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Bartleby

Kritik von Bartleby

Gesehen: September, 1993

David Lynchs DUNE – 30 Jahre später, oder warum bestimmte Bücher unverfilmbar bleiben Dass Muad’dib auf Caladan geboren wurde und dort die ersten fünfzehn Lebensjahre verbrachte, sollte zu keiner Selbsttäuschung führen. Arrakis, die Welt, die unter der Bezeichnung „Wüstenplanet“ bekannt ist, wurde seine ewige Heimat. Der Muad’dib, das ist niemand anderes als Paul Atreides, Sprößling eines Herrscherhauses, das den Planeten Caladan verlässt, auf dem es seit 26 Generationen in seiner Burg residiert hat. Denn die Atreides haben vom Imperator der Galaxis selbst den Planeten Arrakis als Lehen bekommen, den vorher ihre Todfeinde, die Harkonnen, regierten. Arrakis, ein wasserarmer Planet, der fast nur aus Wüste besteht. Trotzdem ist er heißbegehrt, denn es ist der einzige Planet, auf dem man das Spice ernten kann. Das Spice verlängert das Leben. Das Spice erweitert das Bewusstsein. Ebenso schenkt das Spice den Menschen einen Blick in eine mögliche Zukunft und ermöglicht der Raumfahrergilde durch PSI-Kräfte die Raumfahrt. Schon kurz nach der Ankunft auf Arrakis wird Herzog Leto, Pauls Vater, hinterrücks ermordet. Paul selbst kann mit seiner Mutter entkommen. Er flieht mit ihr in die Wüste und stößt dort auf die eigentlichen Bewohner des Planeten, den Fremen, die von den Harkonnen brutal unterdrückt wurden und unter härtesten Bedingungen in Wüstenstämmen leben. Das Volk, das als Einziges die mächtigen Sandwürmer, die die Wüsten durchpflügen, kontrollieren können. Seit langem erwarten die Fremen einen Erlöser, den Muad’dib. Wenn man eine Umfrage startet, nach dem besten Science-Fiction-Roman aller Zeiten, dann ist Frank Herberts „DUNE“ immer mit ganz voraus, mindestens unter den drei Erstplatzierten. Dabei hatte es der 1920 geborene Autor am Anfang nicht leicht gehabt. Zwar konnte der erst spät zum Schreiben von Büchern gelangte Ex-Journalist seine Geschichte DUNE WORLD 1963 häppchenweise in dem Science-Fiction-Magazin ANALOG veröffentlichen und einen großen Erfolg bei den Lesern verbuchen, doch die Romanversion DUNE und ihre Fortsetzung DUNE MESSIAH blieben in den Regalen liegen. Bei THE CHILDREN OF DUNE hatte Herbert große Mühe, einen Verlag zu finden, aber dann fiel der 1976 erschienene Roman auf fruchtbaren Boden und entwickelte sich unter mystisch angehauchten Ex-Hippies und umweltbetonten Öko-Freaks zum Kultbuch. Auch die zwei alten Romane kamen nun zu Bestseller-Ehren, und Herbert erweiterte bis zu seinem Tod im Jahre 1986 seine immer populärer werdende Saga mit drei weiteren Bänden auf gesamt sechs Bücher. Im Zuge dieses Erfolgs kam auch bald eine Verfilmung ins Gespräch, doch viele Künstler sollten ihre Ideen umsonst abliefern, bevor tatsächlich ein Film realisiert wurde. Arthur P. Jacobs, der schon mit der PLANET DER AFFEN-Serie sein Talent für Science-Fiction-Epen unter Beweis gestellt hatte, starb, bevor er die erworbenen Rechte nutzen konnte. Sie wanderten in die Hände von Michel Seydoux, und der Franzose holte sich Top-Künstler für das geplante Mammutwerk. Regie sollte Alejandro Jodorowsky führen, der mit so bizarren Filmen wie EL TOPO die Zuschauer verunsichert hatte. Der Chilene erschuf zusammen mit dem französischen Zeichner Jean Giraud (bekannt als Moebius), der für seine meisterhaften Science-Fiction-Comics für das Magazin in den 70ern und 80ern bekannt als SCHWERMETALL war, ein detailliertes Storyboard, das am Ende mehr als tausend Seiten umfasste