Bildnachweis: © Sony Interactive Entertainment / Kojima Productions

Videospiel "Death Stranding" im Test

von Sebastian Stumbek

Story

In Death Stranding wurde die Erde vom sogenannten Gestrandeten Tod heimgesucht, der die Welt der Lebenden und der Toten miteinander verband. Die Folge waren Zerstörung, Tod und übernatürliche Ereignisse. Dazu gehören “Leerestürze”, Explosionen gewaltigen Ausmaßes, der “Zeitregen”, der den Alterungsprozess bei Berührung in rasender Geschwindigkeit voranschreiten lässt, und das Erscheinen sogenannter “GDs”, gefährlicher Wesen aus einer anderen Dimension. Die letzten überlebenden Bewohner Amerikas versammeln sich in Hochsicherheits-Bastionen und wiegen sich in Isolation und Furcht. Nun liegt es am Protagonisten Sam Porter Bridges (dargestellt von Norman Reedus), die Städte mit dem “chiralen Netzwerk” zu verbinden und die Menschheit so vor dem Aussterben zu bewahren.

Kritik

Über kaum ein Spiel wurde in den letzten Jahren so viel geredet wie über Death StrandingHideo Kojima , leitender Entwickler hinter dem Projekt, verwirrte mit jedem veröffentlichten Bild oder Video nur noch mehr. Nicht nur die Handlung gab Rätsel auf, überhaupt war für die Öffentlichkeit nie wirklich klar, was für eine Art von Spiel hier überhaupt entstehen sollte. Nachdem sich Kojima 2015 von langjährigen Partner Konami trennte und aus dem ursprünglich angedachten Silent Hills nichts mehr werden sollte, begannen im hauseigenen Studio Kojima Productions die Arbeiten an etwas gänzlich Neuem, das außer dem Star-Entwickler wohl zunächst kaum jemand verstehen sollte. Death Stranding ist nun endlich erschienen, zunächst exklusiv für die PS4, Mitte 2020 soll auch ein Release für den PC folgen. 

Schauplatz ist ein postapokalyptisches Amerika, das von einer mysteriösen Macht erschüttert wurde. Viel von unserer einstigen Zivilisation ist nicht mehr übrig, die letzten Überlebenden haben sich in geschützten Bunkern oder Siedlungen zurückgezogen, um sich vor unheimlichen Wesen, den sogenannten GDs ("gestrandete Dinge"), vor dem tödlichen Zeitregen, der alles innerhalb von Sekunden altern lässt, sowie vor Banditen und Terroristen zu schützen. Wir schlüpfen in die Rolle des Lieferboten Sam Porter Bridges, der Amerika wieder vernetzen soll, um der Menschheit so zu neuer Stärke zu verhelfen. Die Eckpunkte der Handlung sind soweit klar, hinter Death Stranding steckt aber noch wesentlich mehr, was deutlich weniger verständlich ist und immer wieder neue Fragen aufwirft. 

Diese Geheimniskrämerei ist gewollt und eine der großen Stärken des Spiels, die uns immer weiter vorantreibt. Bereits der Prolog weiß überaus zu fesseln und wirft uns in eine faszinierende Welt, die man unbedingt begreifen möchte. Es ist eine Welt voll bizarrer, sonderbarer Einfälle, die man, je nach Standpunkt, als unheimlich kreativ oder auch als völlig gaga sehen kann. Bereits die Metal Gear Solid-Spiele waren durchzogen von einer gewissen "Kojima-Madness", hier ist der Mann nun vollkommen von der Leine und lässt seinen abgedrehten Ideen freien Lauf: Ein transportables Embryo als Frühwarnsystem gegen finstere Mächte? Ein teergetränkter Waal aus einer anderen Dimension, der uns zu verschlingen versucht? Granaten, sie wir aus unseren Fäkalien herstellen? Nur einige wenige Beispiele für das, was uns in Death Stranding erwartet. 

