7.5

MB-Kritik

The Magic Life of V 2019

Documentary

7.5

Inhalt

Seit sie elf ist, hat Veera an rund 30 Live-Rollenspielen teilgenommen. Das bedeutet: jedes Mal eine andere Identität. Wo die Gründe für den Wunsch nach ständiger Transformation liegen, zeigt Tonislav Hristovs Dokumentarfilm. Nach und nach offenbart sich eine junge Frau mitsamt ihrer belastenden Vergangenheit.

Kritik

Sie ist die ganze Zeit fröhlich. Sie nimmt Sachen nicht persönlich. Ihre Stimmung ändert sich schnell. Und sie steht anderen zur Seite. Sie, das ist V. „Einfach nur V", erklärt die junge Frau im Zentrum von Tonislav Hristovs (Love & Engeneering) sensibler Doku. Als Teil einer aufwendig verkleideten Gruppe reist sie zu einem LARP-Event. Dort kann sie für ein paar Tage „V“ sein, bevor es zurückgeht. Zu ihrem geistig behinderten Bruder Ville, der überforderten Mutter und den Erinnerungen an einen gewalttätigen trinkenden Vater. V ist dann wieder Veera. Veera ist selten fröhlich. Das unbeschwerte, energische Alter Ego ist diejenige, die sie hätte sein können.

Stattdessen beherrscht ihr Leben ein fast greifbarer Schmerz, unmittelbar unter der leichtherzigen Oberfläche. Selbst während der Rollenspiele, die zugleich als Mittel zur Flucht und aktive Selbsttherapie dienen, gibt es kein Entkommen. Ein unbedeutendes Erlebnis oder eine zufällige Frage genügen als Trigger. Nie wird das Erlebte konkretisiert, es bleibt schemenhaft wie die auf Heimvideos wankende Silhouette des Vaters. Sein schädlicher Einfluss verfolgt die Kinder bis in die Gegenwart, in der Veera den Bruder so wenig beschützen kann wie früher. Das daraus resultierende Ohnmachtsgefühl motiviert ihre Selbstaufopferung als Villes Betreuerin. Ihr Alltag ist ein unermüdlicher Kampf gegen Dämonen, härter ist als jedes Rollenspiel. 

Die verheerenden sozialen Auswirkungen des Alkoholismus in Finnland streift die konstante Handlung nur am Rande. Die Aufmerksamkeit von Regisseur und Publikum gehört ganz Veera, die weiter mutig einen Weg geht, dessen Beschwerlichkeit sich nur erahnen lässt. Verdrängung ist außerhalb der Spielwelten die einzige Methode, mit der sie dem Erlebte begegnen kann. Die fiktiven Welten des Rollenspiels werden dabei zum unwahrscheinlich und unschätzbar wertvollen Hilfswerkzeug. Auf die Selbstbehauptung im Spiel folgt die in der Realität, der Veera gestärkt durch Freundschaften innerhalb der LARP-Gemeinschaft begegnet. Gegen die Monster, die sie besiegen muss, hilft kein Zauberspruch. Dafür beim Sammeln der emotionalen Kraft für diese Konfrontation.

Fazit

Mit respektvoller Zurückhaltung und frei von sensationalistischer Enthüllungsgier zeigt das bewegende Filmdokument die ungewöhnlichen Mittel der jungen Hauptfigur im Kampf mit den Traumata ihrer Kindheit. Während das Ausmaß der Gewalterfahrung sich nur ansatzweise abzeichnet, konzentriert sich die Inszenierung auf die beeindruckende Persönlichkeit und eigentliche Titelfigur. Die oft belächelte oder gar pathologisierte Welt des Rollenspiels zeigt sich in diesem Kontext als beispielhaftes Mittel zur Selbstheilung, das sich Betroffene suchen, wo Sozialstaat und Familie versagen.

Autor: Lida Bach
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