und damit jeden Rahmen sprengte. Als die Kosten des Films ins Megalomanische abwanderten, blies der Produzent 1975, kurz vor Beginn der Dreharbeiten, das Mammutwerk ab. Ob das Werk, bei dem die Rockgruppe „Pink Floyd“ für den Soundtrack vorgesehen war, ein Erfolg geworden wäre, sei dahingestellt, aber als Cineast muss man es zweifellos bedauern, dass der geniale Jodorowsky nicht die Möglichkeit erhielt, seine irren optischen Phantasien umzusetzen. Dino de Laurentiis‘ Tochter Raffaela, die den Roman liebte, überzeugte ihren Vater davon, die Rechte zu erwerben und ihr das Spektakel produzieren zu lassen. King Dino machte ihr das Geschenk gerne. So wie andere Töchter von ihren Papis ein teures Schmuckstück bekamen, so erhielt Raffaela DUNE. Als Regisseur verpflichtete die Italienerin den soeben durch ALIEN zu Science-Fiction-Ehren gelangten Briten Ridley Scott, der nach den Erfahrungen seines letzten Films nur einen Designer für möglich hielt: H. R. Giger. Als Scott aber merkte, wie teuer der Film werden musste und ihm die Sache zu unsicher schien, stieg er aus und realisierte stattdessen den „billigeren“ BLADE RUNNER. Nun entschloss sich Raffaela zu einem Regisseur, der sie mit seinem bizarren Erstling ERASERHEAD begeistert hatte, ein dunkles Märchen in Schwarzweiß, in dem sich der Alltag in eine furchtbare Welt des Grauens verwandelt. Regie für der der auch als Maler talentierte David Lynch, der zwar danach mit DER ELEFANTENMENSCH gezeigt hatte, dass er Grausiges mit viel Sensibilität erzählen kann, aber noch nie auch nur einen annährend so aufwendigen Film wie DUNE inszeniert hatte. Gedreht wurde in Mexico City und Umgebung. In den dortigen Studios errichtete man die gewaltigen Kulissen, bei denen – wie bei Science-Fiction-Filmen üblich – alle möglichen Epochen vertreten waren – von der Burg der Atreides über den Prunk des Imperators bis zur Höhlenwelt der Fremen. Obwohl man die Rechte an allen Büchern erworben hatte und bei einem Erfolg sofort DUNE MESSIAH drehen wollte – ebenfalls wieder mit Lynch als Regisseur – wurden die Kulissen nach Beendigung der jeweiligen Szenen wieder abgerissen, da man gar nicht genug Platz hatte, um alle für einen eventuellen zweiten Teil stehen zu lassen. Minutiös wurde alles geplant, detailliert die Räume ausgestattet – von den Fliesen bis zur Decke – und Hunderte von unterschiedlichen Kostümen wurden geschneidert, die jeweils die Stilrichtungen der einzelnen Herrscherhäuser wiedergaben. Dazu kamen die unzähligen Utensilien – von Waffen bis Gebrauchsgegenstände – die in der Zukunft vorkamen. Ähnliches innerhalb eines derartigen Mammutprojektes konnte man in solch einem detailverliebten Ausmaßes erst wieder bei Peter Jacksons DER HERR DER RINGE wiederfinden. Als Kameramann engagierte Lynch wie bei DER ELEFANTENMENSCH Freddie Francis. Zur Besetzung gehörten Altstars wie Silvana Mangano und Max von Sydow sowie damals relative Newcomer wie Sean Young und Kyle MacLachlan. Besonders viel Aufsehen erregte die kantige Schurkendarstellung des Police-Sängers Sting, alias Gordon Sumner. Ebenso heute berühmt sind Jürgen Prochnow, der den Vater von Paul Atreides darstellte, Herrscher Leto. Und als Waffenmeister der Atreides ist Patrick Stewart zu bewundern. Als der Film nach fast einem Jahr intensiver Arbeit abgeschlossen war, träumten alle Beteiligten von einem Riesenerfolg, und jedermann hatte den zweiten Teil DUNE MESSIAH im Mund. Lynch schrieb sogar bereits das Drehbuch, doch der sündhaft teure DUNE (irgendwo zwischen 40 und 75 Millionen Dollar, je nachdem was man alles ins Budget rechnet) entwickelte sich nicht zum erwarteten Hit. Hämische Kritiker konnten sich die naheliegendste Parole nicht verkneifen: „David Lynch setzte den WÜSTENPLANET in den Sand!