft zur Festivalleitung erklären lässt. Während es nicht zu erwarten ist, dass man sich in näherer Zeit von solchen beinah nepotistischen Strukturen löst, so hinterlassen diese Nominierugen doch einen bitteren Nachgeschmack.

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