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Bilder des Zerfalls: Im Klammergriff der Kontroverse – Teil 6

von Pascal Reis

Mit seinem Erstlingswerk generierte Larry Clark durchaus polarisierte und vehemente Kommentare, die sich gegen seinen Film wandten. Gar in Reichweite der „Kinderpornografie“ wurde der Film geschubst, was ihn mit einer ernsten Straftat gleichsetzen würde und zu einem der bisher ernsteren Fälle unserer Reihe macht. Eine Jugendfreigabe bekam der Film in den Vereinigten Staaten nicht, was wohl vor allem daran lag, dass er Tabuthemen, wie die Verbreitung vom HI-Virus und den exzessiven Drogenkonsum Jugendlicher sehr nüchtern behandelte und auf den erhobenen Zeigefinger am Ende sehr bewusst verzichtet. Dass das 1995 auf wenig Gegenliebe stoßen würde, ist heute bekannt und war damals wohl abzusehen. Aber sind die Bezichtigungen zurecht ausgesprochen worden; beutet der Film seine Jugenddarsteller aus und zeigt er Szenen pornographischen Inhaltes zwischen Kindern?

Auch wenn die Ausbeutung eine der, wenn nicht gar die große, Thematik des Films ist, findet der Missbrauch der jugendlichen Laiendarsteller nicht statt. Die Jugendlichen sind es, die ausbeuten und zwar in nahezu jeder Szene. Sei es der kleine Laden des Koreaners an der Ecke, jegliche abhängigmachende Substanzen, der gute Wille der älteren Generation oder der eigene Körper. Die Jugendlichen reden wie sie wollen und machen was sie wollen, ohne Rücksicht auf Verluste oder Mitmenschen. Gründe oder Hintergrundinformationen der Protagonisten werden von Clark größtenteils ausgespart. Man kann nur annehmen, dass es immer so war und dass es auch erst einmal so weiter gehen wird. Was früher wirklich war und mal sein wird; das ist nicht von Interesse. Nicht für die Figuren und damit auch nicht für den Zuschauer.

Kinder, die völlig losgelöst von Recht und Moral denken, handeln und leben. Sie werden hier weder inszeniert, noch dirigiert, sie werden bloß beobachtet. Manchmal aus sicherer Entfernung, zumeist aber aus nächster Nähe. Das ist eine Technik, die auch Harmony Korine (der hier das Drehbuch verfasste und dem Regisseur Chloe Sevigny als Besetzung vorschlug) zwei Jahre später mit „Gummo“ verfolgte und damit Szenen intensivster Intimität schaffte. Larry Clark geht hinter die tabellarischen Wertungsschemata von gut oder schlecht, hinter die Geschmacksgrenzen von schön oder eklig und kommt in einem Bereich an, in dem es keine derartigen Adjektive gibt, sondern nur die Realität dieser „Kids“. Eine Realität, ein Lebenstrott der aus exzessiver aber seelenloser Ausbeutung jeglicher Substanzen, Werte, schließlich engen Freunde und der eigenen Person besteht.

Sehr interessant ist in dieser Hinsicht auch der Titel des Films. Der Titel „Kids“ ist eine Art Verniedlichung des Wortes „children“. Und damit nehmen das Werk und ihre Macher schon einiges an Aussage vorweg, noch bevor das Logo der Produktionsfirma überhaupt über den Bildschirm flimmern darf. Es ist das lächelnde Verneinen, das Abwinken, wenn es um die ernsten Probleme der eigenen Kinder geht. Die haben was Dummes angestellt? Ach, das sind doch nur Kinder. Wie schlimm kann es denn eh schon werden? Die Reaktion der Jugend ist eine Rebellion, die jegliche Grenzen zu sprengen weiß. Die ältere Generation bekommt hier sehr passiv und verdeckt ihr Fett weg - ihr Rat scheint sich wenn überhaupt auf Plattitüden zu beschränken. Vergiss einfach deine Probleme und genieß das Leben. Die Hilflosigkeit steht in Momenten wie diesen beiden Generationen auf die Stirn geschrieben.

Kurz gesagt: Die Vorwürfe der Kinderpornografie sind lächerlich. Dass der Film mit seinem Inhalt schocken würde war vorhersehbar, Anklagen bezüglich der fehlenden Moral des Werkes sind jedoch in höchstem Maße unhaltbar und zeugen von einer fast schon lächerlichen Blindheit. Die Geschichte des Films ist in ihrer Nüchternheit bitterer und abschreckender, als es jede Szene mit Moralapostel je sein könnte. Es scheint, als hätten die Kritiker des Films diesen ohne jegliches Involvieren von Gefühlen abgefrühstückt und dann kurzsichtig das theoretische Fehlen einer Belehrung angeprangert. In einer der tragischsten Szene mit der großartigen Chloe Sevigny taumelt sie als Todgeweihte weinend durch die Straßen. Sie sagt, sie würde ihrem Bruder nie wieder Essen machen können. Es sind kurze Momente wie diese, die in ihrer unangetasteten Art extreme Emotionen im Rezipient hervorrufen können und allein dadurch jegliche Verharmlosung ausschließen. Vor allem am Ende, da wo der erhobene Zeigefinger angeblich hätte sein sollen, und der Pfad ins Verderben so quälend langsam beschritten wird, als müsste man auf dem zerschundenen Bauch kriechen - nur wohin, das weiß man nicht.

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