“. Es steht außer Frage, dass Lynch Mühe hatte, das epische Konzept des Romans in eine Zwei-Stunden-Fassung zu pressen. Um die Vielschichtigkeit der Vorlage nicht zu zerstören, konzentrierte er sich auf relativ knappe, schnelle Szenen und verzichtete auf langwierige Erklärungen. Das führte dazu, dass die Zuschauer, die den Roman nicht kannten, Mühe hatten, genau mitzubekommen, was Harkonnen, Artreiden, der Imperator, die Bene Gesserit, die Raumfahrergilde und die Fremen nun genau wollten. Das führte im Gegenzug aber auch dazu, dass der Film vor Ideen fast aus allen Nähten platzte – vollgepfropft mit imposanten Schauplätzen, Schlüsselszenen und bizarren Einfällen. Den Harkonnenboss präsentierte Lynch als im Raum schwebenden, von ekligen Eiterbeulen geplagten Fettpunk, die ATreides als noblen alten Adel, den Imperator als intergalaktischen Ränkeschmieder, die Bene Gesserit als nonnenartigen PSI-Orden, die Raumfahrer-Mutanten als glubschäugige Riesenfische und die Fremen als wasserverehrende Wüstensöhne im Ganzkörperkondom, die den eigenen Schweiß wieder auffangen und destillierten. Lynch konnte sich nie Zeit lassen, sich ausführlich einer dieser bizarren Gruppen zu widmen. So verfolgt er im Eiltempo die Geschichte seines Helden, der vom verzärtelten Prinzen zum Erlöser und Messias wird, der das unterdrückte Volk der Fremen in eine glückliche Zukunft führen und – in späteren Romanen – sogar das Machtgefüge des Imperators erschüttern wird und die ganze Galaxie in einen Heiligen Krieg führen wird. Um das Innenleben der Charaktere wenigstens ein bisschen zu beleuchten, übertrug Lynch das in Herberts Roman verwendete Stilmittel des inneren Monologs auf den Film und ließ die Darsteller immer wieder im Off ihre Gedanken aussprechen. Bei einer solchen Materialfülle konnte der zweistündige DUNE kein perfekter Film werden, aber er ist auch nicht der langweilige, verquerte Sternenmist, den damals die meisten Kritiker in ihm sehen wollten. Wieder einmal blind für das, was Kino ausmacht – tolle Bilder! – zerriss man den Film eines Regisseurs, den man bei seinen beiden vorangegangenen Werken noch in den Himmel gehoben hatte. Warum? Was war passiert? Ganz einfach – er hatte für teures Geld großes Kino in Szene gesetzt, was ihm natürlich kein Rezensent verzeihen konnte. Denn, Hand aufs Herz, ein monumentaler Science-Fiction-Streifen kann ja nur Schrott sein! Da dem aber nicht so ist: Lynch gelang ein Film voller Ideen, der visuell in Bereiche vordringt, wie sie konventionellere Science-Fiction-Abenteuer à la STAR WARS oder STAR TREK damals nie erreicht hatten. Er spielt grandios mit den Mitteln des Kinos, legt ein Tempo vor, bei dem damals kein klassisch orientierter Kritiker geistig mithalten konnte und überforderte so die noch nicht videoclip-geschulte Kritikerclique. Dabei ist Lynchs Attacke auf alle Sinne kein simples Oberflächenkino, sondern trotz aller Reizüberflutung voller inhaltlicher Substanz. Er versteht es all die verschiedenen Seiten des Buches (Machtstreben, PSI-Fähigkeiten, Drogenkultur, Ökologie, Erlösermythos, genetische Züchtungen) anzureißen, kann sie freilich in der Kürze der Zeit in keinster Weise ausreizen. Ein Höhepunkt sind die merkwürdigerweise oft gescholtenen Sandwurm-Sequenzen, die zum beeindruckensten der damaligen Zeit gehören, was das