Dass Kojima begeistert vom Medium Film ist, daraus macht er kein Geheimnis. Daher nicht verwunderlich, dass er mit echten Darstellern gearbeitet hat, die digitalisiert ins Spiel integriert wurden, um das Abenteuer cineastisch wirken zu lassen. Norman Reedus (The Walking Dead) sollte bereits in Silent Hills die Hauptrolle übernehmen, nun tut er es in Death Stranding. Sein Part fällt zwar recht wortkarg aus, dennoch verkörpert er den Protagonisten auf sehr überzeugende Art, gerade durch sein gekonntes Spiel mit der Mimik, das Emotionen wirklich gut rüberbringt. Daneben wissen vor allem Mads Mikkelsen (Die Jagd) und Léa Seydoux (Blau ist eine warme Farbe) zu begeistern, die nicht nur die mitunter interessantesten Figuren mimen, sondern dabei auch die wohl besten Performances abliefern. Von bedeutsamen Nebenrollen bis hin zu kleinsten Cameos sind noch viele weitere prominente Namen vertreten, darunter beispielsweise Margaret Qualley (Once Upon A Time in Hollywood), Lindsay Wagner (Die sieben Millionen Dollar Frau), Nicolas Winding Refn (Drive), Guillermo del Toro (Pans Labyrinth) oder gar Talkmaster Conan O'Brien: Die hochkarätige Besetzung kommt gerade in den guten Cutscenes voll zum tragen und wertet die spannende Story nochmals auf. 

Nun aber zum eigentlichen Gameplay, das gewiss nicht jeden ansprechen wird: Wie bereits erwähnt ist unser Protagonist ein Lieferbote, als solcher führen wir dementsprechend eben Botengänge aus. Bedeutet, dass wir an einer Station Pakete aufladen und diese dann sicher durch die mystische Welt bis  zur nächsten Station bringen müssen. Je mehr Päckchen wir aufladen, desto größer mag die Belohnung ausfallen, dafür kämpfen wir unterwegs aber auch mit dem Gewicht und der Balance. Unser gestapeltes Türmchen, das absurde Ausmaße annehmen kann, wankt auf holprigen Wegen zur Seite, hier gilt es mit den passenden Tasten gegenzusteuern, um nicht umzukippen oder zu stolpern. Kommt es doch zum Sturz, nimmt unsere Ware Schaden an, wenn es ganz dumm läuft, purzelt sie an einem Hang hinab oder wird von strömendem Wasser mitgerissen. Dann heißt es erst einmal alles aufsammeln und, wenn möglich, mittels speziellen Sprays zu reparieren. Dieser Delivery-Survival-Ablauf ist während der ersten paar Male durchaus aufregend, kann durch seine ständige Repetition bei Spielern aber womöglich auch schnell an Reiz verlieren. Denn, darüber sollte man sich unbedingt im Klaren sein: In Death Stranding bestehen Missionen beinahe ausschließlich aus dem Transport von Waren. In anderen Spielen würde man solche Aufgaben als unliebsame Fetch Quests bezeichnen, die als bloßes Füllmaterial dienen, hier sind sie der Hauptbestandteil des Abenteuers.

Jedoch gibt es eine zusätzliche Würze: Abgesehen von unserem Kampf mit der Physik und der Natur kommt es zu gelegentlichen Aufeinandertreffen mit Banditen, sogenannten MULEs, die es auf unsere Pakete abgesehen haben, oder mit den unsichtbaren GDs, die uns in einen teerigen Abgrund ziehen wollen. Zu Beginn sind wir noch weitestgehend wehrlos und müssen im Notfall die Flucht ergreifen, wenn wir beim Schleichen entdeckt werden, später bekommen wir zahlreiche Waffen und Granaten in die Hand gedrückt, um uns zur Wehr zu setzen. Solch Gefechte mit den beiden genannten Gegnertypen spielen sich im Allgemeinen gut, wiederholen sich allerdings auch sehr oft, ohne dass sich am eigentlichen Ablauf groß etwas ändert. Klar, durch unsere zahlreichen hinzugewonnenen Tools und Waffen können wir gelegentlich neue Herangehensweisen ausprobieren, mal offensiver, mal defensiver, ändert aber nichts daran, dass es auf längere Sicht an Abwechslung und Überraschungen mangelt. Und blendet man beide Events aus, so ist die Welt, so schön sie auch aussieht und sich in ihrer Beschaffenheit durchaus unterscheidet, eben auch sehr leer. Abwechslung kommt vor allem dann auf, wenn es zu einem der imposant inszenierten Bosskämpfe kommt, die für einen ordentlichen Adrenalinkick sorgen, sie liegen aber auch etliche Stunden voneinander entfernt. Die Zeit dazwischen muss man ein wenig proaktiv sein, um Faszination zu entwickeln.

