Bildnachweis: (c) Netflix

"Tote Mädchen lügen nicht" - Staffel 1 - Kritik

von Sebastian Stumbek

Story

Das Netflix Original „Tote Mädchen lügen nicht“ basiert auf dem Bestseller von Jay Asher und folgt Clay Jensen (Dylan Minnette), der von der Schule nach Hause kommt und auf der Veranda eine geheimnisvolle Kiste mit seinem Namen findet. Darin befinden sich sieben Kassetten. Sie wurden von Hannah Baker aufgenommen, einer Klassenkameradin, in die er verliebt war und die zwei Wochen zuvor Selbstmord beging. Auf den Kassetten erklärt Hannah die 13 Gründe für ihren Suizid. Ist Clay einer von ihnen?

Krtitik

Mit der eigenproduzierten Originalserie Tote Mädchen lügen nicht (OT: 13 Reasons Why), basierend auf  dem Bestseller von Jay Asher, hat Netflix einen Volltreffer gelandet. Nicht nur wurde über die Serie in den letzten Wochen ausgiebig diskutiert, getwittert und gar gestritten, auch darf sich der Streamingdienst über traumhafte Einschaltquoten erfreuen. Denn je mehr Wirbel die Serie erzeugt, desto mehr Menschen schalten letztendlich aus Neugier ein. Grund für die Kontroverse sind die Themen, welche  hier behandelt werden. Suizidalität, Mobbing, Gewalt und sexueller Missbrauch sind schließlich nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, ihre thematische Verarbeitung will wohlüberlegt sein. Der Vorwurf zahlreicher Kritiker lautete, dass sich psychisch labile Menschen an den Geschehnissen orientieren könnten, sich den Suizid von Hannah Baker (Katherine Langford), um die es in der Serie geht, zum Vorbild nehmen könnten, da sie darin eine heldenhafte Handlung erkennen oder den einzig möglichen Ausweg aus ihrem Leid. 

Als Zuschauer sympathisiert man mit Hannah Baker durchaus, man leidet mit ihr und empfindet Wut über all das Übel, welches ihr widerfährt. Möglicherweise erkennt man sich als Zuschauer auch in der ein oder anderen Situation wieder. Dennoch glorifiziert die Serie ihre Entscheidung, sich das Leben zu nehmen, niemals. Im Gegenteil, es wird sehr deutlich, welch Leid sie bei ihren Mitmenschen hinterlässt, ebenso wird ihr ein Teil der Schuld zugewiesen, da sie selbst nicht aktiver auf ihre Probleme aufmerksam gemacht hat, um ihre letzte Tat nicht doch verhindern zu können. Zahlreiche Psychologen sind jedoch der Ansicht, dass gefährdete Menschen die Intention möglicherweise nicht richtig abstrahieren können, daher schaltete Netflix nachträglich Warnhinweise vor einzelne Episoden, ebenso einen Hinweis auf eine eingerichtete Website, auf welcher man bei Problemen weitere Informationen erhalten kann. Auch eine rund halbstündige Dokumentation ist auf Netflix zu sehen, in welcher die Beteiligten über das Thema sprechen und klarstellen, dass Hannahs Tat alles andere als die richtige war. 

Doch zurück zur Serie: In 13 Folgen erzählt uns Tote Mädchen lügen nicht auf zwei Handlungsebenen den kompletten Tathergang des Suizids. Clay (Dylan Minnette), ein Mitschüler Hannahs, bekommt einige Audiokassetten zugespielt, auf denen Hannah die Gründe nennt, die sie letztendlich in den Selbstmord führten. Als Zuschauer bewegen wir uns damit zum einen in der Gegenwart, erleben wie das Umfeld auf den Tod des jungen Mädchens reagiert und wie Clay die Verantwortlichen mit ihrem Fehlverhalten konfrontiert. Während Clay sich die Kassetten anhört, befinden wir uns in der jüngeren Vergangenheit und erleben das Geschehen aus der Sicht von Hannah. 13 Gründe werden aufgezählt, die dem jungen Mädchen ihre Lebensfreude nahmen. Die Schuld gibt sie einer Reihe von Mitschülern, die sie gemobbt, ignoriert oder hängengelassen haben. Das können zum Teil Kleinigkeiten gewesen sein, werden im Laufe der Geschichte aber auch ziemlich harte Ereignisse, die alle in immer schnellerer Folge auf Hannah eintreffen. Einen Suizid sollen sie dennoch nicht rechtfertigen, dass einige von ihnen für großes Leid verantwortlich sind, ist nachvollziehbar. 