Science-Fiction-Kino bis zu jenem Zeitpunkt hervorgebracht hatte. Hier werden unglaubliche Lebewesen völlig überzeugend auf die Leinwand gebracht – mit Trickeffekten vom Feinsten! Wenn sie ihre langen Leiber aus dem Sand erheben und die riesigen Schlünde aufreißen, wähnt man sich wirklich in einer anderen Welt. DUNE hat seine Schwächen, das ist nicht von der Hand zu weisen. Die Kürze der Zeit sorgt für manche Holprigkeit. Man merkt dem Film an, dass Lynch ihn zurechtstutzen musste. Tatsächlich wurde auch wesentlich mehr gedreht, und man kann heutzutage wirklich froh sein, dass endlich das über dreistündige Gesamtwerk zu bewundern ist. Den Beginn erzählt in der Langfassung Lynch mit gezeichneten Tafeln, damit der Zuschauer tiefer in die zusammenhängenden einzelnen Gruppierungen blicken kann, auch Vieles um das wie und das warum wird anhand dieser Tafeln geklärt, damit der Zuschauer tiefer in das Geschehen eintauchen kann. Dieses Gesamtwerk ist wirklich ein Epos, der dem Werk einigermaßen gerecht wird, auch wenn dies nicht Perfektion ist. Dennoch erzeugen die Bilder mit dem von der Popgruppe TOTO geschaffenen Soundtracks wahre Gänsehaut. Auch nach David Lynchs DUNE wurde mehrfach eine Neuverfilmung angegangen. Richard Rubinstein, der Mitproduzent von ZOMBIE – DAWN OF THE DEAD versuchte eine Miniserie für TV-Format auf die Beine zu stellen, doch dieses Projekt starb bereits in Kinderschuhen. Erst Jahre später gelang es John Harrison, für das TV-Format einen Dreiteiler zu schaffen, der zwar inhaltlich näher am Buch lag, jedoch optisch weit hinter seinen Möglichkeiten blieb. Es kam optisch nie über ein „Bühnenkammerspiel“ hinaus, was sehr schade ist, denn die Darstellung des Paul Atreides durch Alec Newman war große Klasse und traf den Helden aus den Büchern wirklich haargenau. Greg Yaitanes schloss die erste Trilogie der DUNE-Reihe mit einem weiteren TV-Format in drei Teilen ab und verfilmte weitaus epischer als sein Vorgänger die beiden nachfolgenden Bücher. Er schuf hiermit inhaltlich und auch optisch ein wirklich besseres Werk als John Harrison. Und für ein TV-Format braucht sich DUNE MESSIAH und CHILDREN OF DUNE hinter keinem Hollywoodkollegen zu verstecken. Ebenso versuchte Peter Berg (WELCOME TO THE JUNGLE) sich an DUNE zu wagen, erste Konzeptzeichnungen waren zu bewundern, welches eine sehr düstere Variante von DUNE versprach, noch düsterer, als die fertige Version von David Lynch. Doch nach fast zweijähriger Planung wuchs auch ihm das Projekt weit über den Kopf hinaus. Inzwischen ist auch ein Film über Jodorowskys DUNE-Entstehung veröffentlicht worden. Ein Film, der bei einem DUNE-Liebhaber wirkliche Gänsehaut erzeugt. Hierbei kann man endlich erahnen, was das für ein gigantomanisches Werk hätte werden können, der Cineast fühlt sich sprichwörtlich eines Meisterwerks beraubt. Abschließend gesagt, denke ich, dass nur ein TV-Format, eine Miniserie mit enormem Budget einer Umsetzung dieser Größe Herr werden lässt. DER HERR DER RINGE erschien auch unverfilmbar, doch das lag an der Vorgehensweise von Peter Jackson und seinem Team, in Hollywood wäre dies nie gelungen. Mit der Verfilmung von THE SONG OF ICE AND FIRE zeigte man ebenfalls, dass etwas Unverfilmbares mit entsprechenden Mitteln als Serie durchaus funktioniert und brilliant umgesetzt werden kann. Doch in einem Kinofilm wird man DUNE und dessen gesamten Stoff herum niemals umsetzen können. Auf Kinoleinwand bleibt ein neues Gesicht von DUNE einfach ein Traum.

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