Macht das Spiel denn nun Spaß? Nun, darauf gibt es keine einfache Antwort, es hängt eben von der eigenen Erwartungshaltung, dem persönlichen Geschmack und der Bereitschaft ab, sich auf ein eher ungewöhnliches Erlebnis einzulassen. Fühlt man sich vom unkonventionellen Spielprinzip angesprochen und möchte in eine geheimnisvolle Welt eintauchen, die erzählerisch eine starke Sogwirkung entfaltet und uns mit wissenschaftlichen, esoterischen, gesellschaftskritischen und auch philosophischen Themen konfrontiert und uns darüber hinaus etliche Bausteine in die Hand drückt, mit denen wir herumspielen können? Dann sollte man unbedingt an Bord springen! Klingt der Ablauf aber eher furchtbar eintönig und mag man sich nicht auf ein extrem ruhiges Pacing einlassen, das viel Geduld erfordert? Dann lässt man lieber die Finger davon. 

Death Stranding mag zwar ein Single Player-Spiel sein, beinhaltet aber auch eine umfangreiche Multiplayer-Komponente, die Einfluss auf das Abenteuer nimmt. Andere Spieler bekommen wir zwar niemals zu Gesicht, wir interagieren aber indirekt miteinander. So stoßen wir beispielsweise auf hinterlassene Leitern, Kletterseile oder gebaute Brücken, die uns das Vorankommen vereinfachen, bis hin zu Großprojekten wie Straßen, die wir mit der Community gemeinsam stemmen können. Zudem können Waffen und Materialien gespendet werden, bis sie jemand anderes entgegennimmt, ebenso ist es möglich, fremde Pakete zum Zielort zu transportieren, wenn sie von jemand anderem an einer Zwischenstation hinterlassen wurden. Das sind oftmals hilfreiche, teils auch witzige Ergänzungen, die die Welt befüllen und ein schönes Gefühl von Zusammenhalt erzeugen, sie können aber auch nervige Ausmaße nehmen, wenn an jeder Ecke Emoji-Schildchen aufblinken. Wer keine Lust auf solchen Schnickschnack hat, kann das Spiel auf Wunsch aber auch ganz offline stellen. 

Mit der Zeit sammelt unsere Spielfigur kontinuierlich an Erfahrung, was sie effektiver werden lässt, indem sie beispielsweise schwerere Gewichte stemmen kann, oder die Balance besser hält. Dazu sammeln wir im Spiel Likes, sowohl von anderen Spielern für erbrachte Hilfe, als auch von NPCs für das Erfüllen von Aufträgen. In unserem persönlichen Aufenthaltsraum, der, wie beinahe jeder unserer besuchten Außenposten in der Spielwelt, traurigerweise stets gleich ausschaut, können wir uns unter anderem ausruhen und wieder zu Kräften kommen, erhaltene E-Mails lesen, die Toilette benutzen (woraus Granaten entstehen), Maden snacken (heilt und regt die Verdauung an), oder Monster Energy trinken (für mehr Ausdauer). Richtig gelesen, bei Letzterem handelt es sich um ganz freche Schleichwerbung, die die Immersion stört, da sie uns plump aus dieser Welt herausreißt. Logisch zu erklären ist der ständige Vorrat an Monster-Dosen ebenfalls nicht, wenn man den ganzen restlichen Kontext betrachtet. Muss man wohl mit leben. 

Grafisch ist Death Stranding schlichtweg eine Wucht, nicht nur die Charaktere wirken äußerst lebensecht, generell schauen die wunderschönen Landschaften, die an die Natur Islands erinnern, fast schon fotorealistisch aus. Hier kommt die kraftvolle Decima-Engine zum Einsatz, die zuvor schon Horizon: Zero Dawn so beeindruckend ausfallen ließ. Zusammen mit dem stimmungsvollen Soundtrack und den fantastischen Sprechern (auch in deutscher Synchro gelungen) ergibt sich so auf audiovisueller Ebene ein Hochgenuss, den die PS4 Pro, ohne ins Stocken zu geraten, abbilden kann. Beeindruckend.

Fazit

"Death Stranding" ist nicht für jedermann, dazu ist Kojimas Action-Adventure viel zu eigenwillig. Was die einen faszinieren und packen wird, wird für die anderen womöglich schnell langweilig. Ob man darin Kunst oder ein gescheitertes Experiment sieht, wird jeder für sich selbst entscheiden müssen, "Death Stranding" zieht eben sein eigenes Ding durch. Aufgrund der höchst beeindruckenden Technik, der geballten Starpower, der spannenden Story sowie dem Mut, sich an etwas Neuem zu versuchen, sollte man den Versuch, in diese wundersame Welt einzutauchen, aber ruhig in Erwägung ziehen. 

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