Zugegeben, über seine 13 Folgen hinweg schleichen sich mitunter kleinere Längen ein. Ob nun wirklich jeder der 13 genannten Gründe so viel Raum in der Erzählung bräuchte und solch einen desaströsen Effekt auf jemanden haben kann, lässt sich so oder so sehen. Auch wirken einige dramatische Ereignisse etwas zu konstruiert, um den Zuschauer möglichst emotional zu packen. Das tut die Serie manchmal zu offensichtlich. Tote Mädchen lügen nicht hat also durchaus seine kleineren Makel, von einer Sichtung sollte man sich davon  bei Interesse aber dennoch nicht abschrecken lassen, insgesamt überwiegt klar der positive Eindruck. Bis zum Ende hin bleibt die Geschichte weitestgehend spannend, emotional berührend ist sie ebenfalls. 

Ebenso tragen die Darsteller dazu bei, dass die Serie ihre Wirkung nicht verfehlt. Katherine Langford spielt ihre Rolle stets überzeugend, in glücklichen Momenten strahlt sie eine herrliche Leichtigkeit und Lebensfreude aus, im späteren Verlauf der Geschichte überzeugt sie durch ihre dargestellte Verzweiflung, Wut und Trauer.  Als Newcomerin im Schauspielbereich schlägt sie sich somit richtig gut. Dass ihr männlicher Schauspielkollege Dylan Minnette da nicht ganz mithalten kann, ist zu verzeihen. Allen die Show stiehlt aber vermutlich Kate Walsh, die als Hannahs Mutter auftritt und durch ihr emotional geladenes Schauspiel überaus deutlich macht, dass ihre Welt vollkommen zerstört ist.  

Über die eingangs erwähnten Kontroversen hinaus bietet die Serie übrigens noch reichlich weiteren Diskussionsstoff. War Hannah immer ehrlich? Wer trägt tatsächlich wieviel Schuld? Ist ihre Abrechnung mit den anderen fair?  Immerhin verursacht sie eine enorme psychische Last durch die erfolgten Schuldzuweisungen, die nicht jeder unbedingt verdient hätte. Spannende Themen gibt es zu Genüge und das macht die Serie auch auf längere Sicht interessant. 

Übrigens ist bereits eine zweite Staffel geplant, welche 2018 erscheinen soll. Ob das wirklich nötig ist sei einmal dahingestellt, die Geschichte ist auserzählt und bedarf eigentlich keiner Fortsetzung. Bei so vielen Zuschauern konnte Netflix aber wohl doch nicht widerstehen. Die zweite Staffel soll sich nach aktuellem Informationsstand weiterhin mit den Folgen des Suizids Hannahs auf ihre Mitmenschen beschäftigen und die Geschichte aus dem Blickwinkel der anderen Beteiligten aufzeigen. 

Fazit

"Tote Mädchen lügen nicht" kommt mit einer ganzen Palette schwerwiegender Themen daher, die der Gesellschaft kritisch einen Spiegel vors Gesicht hält. Auch wenn die Erzählung an manchen Stellen nicht immer ganz geglückt ist, gelingt Netflix durch das wichtige Thema, der guten Grundidee sowie der spannend und emotional geladenen Handlung insgesamt ein gelungener und auch sehenswerter Serienbeitrag. 

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